Terror im Ostkongo: Die Befehle kommen aus Deutschland
Aus Mannheim steuert der Präsident der ruandischen Hutu-Miliz seine Truppen im Kongo. UNO und Ruanda fragen sich: Wann wird die deutsche Justiz endlich aktiv?
MUTOBO/KARLSRUHE/KIGALI taz | Gesang hallt aus der Wellblech-Halle mit den Plexiglasfenstern. 345 Männer und zwei Frauen mit schlafenden Babys auf dem Rücken sitzen dicht gedrängt auf Holzbänken, wie in einer Kirche. Mit einem Lied in ihrer Muttersprache Kinyarwanda begrüßen die ehemaligen Milizionäre UN-Mitarbeiter.
Das Reintegrationslager Mutobo im Nordwesten Ruandas liegt symbolträchtig unterhalb der Kette erloschener Vulkane, die Ruanda vom Kongo trennen. Auf der ruandischen Seite fand 1994 einer der schlimmsten Völkermorde der Weltgeschichte statt: über 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, wurden innerhalb von drei Monaten von Armee und Hutu-Milizen abgeschlachtet. Jetzt herrscht in Ruanda Frieden. Aber jenseits der Vulkane, im Kongo, wüten die Täter aus Ruanda heute weiter - organisiert in der Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Ostkongo findet nicht zur Ruhe, über 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Matthew Brubacher, zuständig für politische Angelegenheiten im Entwaffnungsprogramm der UN-Mission im Kongo (Monuc), zeigt seine jüngsten Fotos: eine von FDLR-Kämpfern vergewaltigte und geschlagene Kongolesin, das Gesicht aufgequollen. Er hat sie im UN-Hubschrauber aus dem Urwald gerettet - Alltag für die UNO im Umgang mit der ruandischen Miliz. Jahrelang hat die UNO zugesehen, wie die FDLR, Sammelbecken flüchtiger Täter des ruandischen Genozids, im Ostkongo ein Terrorregime installiert. Jetzt will sie das nicht mehr hinnehmen.
Ruandas Völkermord: Zwischen April und Juli 1994 bringen Armee (FAR) und Hutu-Milizen (Interahamwe) in Ruanda über 800.000 Menschen um, zumeist Tutsi. Das soll eine Machtteilung mit der Tutsi-Rebellion RPF (Ruandische Patriotische Front) überflüssig machen. Die RPF erobert schließlich Ruanda, die Völkermordregierung flieht nach Kongo.
Hutu-Milizen im Kongo: In grenznahen Flüchtlingslagern organisieren sich Ex-FAR und Interahamwe neu und planen die Rückeroberung Ruandas. Ab 1996 rückt Ruandas neue RPF-Armee mehrfach im Kongo ein. Erst installiert Ruanda
im Kongo Präsident Laurent-Désiré Kabila, dann bekämpft es ihn, und dieser sowie sein Sohn und Nachfolger Joseph Kabila verbünden sich mit den ruandischen Hutu-Kämpfern.
FDLR: Die "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas" entstehen 2000 als Bündnis der diversen bewaffneten ruandischen Hutu-Gruppen im Kongo. Ihr Präsident wird der in Deutschland lebende Ignace Murwanashyaka. Als Ruandas Armee im Rahmen eines Friedensvertrages 2002 den Kongo verlässt, rückt die FDLR in den Ostkongo ein. Die ab 2003 dort stationierten UN-Blauhelme tun dagegen nichts. Auch Kongos Regierung lässt die FDLR gewähren und versorgt sie nach Angaben der Vereinten Nationen bis 2008 noch mit Waffen. Erst Ende 2008 vereinbaren die Regierungen Kongos und Ruandas ein gemeinsames Vorgehen gegen bewaffnete Gruppen im Ostkongo. Die FDLR wird für zahlreiche Kriegsverbrechen in ihren Gebieten verantwortlich gemacht.
Das Völkerstrafgesetzbuch: Dieses Gesetz, das 2002 zur Anpassung des deutschen Rechts an das Statut des Internationalen Strafgerichtshof erlassen wurde, ahndet Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie im Zusammenhang damit Verletzung der Aufsichtspflicht beziehungsweise Unterlassung der Meldung einer Straftat durch Vorgesetzte, die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit. Da Murwanashyaka in Deutschland lebt, ist Deutschland für ihn vorrangig zuständig. D.J.
Neben der Unterstützung militärischer Operationen der kongolesischen Armee hat die UN-Mission Monuc schon Flugblätter mit Telefonnummern ihrer Hotline über dem kongolesischen Dschungel abgeworfen, über Radiostationen Aufrufe von Familienangehörigen in Ruanda in den Busch geschickt. Immerhin: Über 1.000 aktive FDLR-Kämpfer, von zuletzt 6.000, hat die Monuc damit seit Jahresanfang bereits dazu gebracht, den Busch freiwillig zu verlassen. Aber viele andere wurden von ihren Kommandaten daran gehindert, davonzulaufen, schätzt die UNO. "Diese Extremisten sind bereit, tausende ihrer Männer für ihre Interessen zu opfern", seufzt Harald Hinkel, deutscher Entwaffnungsexperte der Weltbank. Sein Fazit: Man sollte an der Spitze der Kommandohierarchie ansetzen.
Die FDLR-Spitze befindet sich in Deutschland. Denn in Mannheim, in einem schlichten Mehrfamilienhaus in Bahnhofsnähe, lebt FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka. Er zieht die Fäden, er gibt alle Befehle. "Wenn wir jemanden aus dem Busch holen, fragen wir immer als Erstes: Wer ist dein Führer?", berichtet Matthew Brubacher von seiner Arbeit mit demobilisierten FDLR-Kämpfern. "Sie sagen alle: ,Ignace!' " Ein UN-Diplomat präzisiert: "Ignace hat die Kontrolle. Es wird in der FDLR keine Entscheidung ohne ihn getroffen."
Die Monuc will es genau wissen. Deswegen sitzt Brubacher in der Mittagspause mit vier hohen FDLR-Offizieren hinter der Wellblechhalle von Mutobo auf der Wiese. Er drückt den Exrebellen ein FDLR-Organigramm in die Hand. Sie lachen, sie kennen das Dokument. "Stimmt das so ungefähr?", fragt Brubacher. Dann schlägt er sein dickes Notizbuch auf. Rang für Rang, Name für Name, Funktion für Funktion geht er mit ihnen die FDLR-Hierarchie durch: Wer gibt die Befehle? Wer ist für Finanzen, Politik, Strategien, Ideologie zuständig? Brubacher lässt sich im Detail erklären, dass die ruandischen Hutu-Militärs im Exil bei der FDLR-Gründung 2000 Murwanashyaka zum Präsidenten auserkoren, weil er - anders als sie - in Hinsicht auf den Genozid eine weiße Weste hat und daher nach außen präsentabel ist.
Offiziere der militärischen Führung bestätigen: Alle wichtigen Entscheidungen - ob die FDLR sich zum Angriff wappnet oder zurückzieht, welche Allianzen sie mit kongolesischen Truppen eingeht - werden in Deutschland getroffen, unter Murwanashyakas Codename "Mihigo". Die UN-Mission im Kongo verfügt über einen Funkspruch der FDLR vom März, der die aktuelle Terrorstrategie der Miliz darlegt, seit sie von Kongos Armee aktiv bekämpft wird: "Versorgungsoperationen durch Schläge gegen die Armee, um Munition und Waffen zu erbeuten, sowie gegen Krankenhäuser und Gesundheitszentren vorgehen, um Medikamente zu erbeuten", werden darin befohlen, und auch: "Die Bevölkerung angreifen, um eine humanitäre Katastrophe zu verursachen."
Brubacher fragt die Exkommandeure, ob sie diesen Befehl kennen. Schelmisch grinsend antwortet einer, der in Murwanashyakas Büro im Kongo Dienst geschoben hat: "Jeder von uns weiß doch, dass solche Befehle später vor Gericht gegen uns verwendet werden können."
Nur zögerlich antworten die Exrebellen. Denn auch hier in Ruanda sitzt den Männern die Angst im Nacken. Desertion wird von der FDLR-internen Militärpolizei streng bestraft. "Weißt du, was mit denen passiert, die davonlaufen und Geheimnisse ausplaudern?", sagt ein Major. Er zeigt auf seine Kehle: "Man wird geköpft, ich hab das oft gesehen."
Der 42-Jährige, der nach 15 Jahren Krieg nun wieder als Ingenieur arbeitet, rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Obwohl er zum Interview die Poolbar im verwinkelten Garten eines Hotels selbst ausgesucht hat, blickt er sich immer wieder nervös um. Sein Kommandant sei bereits umgebracht worden - von einer Brücke gestürzt, flüstert er.
Interviews geben die Männer aus der FDLR-Führung nur unter strikten Bedingungen: Treffen an abgelegenen Orten. Keine Namen, keine persönlichen Details. "Unser politischer Führer lebt in Deutschland, er spricht Deutsch und studiert die Medien", erklärt einer, der im FDLR-Hauptquartier in der ostkongolesischen Region Masisi arbeitete. Dabei lächelt er und spricht stolz von "unserem großen Führer", der mindestens vier Sprachen fließend beherrsche und einen Doktortitel habe. "Wir sind keine Idiotenmiliz!", prahlt er.
Ignace Murwanashyaka kam 1989 nach Deutschland, als Wirtschaftsstudent mit einem Stipendium für die Bonner Uni. Auch während des ruandischen Genozids 1994 hielt er sich in Deutschland auf. Er heiratete eine Deutsche, bekam mit ihr mindestens zwei Kinder. 2001 promovierte er zum Thema "Geldnachfrage in Südafrika". Politisch engagierte er sich als gewählter Deutschland-Vertreter der Hutu-Exilpartei RDR (Sammlung für Demokratie und Rückkehr nach Ruanda), die erste politische Organisation der nach dem Genozid aus Ruanda geflohenen Täter. Aus dieser ging später die FDLR hervor.
Im Februar 2000 beantragte Murwanashyaka in Deutschland Asyl. In seinem 25-seitigen Antrag gab sich der Ruander als politisch Verfolgter aus. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) genehmigte den Antrag binnen 6 Wochen. Seitdem erhält er 432 Euro monatlich staatliche Unterstützung.
Obwohl er sich laut Asylauflagen nicht politisch betätigen darf, zieht Murwanashyaka seitdem von Deutschland aus die Fäden im Krieg der FDLR. Er reiste mit einem ugandischen Pass mehrfach nach Kongo. Bei seiner ersten Reise, nach Kinshasa 2001, wurde er von 30 Wahlmännern, davon mindestens die Hälfte Militärs, einstimmig zum Präsidenten der im Jahr zuvor gegründeten FDLR gewählt. Seitdem ist er Chef des politischen Flügels und Oberkommandierender der Streitkräfte. 2005 wurde er mit 24 von 27 Stimmen im südkongolesischen Lubumbashi wiedergewählt.
Murwanashyaka, sagen Insider aus der FDLR-Führung, ist für die politischen Grundsatzentscheidungen zuständig. Er konsultiert hierfür seinen Stellvertreter Straton Musoni im hessischen Neuffen sowie FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana, der in Paris als Flüchtling anerkannt ist, obwohl gegen ihn ein internationaler Haftbefehl ausgeschrieben ist. Mbarushimana arbeitete während des Genozids bei der UNO in Ruanda und soll Massaker an seinen eigenen Mitarbeitern verübt haben.
Murwanashyakas direkte Untergebene im Kongo sind der FDLR-Militärchef General Sylvestre Mudacumura und bis vor kurzem sein Schwager und Militärsprecher Edmond Ngarambe. Im Februar wurde dieser im Ostkongo gefasst und muss sich demnächst in Ruanda wegen mutmaßlicher Beteiligung am Genozid verantworten.
Militärchef Mudacumura zählt zu Murwanashyakas engsten Freunden, bestätigen hohe FDLR-Offiziere. Der 55-jährige Berufsmilitär erhielt vor dem Genozid eine zweijährige Ausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Dann war er in Ruandas Präsidentengarde, die 1994 aktiv am Völkermord teilnahm. Im Kongo gründete Mudacumura die RDR mit und war für die Beschaffung von Waffen und Munition zuständig. Mit Hilfe Murwanashyakas habe er seine Frau und die beiden Töchter nach Deutschland gebracht. Es heißt, Murwanashyaka kümmert sich noch heute um die Kinder seines Freundes.
Den engen Kontakt zwischen Murwanahsyaka in Deutschland und Mudacumura im Kongo bezeugen die Loglisten der Verbindungen zwischen Murwanashyakas Festnetzanschluss in Mannheim und den von Mudacumura kontrollierten Satellitentelefonen im Kongo, die der UN-Expertengruppe für die Überwachung der Sanktionen gegen Kongos bewaffnete Gruppen vorliegen. Zwischen Dezember 2008 und März 2009 registrierten die Experten über 40 Gespräche von jeweils zwei bis drei Minuten Länge. "Die Telefonate wurden mit dem einsetzenden Effekt der jüngsten Militäroperationen gegen die FDLR häufiger", sagt Dinesh Mahtani, Chef der UN-Expertengruppe.
Auch Paul Rwarakabije telefonierte einst fast jeden zweiten Tag mit Murwanashyaka in Deutschland. Der Vorgänger Mudacumuras als FDLR-Militärchef verließ 2003 die Rebellenmiliz und kehrte nach Ruanda zurück. Heute unterstützt er Ruandas Demobilisierungskommission mit seinem Insiderwissen. Der kleine hagere Mann studiert gebeugt in einem geräumigen Büro die neuesten Zahlen über repatriierte Kämpfer auf seinem Computer. Er hat keine Angst mehr vor seinen ehemaligen Gefährten, sagt er und lächelt.
Über Zweifel, ob Murwanashyaka von Mannheim aus tatsächlich den blutigen Krieg steuert, kann Rwarakabije nur fassungslos den Kopf schütteln: "Aber natürlich!", sagt er. "Ignace gab die Strategie und politische Richtlinie als Befehl an mich und ich musste dies umsetzen." Umgekehrt habe er Berichte nach Deutschland geliefert - per Satellitentelefon oder Internet.
Auch Murwanashayka selbst macht in Deutschland aus seiner Rolle keine Geheimnisse. Auf der FDLR-Webseite steht seine Handynummer. Bis zum Frühjahr veröffentlichte er FDLR-Pressemeldungen auf Deutsch, mit seinem Namen und seiner Unterschrift. Die Webseite war bis Anfang September unter seinem Namen in Deutschland registriert. Gegenüber dem MDR-Magazin "fakt" brüstete er sich vor einem Jahr als Präsident einer straff geführten Organisation: "Ich weiß ganz genau, was passiert", lachte er in die Kamera. Gegenüber der taz äußert er sich jetzt nicht.
Reicht dies nicht aus, um ihm als mutmaßlichem Kriegsverbrecher den Prozess zu machen? Gemäß der "Vorgesetztenverantwortlichkeit" ist er für Verbrechen seiner Organisation verantwortlich, auch wenn er sie nicht persönlich begeht, sondern sie lediglich anordnet oder auch einfach nicht verhindert. Damit wäre Ignace Murwanashyaka ein Fall für das 2002 in Deutschland eingeführte Völkerstrafgesetzbuch. Der Präzedenzfall.
Stattdessen schien Deutschland bislang ein sicherer Hafen für ihn zu sein. Zwischen 2001 und 2006 reiste Murswanashyaka mehrfach zwischen Deutschland und Kongo hin und her. Mit Pomp und Paraden wurde der FDLR-Präsident von seinen Soldaten im Dschungel wie ein Staatschef empfangen. Er unterzog sich einer zweimonatigen Militärausbildung, verhandelte sogar mit der UNO und verteilte über 250.000 Dollar Bargeld. "Meine Einheit erhielt 3.000 Dollar", erinnert sich stolz einer der 30 persönlichen Leibwächter, der ihn 2005 begleitete.
Der hagere Mann hockt jetzt zusammengekauert auf einem Plastikstuhl in einem Gartenrestaurant hinter hohen Mauern. Sein Mobiltelefon, auf dem immer wieder Morddrohungen eingehen, hat er ausgeschaltet. Er kaut nervös am Strohhalm in seiner Limonade, als er von "unserem Präsidenten" redet. Wie ein Feldherr habe Murwanashyaka auf seinem monatelangen Gewaltmarsch von Bukavu nach Rutshuru jedem Bataillon einen Besuch abgestattet und den Kommandanten Bündel mit Dollarscheinen überreicht: "Ich bekam wie alle anderen Soldaten zehn Dollar, die Offiziere erhielten je hundert Dollar und Ignace entschied, dass 1.000 Dollar für Medikamente und Büromaterial investiert werden müssen", zählt er auf. Dass Murwanashyaka mit so viel Bargeld eingeflogen kam, habe die Krieger von seinem politischen Einfluss in Europa überzeugt, sagt der Leibwächter.
Doch Murwanashyaka musste damals auch um Rückhalt feilschen. Bei Verhandlungen mit Kongos Regierung in Rom im Frühjahr 2005 hatte er ein Ende des Kampfes versprochen, falls Ruandas Regierung die FDLR als organisierte Kraft zulasse. Für Ruanda war das inakzeptabel, aber für die Extremisten in der FDLR war selbst Murwanshyakas Kompromissangebot zu viel, erinnert sich der Leibwächter. "Die Völkermörder können sich nach wie vor nicht vorstellen, je wieder mit den Tutsis zusammenzuleben", sagt er. Es kam zu Spaltungen in der FDLR.
Auch in Deutschland kriselte es für den Milizenchef. Im Februar 2006, während seiner letzten Kongo-Reise, widerrief das BAMF Murwanashyakas Asylstatus, nachdem die Behörde sich beim Auswärtigen Amt Informationen über die FDLR verschafft hatte. Doch die Aberkennung konnte nicht zugestellt werden. Seine Frau gab an, Murwanashyaka sei unbekannt verzogen. Tatsächlich befand er sich im Ostkongo. Als die zweiwöchige Zustellungsfrist verstrich, ordnete das BAMF am 1. April 2006 eine öffentliche Zustellung an, was ihm vorübergehend zum Verhängnis wurde: Er landete nach dem Rückflug am 8.April in Abschiebehaft.
Dagegen klagte Murwanashyaka und wurde nach 19 Tagen Haft entlassen. In der Begründung der Richterin heißt es: Die FDLR sei keine straff organisierte Einheit und es gebe keine hinreichenden Beweise, dass die FDLR Verbrechen begehe. Somit treffe die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht zu. Seitdem liegt das Verfahren dem Verwaltungsgericht Bayern zur Prüfung vor.
Es dauerte zwei Jahre, bis wieder Bewegung in die Sache kam. Am 16. Juli 2008 schickte Ruandas Außenministerium einen 28-seitigen Haftbefehl mit sieben Anklagepunkten. Doch Ende 2008 lehnte das Oberlandesgericht Karlsruhe den Auslieferungsantrag nach Ruanda ab: In Ruanda könne ihm kein fairer Prozess garantiert werden. Das OLG prüft das Auslieferungsverfahren nun in zweiter Instanz.
Über all das kann Ruandas Generalstaatsanwalt Martin Ngoga nur den Kopf schütteln. "Wie viele solcher Fälle gibt es in Deutschland denn?", regt er sich auf. Auf seinen engen Fluren in Ruandas Hauptstadt Kigali stapeln sich vergilbte Aktenberge bis unter die Decke. Es sind die Akten des Völkermordes. Ruhig und sachlich spricht Ngoga über die Verantwortlichen, die noch immer frei herumlaufen, teils als FDLR-Mitglieder.
Mittlerweile haben sich in Deutschland die Mühlen der Justiz wieder in Bewegung gesetzt. Am 3. März 2009 wurde Murwanashyaka vom Amtsgericht Mannheim verurteilt, weil er 13-mal gegen seine Aufenthaltsbedingungen verstoßen hatte. Laut diesen darf er sich weder politisch betätigen noch äußern. Aber er hatte weiter Presseerklärungen über seine private Mailadresse verschickt. Nun erhielt er vier Monate Haft, auf Bewährung ausgesetzt. Er muss 160 Stunden gemeinnützige Arbeit erbringen und jeden Wohnsitzwechsel melden. "Sie haben Stillschweigen zu bewahren. Wenn es Ihnen hier nicht passt, gehen Sie in ein anderes Land", donnerte der Richter.
Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten Rechtsmittel ein, die Staatsanwaltschaft forderte acht Monate. Das Landgericht Mannheim verurteilte Murwanashyaka am 18. Juni zu sechs Monaten auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft ging wieder in Revision. Derzeit liegt der Fall beim Oberlandesgericht Karlsruhe.
Dass die Deutschen nun härter durchgreifen, stimmt auch Martin Ngoga milder. Im Mai hat er zum ersten Mal Ermittler der deutschen Bundesanwaltschaft in Bonn getroffen und ihnen Unterstützung angeboten.
Aber er fürchtet, die Deutschen verstehen nicht, worum es geht. Die deutsche Seite macht geltend, dass Murwanashyaka mit einer Deutschen verheiratet sei und Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft habe. Ngoga ist aufgebracht: "Warum soll der Schutz dieser Kinder wichtiger sein als der Schutz all derjenigen Kinder, die jeden Tag von der FDLR entführt, misshandelt und getötet werden?" Dem kleinen ergrauten Mann traut man so viel Emotionalität gar nicht zu. Er zeigt aus seinem Fenster nach Westen, Richtung Kongo, wo die Rebellen in den vergangenen Monaten erneut Dörfer niedergebrannt haben: "Jeder Tag zählt Menschenleben", sagt er.
Die deutsche Bundesanwaltschaft in Karlsruhe will offiziell nichts sagen. Um ein Verfahren gegen Murwanashyaka nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu eröffnen, bei dem es nicht nur um Aufenthaltsbestimmungen geht, sondern um die Untaten der FDLR, benötigen die Ermittler hieb- und stichfeste Zeugenaussagen - von Opfern von Übergriffen, vergewaltigten Frauen, verschleppten Kindersoldaten. Es gibt diese Zeugen - im Kongo, in Burundi, in Ruanda. "Wir haben in Ruanda mehr Zeugen, als die Bundesanwaltschaft benötigt", versichert Ngoga. Deutschland muss sie nur suchen.
Um die Sache zu beschleunigen, hat Ngoga die Akten zu Murwanashyaka sorgfältig in mehreren Sprachen aufbereiten lassen. Die beglaubigten Übersetzungen haben mehrere tausend Dollar gekostet. Abteilungsleiter Jean Bosco Mutangana zieht in seinem Büro einen dicken Heftordner aus dem Regal. Darin befindet sich der 28-seitige Haftbefehl vom 14. Juli 2008, der auch bei Interpol eingegangen ist. Danach blättert man durch eine lange Anklageliste - mutmaßlich von der FDLR oder ihrer Vorgängerorganisation in Ruanda, Burundi, Uganda und Kongo begangene Massaker. "Wir haben zu allen Anklagepunkten Zeugen befragt, deren Aussagen abgetippt und übersetzt", sagt Mutangana. Er hat diese Dokumente höchstpersönlich bei der deutschen Botschaft in Kigali abgegeben. "Doch seitdem kam keine ernstzunehmende Reaktion."
So bleiben die Enthüllungen der FDLR-Kämpfer, die die Rückkehr auf die ruandische Seite der Vulkane schaffen, ungehört. In Mutobo beginnen sie ihr neues Leben. Bei der Frage, warum sie überhaupt so lange kämpften, lachen sie. "Ignace Murwanashyaka in Deutschland hat uns immer Hoffnung gemacht", sagen sie und diskutieren über die Zeit, als er 2006 in Deutschland festgenommen wurde. Damals schien die Moral in der Truppe zu sinken. Doch: "Dass er gleich wieder freikam, hat uns darin bestärkt, wie mächtig er ist", fügt einer hinzu. Matthew Brubacher von der UN klappt kopfschüttelnd sein Notizbuch zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen