Tepco und die Kernschmelze: Fehler im System
Wie der Atomkonzern das Ausmaß der Katastrophe in Fukushima vertuschte. Unterstützung gab es von freundlichen Medien.
BERLIN taz | Im März 2011 kam es nach der Havarie der Atomreaktoren in der Provinz Fukushima zu eklatanten Fehlentscheidungen der Behörden. Unkritische Medien hinterfragten nicht, was ihnen die Regierung an Informationen gab – und schon gar nicht, was ihnen der mächtige Atomkonzern Tepco erzählte. Gründe eines Systemversagens:
Vor der Katastrophe waren Sicherheitsmängel an den Reaktoren längst bekannt. Eine Untersuchungskommission des japanischen Parlaments listet die Mängel auf: Nachdem im Jahr 2006 die japanische Kommission für Nuklearsicherheit neue Richtlinien zur Erdbebensicherheit erlassen hatte, ignorierte sie Tepco einfach. Statt sie, wie vorgeschrieben, bis 2009 umzusetzen, verschob der Konzern die Renovierungen eigenmächtig auf 2016. „Aufsichtsbehörden, Regierung und Tepco als Betreiber haben nicht einmal einfachste Sicherheitsstandards entwickelt“, schreibt die Kommission. Bereits im Jahr 2002 musste Tepco einräumen, die Berichte über Zwischenfälle in seinen Atomkraftwerken jahrelang gefälscht zu haben
Die Atomaufsichtsbehörden tragen dabei mindestens genauso viel Schuld, besonders das Meti, das Wirtschaftsministerium. Es sollte die Sicherheit der Reaktoren prüfen, eigentlich unabhängig. Das allerdings war nie gewährleistet, wegen eines engen Zusammenspiels zwischen Regierung und Atomindustrie – in Japan „Atomdorf“ genannt. Es war jahrzehntelange Praxis, dass ehemalige Beamte in die Atomwirtschaft wechseln, ein Posten als Tepco-Vize war stets einem der früheren Staatsdiener reserviert. Kritische Stimmen oder effektive Kontrollen fehlten komplett. „In Japan gibt es seit langem vielerlei Formen der Unterdrückung in Bezug auf Äußerungen über die Gefahren der Atomenergie“, sagte Naoto Kan, japanischer Ministerpräsident während der Katastrophe, in einem ZDF-Interview.
Während des Unglücks gab es hinter den Kulissen Streit zwischen Tepco und der Regierung. Die warf dem Atomkonzern vor, sie falsch über Schäden und die Maßnahmen am Kraftwerk zu informieren. Erst im Mai 2011, über zwei Monate nach der Katastrophe, räumte Tepco endlich ein, dass es Kernschmelzen in drei Reaktoren gegeben habe. Die Regierung hatte schon einen Tag nach der Katastrophe von einer möglichen Kernschmelze gesprochen.
Die Medien in Japan berichteten nur zaghaft über die Risiken der Atomkraft und die Gefahren nach dem Unfall. Grund ist, dass sich die Energiekonzerne in Japan direkt an Medienhäusern beteiligen. Das berichtet der bekannte japanische Journalist Takashi Uesugi der taz. Der Einfluss auf die Berichterstattung sei zum Teil massiv gewesen. „Wer sich daran hielt, der machte Karriere. Wer nicht, der wurde gefeuert“, so Uesugi. Mittlerweile ändert sich die Situation allmählich, sagt der Journalist – weil viele Japaner das Vertrauen in die Medien verloren hätten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker