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Tennis Angelique Kerber will das Turnier in Indian Wells nutzen, um nach ihremgroßen Triumph bei den Australian Open wieder mit Leistungen zu überzeugenAnkommen im Alltag

aus Indian Wells Doris Henkel

Nach einer schönen, langen Reise in die Realität des Alltags zurückzukehren ist nicht leicht; man erwischt sich immer wieder bei der Vorstellung, wie es wäre, einfach weiter geradeaus zu fahren. Vor sechs Wochen gewann Angelique Kerber in Melbourne den großen Titel. Nach wie vor leuchten ihre Augen, wenn sie daran denkt oder darüber spricht. „Ich wache nachts noch manchmal auf und denke daran. Seit Jahren hatte ich das Gefühl, irgendwann so ein Ding gewinnen zu können, aber auch viele Zweifel. Und jetzt ist es da. Das ist ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann.“

Aber irgendwann muss selbst die glücklichste Siegerin auf den Boden der Tatsachen zurückkehren, und ob Herz und Kopf noch an Bildern und Erinnerungen hängen, darf dabei keine Rolle spielen. Beim ersten Turnier nach dem Sieg in Melbourne in der letzten Februarwoche in Doha verlor Kerber in der ersten Runde gegen eine Chinesin namens Zheng Saisai, Weltranglistenplatz 73. Danach sagte sie, sie sei noch nicht wieder bereit gewesen nach dem Trubel vor allem in der Woche des Fed Cup kurz zuvor in Leipzig. Fernsehauftritte, Sponsorentermine, Interviews in nie zuvor erlebter Dichte hatten nach ihrer Rückkehr aus Australien Spuren hinterlassen. Kann es sein, dass sie im allgemeinen Überschwang vielleicht ein wenig zu viel von allem mitnahm? „Das würde ich nicht sagen. Für mich war es gut, obwohl klar war, dass ich irgendwann einbrechen werde. Aber diese Momente hatte ich mir doch immer gewünscht, dass Deutschland ausflippt; ich wollte einfach genießen, wovon ich immer geträumt habe.“

Nach der Niederlage in Doha gönnte sie sich ein paar freie Tage, auch um den Kopf durchzupusten, dann kehrte sie zur Arbeit zurück. Diesen Samstag im ersten Einzel in Indian Wells gegen die Tschechin Denisa Allertova wird sie feststellen, wie der Stand der Dinge ist. Ob wieder Kraft in den Beinen ist und ob sie es schaffen kann, mit der gleichen Ausdauer und Entschlossenheit zu spielen wie in Australien. Natürlich ist ihr klar, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Aus der Rolle der Angreiferin kommend, wird sie jetzt diejenige sein, die das Terrain verteidigen muss. „Ich weiß, dass jetzt alle alles geben, um mich zu schlagen“, sagt sie. „Aber von so einer Situation träumst du doch dein Leben lang.“

Irgendwie ist das schon eine verrückte Geschichte. Vor einem Jahr verlor Angelique Kerber in der ersten Runde in Indian Wells, nachdem sie schon in Doha in der ersten Runde verloren hatte und auch zu Beginn des Jahres bei den Australian Open. Im Februar rutschte sie zum ersten Mal nach drei Jahren aus den Top Ten, und damals sah es so aus, als trete sie auf der Stelle. Aber nach der Niederlage in Indian Wells fuhr sie in Las Vegas bei Steffi Graf vorbei, die ihr riet, sich nicht verrückt machen zu lassen und darauf zu vertrauen, die richtigen Dinge zu tun.

Und jetzt? Hat sie einen Grand-Slam-Titel in der Tasche nach einem grandiosen Sieg ­gegen die Beste des Tenniszirkus, Serena Williams, steht in der Weltrangliste an Nummer zwei und nähert sich der nächsten Bewährungsprobe. „Ich komme langsam mit allem klar“, sagt Kerber über die veränderten Bedingungen. „Trotzdem muss ich sagen, dass immer noch alles neu ist, weil ich so viele Sachen abseits des Spiels zu machen habe wie nie.“

„Ich habe festgestellt, dass man es nicht allen Leuten recht machen kann“

Kann es sein, dass die Sache kompliziert werden wird, sollte es noch eine Weile dauern, bis sie die Kurve wieder kriegt? Hat sie Angst davor, dass die Leute dann denken könnten: Wo ist sie denn geblieben, unsere Grand-Slam-Siegerin? So eine Frage hätte sie früher vielleicht in die Enge getrieben, jetzt hört sie zu und antwortet unaufgeregt, aber bestimmt: „Das wird man sehen. Aber ich hab nicht wirklich Angst. Ich hab festgestellt, dass man es nicht allen Leuten recht machen kann. Wichtig ist, dass ich weiß, was ich für richtig halte, und so werde ich das auch weiter durchziehen. Egal, wie die Ergebnisse sind.“

Vielleicht wird es schon in Indian Wells eine Antwort darauf geben, vielleicht auch nicht.

Angelique Kerber glaubt, um mit der neuen Situation umgehen zu können, werde es Zeit und Erfahrung brauchen. Und Geduld. Es sind die gleichen Attribute, die ihr auf der langen, viele Jahre dauernden Fahrt nach Melbourne halfen. Nur der Ausgangspunkt liegt jetzt auf einer anderen Ebene, ein paar Etagen höher als zuvor. „Ich fühle mich gut und gesund, habe gut gearbeitet in den vergangenen Tagen“, sagt Kerber, die nach einem Freilos auf die Gewinnerin des Duells zwischen den Tschechinnen Cetkovska und Allertova trifft.

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