: Televisionäres Raum-Zeit-Hopping
■ Berno Kürtens Kurzfilm »Tele-Vision« lief bislang vor wenigen Zuschauern im Film-Palast Berlin
Angstvoll blickt der kleine Junge mit Schirmmütze und Zwille ins kahle Labyrinth der Tiefgarage. Vor ihm liegt mäuschenstill ein tödlich getroffener Agent auf dem Beton. Eben noch in der schicken Berliner Altbauwohnung seiner Eltern, stockt Ulli nach dem hilfsbereiten Sprung ins Fernsehbild der Atem: von innen sind die Bedienknöpfe des TV-Geräts unerreichbar. Ohne Fernbedienung ist Ulli in der virtuellen Realität dem Stepper hilflos ausgeliefert. Mit einem letzten Seufzer überträgt der Serienheld seinen Auftrag, den gemeingefährlichen Frauenmörder zur Strecke zu bringen, auf den Kleinen: »Du bist doch der einzige, der diese Scheißsendung sieht.«
Oh wundersame Verdopplung der Bilder: Auch während der Projektion des 15minütigen Streifens sitzen nur zwei Zuschauer im gewaltigen Zuschauerraum des Film-Palasts Berlin, wo »Tele-Vision« für zwei Wochen als Vorprogramm des US- Schmachtfetzens Mein Doktor — Ein gewöhnlicher Patient zu sehen ist. Außer meinem Freund Stephan und mir war am Premierentag niemand zur Spätvorstellung erschienen.
Selbst der blutrünstige Protagonist hat schließlich genug: es gelingt ihm, aus dem beschränkten Rahmen der TV-Serienfigur auszubrechen. Seine Seelenwanderung durch die audiovisuellen Aufzeichnungsmaterialien führt ihn von der MAZ in die klischeehafte Zelluloid-Wirklichkeit von Kürtens 35-mm-Kurzfilm.
Braver als das Kleine Fernsehspiel führt Kürtens erstmals 1989 im Wettbewerb der Berlinale gezeigtes Werk die Verschmelzung von Fiktion und Realität wie im Sachkundeunterricht vor. Videoaufnahmen für Fiktion, das qualitativ hochwertigere Zelluloid für die Wirklichkeit im Film zeigen dem im Raum-Zeit- Hopping gänzlich unerfahrenen Publikum stets den aktuellen Standort an. Alice im Wunderland und Purple Rose of Cairo — wer kennt das schon? Routiniert lustlos wird mit schönen Bildern zur Musik von Yello eine Geschichte abgespult, deren Ende von Beginn an klar ist: Ulli wird aus der Fernsehwelt nicht mehr zurückkehren. Auch Romy Haag in einer Nebenrolle vermag das blutleere Spektakel nicht zu retten.
Ein, zwei Kontinua weiter verlassen wir den Kinosaal, bedanken uns beim Personal, das freundlich seinen Feierabend um eine Viertelstunde verschoben hat, und treten in eine besser dramatisierte Wirklichkeit ein. Stefan Gerhard
Tele-Vision läuft voraussichtlich bis zum 13. Februar jeweils um 15.00, 18.30, 20.30 und 22.45 Uhr vor dem Hauptfilm im Film-Palast Berlin, Kurfürstendamm 225.
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