Telefon- und Internetüberwachung: Schäubles Abhörzentrale
In Köln hat der Innenminister eine Abhörzentrale eingerichtet. Bald sollen Polizei und Verfassunggschutz dort gemeinsam die Technik nutzen. Aber noch gibt es nicht einmal ein Gesetz.
Ein vertrautes Kamingespräch in Bad Saarow im vergangenen Jahr: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will mit einer Bundesabhörzentrale die Überwachung von Telefon und Internet perfektionieren. Davon versucht er die Ministerkollegen der Länder zu überzeugen.
Auf der gemeinsamen Innenministerkonferenz eröffnet Schäuble seinen Länderkollegen, auf welche Szenarien sich die Sicherheitsdienste einstellen müssen: Kriminelle und Terroristen tarnen sich, indem sie ausländische Telefon- und Internetanbieter benutzen, ihre IP-Adressen durch Anonymisierung unkenntlich machen und den Internetverkehr verschlüsseln. Das Bundesinnenministerium resümiert in dem Dokument, das der taz vorliegt: die Sicherheitsdienste verfügen über zu wenig neue Technik und Fachleute, um diesen Herausforderungen gerecht werden zu können.
Um diesen neuen Gefahren zu begegnen, hat das Bundesinnenministerium gerade für knapp 10 Millionen Euro eine zentrale Abhörstelle für das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei in Köln eingerichtet. Der Minister setzt damit Maßstäbe. Denn Stück für Stück soll die "Zentralstelle für Kommunikationstechnlogien", so ihr offizieller Name, ausgebaut werden. Ab 2013 soll sich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beteiligen. Und ab diesem Zeitpunkt sind auch die Polizeien und Verfassungsschutzämter der Länder eingeladen, die Bundesabhörzentrale zu nutzen.
1. Werden in der Abhörzentrale nur Telefone abgehört?
Nein. Heute spricht man von Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Dazu gehört auch das Mitlesen von Fax- und Email-Verkehr. Betroffen ist - nach richterlicher Anordnung - jeweils ein bestimmter Mobilfunk- oder Festnetz-Telefonanschluss oder ein konkreter DSL-Internetanschluss. Während der Überwachung wird für den jeweiligen Anschluss eine Kopie des Datenstroms aus dem digitalen Telefonnetz oder aus dem Internet an die Abhörzentrale geleitet. Dort werden die Daten aufbereitet (decodiert) und dann an die Polizei weitergeleitet.
2. Ist die neue Abhörzentrale jetzt für jegliche Telekommunikations-Überwachung in Deutschland zuständig?
Nein. Der Großteil der TKÜ-Maßnahmen in Deutschland wird weiterhin von den Landespolizeien durchgeführt. Bundesweit gab es 2007 rund 45.000 polizeiliche TKÜ-Maßnahmen. Hinzu kommen die Maßnahmen des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern, die zahlenmäßig aber deutlich geringer sind. Das BKA hat 2008 dagegen "nur" rund 1.000 TKÜ-Maßnahmen durchgeführt, vor allem im Bereich Terrorismus und Schwerkriminalität. Bei der Bundespolizei, dem Ex-Bundesgrenzschutz, waren es knapp 2.000 Maßnahmen, unter anderem gegen Schleuser. Größere Bedeutung wird die Zentrale ab 2013 bekommen, wenn sich Verfassungschutz und Länderbehörden anschließen können.
Wolfgang Schäuble will die zersplitterte Überwachungslandschaft harmonisieren und leistungsfähiger machen. Derzeit gibt es bei den 38 deutschen Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern noch mehr als 75 verschiedene Anlagen zur Telekommunikationsüberwachtung (TÜK). In der neuen Zentralstelle sollen die Behörden die moderne Überwachungstechnik gemeinsam nutzen.
Offizieller Anlass für Schäubles Initiative waren Engpässe bei der Überwachung der islamistischen Sauerlandgruppe, die derzeit vor Gericht steht. Rädelsführer Fritz Gelowicz verschickte oft Botschaften aus Internet-Cafés. Dabei musste jeweils der Datenverkehr des gesamten Internetcafés gespeichert und ausgewertet werden, um Gelowicz' Botschaften herauszufiltern.
Mit diesen Datenmengen waren Polizei und Verfassungsschutz teilweise überfordert. Schäuble glaubt, dass neue leistungsfähige Computer am besten bei einer zentralen Stelle angesiedelt sind und dann von vielen Sicherheitsbehörden gemeinsam genutzt werden. Auch Decoder-Software für ständig neue Kommunikationsangebote im Internet müsse jeweils nur einmal beschafft werden.
Schon in der Planungsphase protestierte vergangenes Jahr der Bundesrechnungshof. Die unabhängigen Beamten widerlegten in einem vertraulichen Papier, das der taz vorliegt, dass eine zentrale Abhörstelle günstiger sei. Im Gegenteil: Das Innenministerium habe sogar Kosten verschwiegen. Denn kurz zuvor wurde für den Bundesverfassungsschutz eine neue eigene TKÜ-Anlage angeschafft, die ihn auch noch mehr als fünf Jahre vertraglich an einen inkompatiblen Software-Lieferanten bindet. Doch Schäuble setzte sich über die Bedenken hinweg.
Inzwischen hat die neue Abhörzentrale ihre Arbeit aufgenommen, zunächst ohne den Verfassungsschutz. Ein "Service-Center" stellt modernste Computer und Software zur Verfügung. Ein "Kompetenzzentrum" dient daneben als Denkfabrik der Sicherheitsbehörden. Angesiedelt ist die gemeinsame Abhör-Infrastruktur beim Verwaltungsamt des Bundes (BVA) mit Sitz in Köln. Dort wurden auch 43 neue Stellen geschaffen, 33 für die TKÜ-Anlage im Service-Center und zehn Stellen für die Experten im Kompetenzzentrum. Damit hat Schäuble Fakten geschaffen.
Peter Schaar, der Datenschutz-Beauftragte hält die Einrichtung jedoch für illegal, weil "die erforderliche gesetzliche Grundlage" fehle. Die Einschaltung einer zusätzlichen Behörde stelle einen neuen Grundrechtseingriff dar.
Schäuble weist den Vorwurf zurück. Die neue Zentralstelle in Köln verwalte nämlich nur die Technik, während die eigentlichen Abhörmaßnahmen von der Polizei in eigener Verantwortung geplant und ausgewertet werden. Deshalb seien auch die bisherigen Gesetze ausreichend, die dem Kriminalamt und der Bundespolizei schon jetzt die Überwachung von Telekommunikation erlauben. Schäubles Argumentation hat sogar Justizministerin Zypries (SPD) überzeugt, die anfangs auch ein Gesetz forderte.
Als Kompromissangebot ließ der Innenminister jetzt erklären, dass sich die Regierung in einigen Jahren freiwillig Mehrheiten für ein Gesetz suchen werde - aber erst wenn ab 2013 auch der Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden der Länder die Abhörzentrale nutzen können. Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten sei aber auch dann nicht verletzt, die Daten blieben schließlich streng getrennt, so Schäuble, auch wenn alle Sicherheitsbehörden die gleiche Technik benutzen.
Schäubles kunstvolle Konstruktion hat allerdings leicht skurile Folgen, wenn es technische Probleme gibt. Für die Behebung einer Störung sind dann zwar die BVA-Beamten zuständig, die aber auf keinen Fall Zugang zu den Daten der Anlage bekommen sollen. Deshalb müssen sie dabei von Polizei-Experten unterstützt werden, die auch in Telefonate hineinhören und Emails lesen dürfen.
Auch Bundespolizist Jörg Radek, Hauptpersonalrat beim Bundesinnenministerium, findet die Konstruktion mit der neuen Zentralstelle umständlich: "Dieser Umweg bedeutet eine zusätzliche Schnittstelle für jede Polizei- oder Sicherheitsbehörde mit einem Mehr an Verwaltungsaufwand und zusätzlichem Rückfragebedarf."
Schäuble und seinen Nachfolgern könnte solche Kritik sogar gelegen kommen. Wenn sie mittelfristig aus der Abhörzentrale doch eine neue Behörde machen wollen, die auch selbstständig die Überwachungsmaßnahmen durchführt, könnten sie darauf verweisen, dass dies ja noch viel effizienter wäre. Schäubles Vorbild ist schließlich die amerikanische National Security Agency (NSA), ein selbständiger Überwachungs-Geheimdienst, wie das vertrauliche Dokument der Innenministerkonferenz in Bad Saarow belegt.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste, warnt: "Wenn beispielsweise der BND, der für Auslandsaufklärung zuständig ist, schließlich auch noch mit eingemeindet wird, weil die Technik für alle ja so gut funktioniert, dann haben wir am Ende eine zentrale deutsche Sicherheitsbehörde".
Von großer Bedeutung ist aber, ob auch die Bundesländer mitmachen, denn über ihre Behörden läuft der Löwenanteil der Kommunikationsüberwachung. Zwingen kann Schäuble sie nicht. Er kann nur darauf spekulieren, dass sie sich die Nachbesserung ihrer eigenen Sicherheitstechnik immer weniger leisten können und dann lieber die Bundesabhörzentrale quasi zur Untermiete nutzen wollen.
"Jeder Länderinnenminister wird blass aussehen, wenn er begründen soll, warum er in neue Sicherheitstechnik investieren will, die der Bund ihm doch zum Mietpreis anbietet", erklärt der Sprecher für Innere Sicherheit von Bündnis 90/Die Grünen, Wolfgang Wieland. "Sollte also in einem Bundesland eine Fahndungspanne oder gar ein terroristischer Anschlag passieren, kann man hinterher sagen: das liegt doch daran, dass sich dieses Bundesland dem Angebot widersetzt hat, das wir so kostengünstig anbieten".
So könnte die bundeseigene Abhörzentrale politische Fakten durch finanzielle Sachzwänge schaffen. "Innere Sicherheit ist insbesondere auch Ländersache. Wenn man das nicht will, muss man das aber politisch auch ganz klar artikulieren", sagt Frank Richter von der Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen. Und: "Es geht darum, eine neue Sicherheitsarchitektur auf kaltem Wege einzuführen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Habeck fordert Milliardärssteuer
Wer glaubt noch an Robert Hood?
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Gründe für das Aus der SPD-Kanzler
Warum Scholz scheiterte