Telearbeit - ein Privileg für Handverlesene

Beschäftigte würden gerne flexibel arbeiten - wenn die Chefs es nur gestatten würden / Je kleiner der Betrieb, desto größer die Sorge vorm Kontrollverlust über HeimarbeiterInnen

,Neue Medien, neue Arbeitsformen - neue Zeiten?“ Unter dieses Thema hat die Bremer Angestelltenkammer eine Veranstaltungsreihe gestellt, die sich vor allem an Frauen richtet. Heute abend werden die Soziologin Cornelia Brandt (DAG, Hamburg) und die Pädagogin Jutta Reiter (DGB, Düsseldorf) zur Frage: ,Schöner arbeiten online?“ sprechen. Vorab befragte die taz Cornelia Brandt zur Entwicklung des Telearbeitsmarktes - für den es in Bremen übrigens keine verlässlichen Daten gibt. Klartext: Niemand weiss, wie viele Betriebe Bildschirmarbeitsplätze ganz oder teilweise ausgelagert haben - oder ob sich der bundesweite Trend, dass Telearbeitsplätze von beiden Geschlechtern gleichermaßen favorisiert werden, auch in Bremen hält.

taz: Telearbeit ist in Norddeutschland weniger verbreitet als im Süden. Außerdem hat sie sich nicht so durchgesetzt wie noch vor Jahren erwartet wurde. Woran liegt das?

Cornelia Brandt, DAG: Es gibt verschiedene Widerstände, die meist weniger bei den Beschäftigten liegen als bei den Betrieben. Diese müssten sich völlig neuen Aufgaben stellen - indem sie ermöglichen, dass ihre Beschäftigten außer Haus arbeiten. Dies wird aber nur mühsam bewältigt. Es werden dazu kaum Betriebsvereinbarungen geschlossen. Auch gibt es noch ganz viele Probleme im Datenschutz.

Wo unterscheiden sich mittelständische da von großen Unternehmen?

In den großen Firmen tut man sich insgesamt leichter, weil man mehr Erfahrung mit flexiblen Arbeitsformen hat. In kleinen Betrieben ist das schwieriger - auch wenn die Bundesregierung versucht, Telearbeit beispielsweise mittels Wettbewerben zu fördern. Wieso ist das so? Man könnte doch annehmen, dass gerade die kleinen Betriebe flexibel reagieren würden - auch weil sie qualifizierte Mitarbeiter halten müssen.

Ja, aber noch herrscht die große Sorge vor, dass man die Beschäftigten nicht unter Kontrolle hat. Daneben darf man aber auch rechtliche Unsicherheiten nicht unterschätzen.

Worin liegen die? Beispielsweise in der Frage, wie Firmendaten datenschutzrechtlich gesichert sind. Wenn Beschäftigte sie zu Hause haben, könnte etwas nach außen gelangen. Oder es gibt die Frage, was passiert, wenn es technische Probleme gibt: Wer haftet, wenn Daten verloren gehen, wenn die Tastatur kaputt geht ...

Aber das könnte ja in der Firma genauso passieren.

Ja, aber der Unterschied ist, dass es in der Firma direkte Kontrolle gibt - während die Privatwohnung rechtlich besonders geschützt ist. Da müssen erst extra Vereinbarungen geschlossen werden, damit Personalräte, Arbeitsschutzbeauftragte und andere Zugang zur Wohnung haben.

Hatte man vor 20 Jahren nicht noch ganz andere Vorstellungen von Telearbeit als heute? Ja, damals dachte man bei Tele-arbeit an Auftragsarbeit, die als Heimarbeit ausgeführt werden sollte und die sozial nicht abgesichert war. Heute gibt es dagegen moderne Formen der Telearbeit, die es erlauben, sich die berufliche Arbeit flexibel einzuteilen. In sehr vielen Fällen wollen Beschäftigte gerne tele-arbeiten. Allerdings muss man in den Betrieben noch viel Fantasie entwikkeln, damit es klappt. Beispielsweise müssen interne Kommunikationsstrukturen funktionieren, die die Tele-Arbeiter mit einschließen. Telearbeit ist eben nicht, alleine zu Hause arbeiten. Oft wird sie teils im Betrieb, teils zu Hause erledigt.

Früher dachte man sich Telearbeit als Frauenarbeit. Quasi Schreibarbeit, während das Kind nicht weit ist. Hat sich das Modell eigentlich erledigt?

Eigentlich nicht. Es gibt einen Anteil von Telearbeit, der durch unser Erziehungsurlaubsgesetz befördert wird. Das Gesetz bietet Müttern die Möglichkeit, 19 Wochenstunden zu arbeiten - und Arbeitgebern, ihre qualifizierten Arbeitnehmerinnen an sich zu binden. Eine andere Form der Telearbeit geschieht, wenn aus Großbetrieben, wo schon mit Computern gearbeitet wird, qualifizierte Leute Teile der Arbeit auslagern wollen. Das ist dann eher eine Männerdomäne - wobei es darüber noch keine verlässlichen Zahlen gibt.

Wo sehen Sie die Zukunft der Telearbeit? Es wird eine Arbeitsform sein, die sich durchsetzt - aber überwiegend nur zeitweise, oder auf Projekte bezogen. Noch herrscht allgemein Vorsicht - so dass es nur sehr langsam vorangeht.

I st das aus gewerkschaftlicher Sicht nicht Anlass zur Freude? Sie hatten doch immer Sorge, an Einfluss zu verlieren.

Wir haben tatsächlich noch irgendwo uralte Beschlüsse, dass wir gegen diese Arbeit überhaupt sind. Aber natürlich haben heute auch die Beschäftigten der Gewerkschaften Interesse an Telearbeit. Mittlerweile gibt es ein gewerkschaftliches Call-Center zur Beratung von Tele-Beschäftigten. Die Leute brauchen gewerkschaftliche Unterstützung und Netzwerke - gerade wenn sie zu Hause arbeiten.

Können Beschäftigte sich eigentlich wehren, wenn sie telearbeiten sollen - statt ganztags im Betrieb? Im Moment läuft Telearbeit überall auf freiwilliger Basis. Dabei ist die Lage eher so, dass viele Beschäftigte Telearbeit machen möchten - aber nur handverlesene Mitarbeiter dies dürfen. Noch ist telearbeit ein Privileg für Beschäftigte, die schon bewiesen haben, dass sie selbstständig arbeiten können.

Worauf muss man achten, wenn man tele-arbeiten will oder soll?

Einige Grundfragen sind: Wie wird die Arbeitszeit geregelt und erfasst? Welche Kontrollen gibt es, wie ist man erreichbar, gilt der Arbeitsvertrag weiter, wie sieht es mit der Weiterbildung aus, wer bezahlt die Geräte, wie ist es mit dem Datenschutz? Optimal wäre, wenn die Beschäftigten die Option haben, später wieder umzusteigen.

Früher hieß es, Telearbeit sei ideal für Frauen. Würden Sie das heute noch so sagen?

Das kommt auf die Frau an. Diese Vereinbarkeitsgeschichte - also Beruf und Familie unter einem Dach - ist keine ideale Voraussetzung für qualifizierte Berufsarbeit. Ich habe selbst drei Kinder und weiß, wie es aussieht, wenn man da ungestört arbeiten will. Was aber die Zeit im Erziehungsurlaub angeht, kann das sehr nützlich sein.

Fragen: Eva Rhode

20 Uhr, Angestelltenkammer, Violenstraße 3