Teilhabe-Bürokratie: Zum Amt turnen
Bremer Sportvereine drohen, aus dem Bildungs- und Teilhabepaket auszusteigen: Der Verwaltungsaufwand ist immens, die Behördengänge häufen sich.
Seit diesem Jahr unterstützt der Bund Kinder aus hilfsbedürftigen Familien mit zehn Euro für die Mitgliedschaft in Sport- oder Kulturvereinen. Doch dieses Teilhabepaket bedeutet einen extremen Verwaltungsaufwand, klagen Bremer Sportvereine. Denn das Geld wird den Betroffenen nicht direkt ausgezahlt: Die Vereine bekommen es vom Jobcenter oder dem Sozialamt überwiesen. Wegen der bürokratischen Hürde drohen laut Tina Brinkmann vom Landessportbund etliche Clubs, aus dem Teilhabepaket auszusteigen.
So weit sei der Turnverein Walle noch nicht, sagt dessen Geschäftsführerin Tina Ahrens. Aber auch dort bereite das Verfahren Probleme. Die Mitarbeiterin der Buchhaltung verbringe die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit den Teilhabe-Anträgen, "Tendenz steigend", sagt Ahrens. "Das geht jetzt erst richtig los, weil es sich langsam im Stadtteil herumspricht."
Von 2.000 Mitgliedern würden derzeit 45 Kinder und Jugendliche die Mitgliedsbeiträge vom Amt erstattet bekommen - allerdings müssen deren Eltern die Monatsbeiträge von durchschnittlich sieben bis neun Euro für ein Vierteljahr vorstrecken. Bis die Behörde das Geld wiederum aufs Vereinskonto überwiesen hat, vergehen Ahrens zufolge manchmal wenige Tage, mitunter aber bis zu zwei Monaten. Dann weiß der Verein allerdings noch nicht, welchem Kind er jetzt die Monatsbeiträge zurückerstatten kann: Auf der Überweisung steht nur eine Kennziffer. Wer sich dahinter verbirgt, müsse in der Regel telefonisch geklärt werden, so Ahrens. Wegen der eingeschränkten Erreichbarkeit der Behörden sei das eine langwierige Angelegenheit.
In einem Brief an die Sozialsenatorin klagen die Vorsitzenden von vier Vereinen außerdem darüber, dass sie den Betroffenen erst einmal das Verfahren erklären müssen. Ein solches Beratungsgespräch dauere im Schnitt 15 Minuten, heißt es in dem Schreiben. Erklären müssen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Geschäftsstellen - die meistens nur wenige Stunden in der Woche geöffnet haben - wie ein Antrag gestellt wird: Zunächst müssen die Betroffenen ihre blaue Karte einreichen, die ihren grundsätzlichen Berechtigungsanspruch nachweist. Auf einem Formular weist der Verein die Höhe des Beitrags nach. Damit gehen die Mitglieder wieder ins Jobcenter. Wenn dieses die Kostenerstattung bestätigt, müssen sie mit dem entsprechenden Bescheid wieder zurück zum Verein. Je nachdem, für welchen Zeitraum der Familie eine Hilfebedürftigkeit bescheinigt wurde, wiederholt sich das Prozedere nach drei bis sechs Monaten.
Daran, das teilte ein Vertreter der Sozialsenatorin vergangene Woche in einer Sitzung des Sportsenators mit, ließe sich aus rechtlichen Gründen nichts ändern. Nachvollziehbar nennt die Kritik der Vereine Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin. "Wir müssen das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung umsetzen und versuchen, den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten."
Derzeit werde überlegt, das Bremerhavener Modell zu übernehmen, in dem Gutscheine ausgegeben werden. Doch der Vorteil hält sich in Grenzen. Zwar müssen die Familien offenbar kein Geld vorschießen und auf den Überweisungen stehen keine Kennziffern, sondern die Mitgliedsnamen. Doch hoch bleibt der Verwaltungsaufwand für die Vereine trotzdem. Anderthalb Stunden gingen pro Antrag drauf, schätzt Kerstin Schildt vom Verein Sport Freizeit Leherheide. Betroffen seien derzeit 80 von 1.600 Mitgliedern. Aus dem Programm aussteigen komme wegen des soziales Auftrags des Sports nicht in Frage, sagt sie. "Wir sind froh über jedes Kind, das zu uns kommt und nicht auf der Straße landet."
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