Teenager mit Downsyndrom: Ringer schließen Behinderten aus
Ein Teenager darf nicht mehr im örtlichen Sportverein mitmachen - weil er das Downsyndrom hat. Doch darf ein gemeinnütziger Verein Behinderte abweisen?
BERLIN taz Am Eingang zur Turnhalle kam das Aus. Ihr Sohn könne nicht mehr mitmachen, erfuhr Magdalena Federlin. Er dürfe nicht mittrainieren in der Ringertruppe des örtlichen Sportvereins. Als die Mutter sich weigerte, die Halle zu verlassen, riefen die Vereinsoberen die Polizei. "Ich verstehe das nicht", sagt Federlin. "Es lief doch alles bestens."
Der 12-jährige Junge aus dem bayerischen Aichach hat das Downsydrom. Mehrere Wochen lang hatte er - auf Einladung eines Trainers - in der Ringergruppe des Turn- und Sportvereins (TSV) mitgemacht. Im Dezember aber schritt der Vorstand ein. Seither führen Mutter und Verein einen Streit, der um Grundsatzfragen kreist: Darf ein gemeinnütziger Verein die Aufnahme eines Kindes ablehnen, nur weil es das Downsyndrom hat? Wie viel Teilhabe dürfen Eltern einfordern? Und ab wann ist es akzeptabel, wenn die Gegenseite abwinkt?
Die Interessenlage immerhin ist klar. Die Eltern wünschen sich für ihr Kind ein möglichst normales Leben. Federlin etwa möchte, dass die Kinder aus dem Ort ihren Sohn "nicht mehr anstarren wie ein Marsmännchen". Sie will nicht, dass ihr Kind in einer Parallelwelt lebt, in der es vor allem Menschen mit Behinderungen gibt.
Jahrelang kämpften die Eltern vergeblich dafür, dass ihr Sohn die Grundschule am Ort besuchen darf. Nun möchten sie ihn wenigstens in der Freizeit in der Nachbarschaft verankern. "Die Kinder lernen sonst nicht, das Andere zu akzeptieren", so die Mutter. Sie sollen es normal finden, ein Kind mit Downsyndrom in ihrer Mitte zu haben, ihre Vorurteile sollen schwinden.
Das Downsyndrom, auch Trisomie 21 genannt, ist eine Mutation, bei der das 21. Gen dreifach vorhanden ist. Die Betroffenen weisen einige körperliche Besonderheiten auf. Meist sind sie geistig behindert, können aber in vielem ganz normal am Alltagsleben teilhaben.
Aus Sicht der Mutter war dies auch in der Ringertruppe möglich: Ferdinand habe freundschaftliche Beziehungen zu den anderen Sportlern aufgebaut. Nur zwei Wochen zuvor habe man gemeinsam Ferdinands Geburtstag gefeiert. Der Junge habe große motorische Fortschritte gemacht. Und beim Training habe er niemand gestört.
Die Gegenseite sieht das naturgemäß anders. "Wir haben es doch versucht mit dem Jungen", sagt Klaus Laske, Vorsitzender des TSV Aichach. "Aber der Versuch ist gescheitert." Ein paar Wochen lang hätten die Übungsleiter den Jungen mitringen lassen. Auf Dauer aber hätten sie es als zu schwierig empfunden, einen Jungen mit Downsyndrom in eine ganz normale Sportgruppe zu integrieren. "Die Übungsleiter fühlten sich überfordert. Sie haben doch keine spezielle Ausbildung für den Umgang mit Behinderten."
Der Fall ist auch aus juristischer Sicht interessant. Er wirft die Frage auf, ob das Abweisen eines Behinderten überhaupt rechtens ist. Immerhin gilt ja seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Behinderte vor Benachteiligungen bewahren soll.
Ob es aber Ferdinand einen Platz in seiner Ringerriege sichert, ist keineswegs eindeutig. Grundsätzlich sei "bei dem geschilderten Fall das AGG anwendbar", sagt Karl Moehl von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Das bedeute aber nicht zwangsläufig, dass der Verein gesetzwidrig handelte. "Benachteiligungen wegen einer Behinderung können gesetzlich ge rechtfertigt sein, wenn ein sachlicher Grund vorliegt", so Moehl. Ob das hier der Fall sei, könne nur ein Gericht klären. "Präzedenzfälle dazu sind uns nicht bekannt."
So bleibt der Mutter vorerst nur der Appell an die Vereinschefs - und der Verweis auf Vorbilder. Im nahen Friedberg etwa, erzählt die Mutter, turnt schon seit Jahren ein Mädchen mit Downsydrom im ganz normalen Sportverein. Auch Ferdinand hat nun eine sportliche Heimat gefunden - zumindest für die Winterzeit. Er macht jetzt einen Skikurs. Die "Grubetfreunde Aichach" haben nichts gegen einen ungewöhnlichen Mitfahrer einzuwenden.
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