Technoumzug am Samstag in Berlin: „Kein Aufguss der Loveparade“
20.000 Menschen sollen am Samstag durch die Stadt ziehen. Mit der Loveparade habe das nichts zu tun, sagt Organisator Jens Schwan. Der Liebeszug sei eine Demo.
taz: Herr Schwan, auf der von Ihnen mitveranstalteten Demo mit dem Namen „Zug der Liebe“ werden zehn Wagen mit DJs durch die Stadt ziehen, die Techno auflegen und zum Raven animieren. Ist das die Wiederauferstehung der Loveparade unter anderem Namen an ihrem Geburtsort?
Jens Schwan: Nö. Auf keinen Fall. Daran haben wir zu keinem Zeitpunkt gedacht.
Sie finden es also verwunderlich, dass bei diesem Grundkonzept und einem Namen wie „Zug der Liebe“ wirklich jeder an die Loveparade denken muss?
Wenn man bedenkt, was wir mit unserer Veranstaltung erreichen wollen, finde ich den Namen „Zug der Liebe“ einfach ziemlich passend: Toleranz, Mitgefühl, Nächstenliebe – das wollen wir alles unter einen Hut bekommen.
Assoziationen zur Loveparade sind also ein Missverständnis?
Als das mit dem „Zug der Liebe“ als Pressemeldung rausging, stand das am nächsten Tag in 25 Medien. Und so gut wie alle haben ihren Bericht über uns mit irgendwelchen halbnackten Tussis bebildert und in der Überschrift irgendwas von der Loveparade geschrieben. Erst im Text stand dann irgendwo, dass die Macher eigentlich gar keine Neuauflage der Loveparade planen würden. Aber die Leute scheinen heute ja nur noch Überschriften zu lesen und keine Texte mehr. Wir mussten also erstmal die Deutungshoheit über unser Veranstaltung zurückgewinnen.
Verständlich.
wurde 1972 in der DDR geboren. Ende der 80er war er Punk, besetzte Häuser in Berlin, bevor er zum Techno fand. Inzwischen ist Schwan verheiratet und hat einen Sohn. Er organisiert Open Airs und lässt sich auch als Techno-DJ buchen.
Von überallher kamen schließlich Fragen, warum es bei uns nur zehn Wagen geben würde und nicht gleich 30. Manchen mussten wir sagen: „Schaut doch einfach mal auf unsere Homepage, dann versteht ihr, dass wir eine Demo planen und keinen Aufguss der Loveparade!“ Viele meinten dann, wir seien ja gegen Pegida, weswegen sie jetzt doch nicht zu uns kommen würden.
Fanden Sie die Loveparade so schrecklich, dass Sie nichts mehr mit dieser zu tun haben wollen?
Von 1990 bis 1993 war ich selber auf der Loveparade, aber dann wurde sie mir zu kommerziell: Diese Hymnen, der ganze Merchandisingscheiß, diese Musik-Compilations und der ganze Bullshit mit der Abschlusskundgebung rund um die Siegessäule?! Gegen Parallelen zu den ersten Loveparades hätte ich nicht mal etwas. Aber die Leute heute kennen ja nur noch die späten Loveparades, gesponsert von einem Fitnesscenter-Unternehmer. Die beerben zu wollen, wäre einfach nur geschmacklos.
Gab es Stimmen, die meinten, fast genau fünf Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg, bei der 21 Menschen starben, verbiete es sich, einen „Zug der Liebe“ zu veranstalten.
Eigentlich nicht. Irgendwo habe ich eine Kritik von einem Angehörigen eines Verbands der Duisburger Loveparade-Opfer gelesen. Dem habe ich geschrieben, dass wir mit der Loveparade nichts zu tun hätten. Ich habe daraufhin nichts mehr von ihm gehört.
Bei der Loveparade ging es schlicht um „Friede, Freude, Eierkuchen“. Sie sprechen sich „für ein tolerantes Zusammenleben ohne Pegida“ und „für den Erhalt von Grünflächen“ aus. Die aktuelle Flüchtlingsproblematik würden Sie am liebsten auch noch lösen. Da fehlt eigentlich nichts zur Rettung der Welt. Wäre es inhaltlich nicht auch eine Nummer kleiner gegangen?
Ausgerechnet zum fünften Jahrestag der Loveparade-Katastrophe in Duisburg kommt am Sonnabend der Technoumzug zurück in die Stadt, in der 1989 zum ersten Mal eine Handvoll Technofans ein paar Wagen hinterherstapften, um das damals neue Lebensgefühl der „Raving Society“ zu verkünden.
„Zug der Liebe“ nennt sich der Umzug, ein Name, bei dem es schwerfällt, keine Assoziationen zur Loveparade herzustellen. Die Veranstalter Jens Schwan und Martin Hüttmann betonen jedoch unermüdlich, dass sie mit dem „Liebe, Freude, Eierkuchen“-Konzept der Loveparade nichts zu tun haben wollen. Sie setzen auf Inhalte statt auf reinen Hedonismus, weswegen sie auch mit Organisationen wie Seawatch, Straßenkinder e. V. und der Berliner Tiertafel als Partner zusammenarbeiten.
Werbung und Getränkeverkauf wird es nicht geben. Immerhin wurde der „Zug der Liebe“ als Demonstration bei der Polizei angemeldet; dieser Status wurde der Loveparade aufgrund ihrer zu offensichtlich kommerziellen Ausrichtung am Ende verwehrt. Auch die Musik, das verspricht Jens Schwan, werde besser sein als auf den Loveparades.
Start des Technoumzugs ist um 15 Uhr auf der Petersburger Straße in Friedrichshain. Durch Prenzlauer Berg, Mitte und Kreuzberg ziehen die Raver schließlich bis zum Treptower Park (siehe Grafik). Ende der Veranstaltung soll um 22 Uhr sein. (ah)
Das Zusammenbringen verschiedener Anliegen ist nun mal das Konzept der Veranstaltung. Warum soll ich denn auch nur wegen einer Sache auf die Straße gehen? Es gibt so viele Dinge, die uns nerven.
„Teilt und seid nicht gierig, kämpft nicht, redet miteinander, respektiert euch, seid ordentlich, verletzt keine anderen Lebewesen“ – das schreiben Sie auf Ihrer Homepage. Das klingt wie ein Anweisungskatalog für den Kirchentag. Sollen sich die Technofans ernsthaft davon angesprochen fühlen?
Warum nicht? Du willst mit solchen Aufforderungen die Leute eben mal dazu bewegen, dass sie ihren Arsch bewegen, mal nachdenken und nicht immer nur feiern gehen. Es gibt in Berlin ja durchaus eine kleine Szene von politisch Denkenden im Nachtleben. Etwa die Leute von dem Club About:Blank. Aber die große Techno-Mehrheit sieht das Feiern im Normalfall immer nur als Spaß an.
Etwas einfältig klingt der „Zug der Liebe“-Slogan „Wir haben keinen Feind!“
Unser Grundgedanke ist eben, für etwas zu sein und nicht dagegen. Natürlich ist man am Ende dann doch auch mal gegen etwas, weil man sich schon sehr verrenken müsste, irgendein „Dafür“ zu formulieren, wenn man eigentlich sagen will, dass man beispielsweise Pegida scheiße findet.
„Für ein tolerantes Zusammenleben ohne Pegida“ heißt es aber doch bei Ihnen.
Ja, stimmt schon. Am Ende haben wir es auf unserer Homepage eben doch so formuliert.
Also ist der „Zug der Liebe“ letztlich eine Dafür-Parade, die doch gegen so einiges ist.
Ja, so kann man es sagen.
Die Loveparade war auch eine Dafür-Veranstaltung. Wenn eine Millionen Menschen auf die Straße gehen und tanzen, ist das eine ziemlich starke Aussage für gegenseitigen Respekt.
Stimmt. Aber ein derart heruntergebrochener hedonistische Ansatz – nur Spaß, nur Tanzen – hätte heute einfach zu wenig Substanz. Damals, als es los ging mit der Loveparade, war da ein ganz anderes Lebensgefühl: Die Mauer war weg, der Balkankrieg hat noch nicht stattgefunden, es war einfach eine super Zeit, nichts Dramatisches passierte gerade um einen herum. Da passte „Friede, Freude, Eierkuchen“ einfach perfekt. Heute muss da mehr kommen. Man muss es auch so sagen, wenn man Pegida scheiße findet. Wir sehen uns letztlich eher in der Tradition des CSD, des Karneval der Kulturen und von Mediaspree, als in der der Loveparade. Auch das sind eigentlich Demos, die sich einfach der Musik bedienen, um mehr Leute zur Verkündung ihrer Anliegen zu ködern. Würde ich nur eine Demonstration veranstalten, ohne Musik, kommen da vielleicht nur 50 Leute. Das bringt es doch auch nicht.
Wird es bei ihrer Demo wirklich keine Werbung und keinen Getränkeverkauf und auch sonst nichts geben, mit dem man wenigstens ein wenig Geld verdienen könnte?
Wir hatten tausend Anfragen von Essens- und Getränkeständen-Betreibern, Promotionteams und Marketingagenturen. Wir haben alles abgelehnt. Wir wollen keine kommerzielle Veranstaltung.
Sie hätten jetzt reich sein können?
Wir hätten auf jeden Fall ordentlich Kohle machen können. Aber das war uns egal.
Auch wenn der „Zug der Liebe“ nun etwas völlig anderes ist als die Loveparade: Dreht die Polizei bei der Planung Ihrer Demo aufgrund der Erfahrungen in Duisburg nicht völlig durch?
Überhaupt nicht. Die Zusammenarbeit ist wunderbar. Die haben da sogar richtig Bock drauf. Weil sie wissen: Es wird zwar eine Demo sein, aber von den Technofans sind keine Krawalle zu erwarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles