Technische Uni Berlin: Eine Hochschule sucht ihr Profil
Der Elitestatus blieb der Technischen Universität (TU) versagt. Nun will sie ihre Schwerpunkte neu definieren, ohne dafür Geld auszugeben. Wie soll das gehen?
Informatikprofessorin Anja Feldmann läuft durch den Maschinenraum „Obelix“ im 15. Stock des Telefunken-Hochhauses am Ernst-Reuter-Platz. Die Klimaanlage rauscht, Kabel schlängeln sich durch die Regale, Festplatten blinken wild: „Hiermit machen wir unsere Experimente“, sagt Feldmann. Die Leibniz-Preisträgerin forscht zur Infrastruktur und Stabilität des Internets. Sie will das Netz neu erfinden. Ihre Forschung hat Weitblick. Und sie ist ambitioniert.
Beide Attribute würde sich auch Feldmanns Hochschule gerne zuschreiben. Die Technische Universität (TU) Berlin hat sich im Sommer auf ihr „Zukunftskonzept 2020“ festgelegt, jetzt im Herbst will sie neue Konzepte für Studium, Lehre und Verwaltung erarbeiten. Wenn man wissen will, wie der Wandel an der Hochschule aussehen soll, dann macht die Uni einen Termin mit Feldmann. Das neue Profil soll ein kleiner Neustart sein: Die TU will sichtbarer und konkurrenzfähiger sein. Sie kann ein starkes Profil gebrauchen, seitdem sie anders als die Freie und die Humboldt-Universität im Sommer nicht in der Exzellenzinitiative des Bundes punkten konnte, also keine „Elite-Uni“ wurde.
Aufs Internet schauen
In diesen Tagen starten die Vorbereitungsveranstaltungen für das Wintersemester an den Unis. Offizieller Beginn der Vorlesungszeit ist der kommende Montag.
In Berlin werden dann etwa 450 Studierende ohne Wohnheimplatz dastehen. Für dieses Semester hätten sich knapp 900 Menschen auf rund 450 freie Wohnheimplätze beworben, berichtet das Studentenwerk Berlin. Es bietet fast 10.000 Wohnheimplätze an. Damit sei die Nachfrage im Vergleich zu den Vorjahren leicht gestiegen, so der Sprecher des Studentenwerks, Jürgen Morgenstern. Ein Zimmer beim Studentenwerk kostet im Schnitt 190 Euro.
Laut Morgenstern steht in Berlin nur für jeden 15. Studenten ein Wohnheimplatz zur Verfügung. "Damit liegt Berlin im Bundesschnitt auf dem vorletzten Platz." Aber für den Neubau von Wohnheimplätzen bräuchte man die Unterstützung des Landes. (mos)
Das TU-Zukunftskonzept 2020 will vieles auf einmal. Die bislang acht Forschungsschwerpunkte – wie Wasser, zivile Sicherheit und Energie – sollen auf sechs reduziert werden. In neu gefassten Feldern wie „Energie und nachhaltiges Ressourcenmanagement“, „Cyber-physikalische Systeme“ und „Human Health“ müssen alle Forschungsbereiche unterkommen. Spezialisierte und interdisziplinäre Forschung soll so gefördert werden. Gleichzeitig will die Uni sich stärker um die Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen kümmern wie die Energiewende oder eben die Stabilität des Internets.
Unipräsident Jörg Steinbach sieht den ganzen Prozess als „Pflichthausaufgabe“. Alle fünf bis sieben Jahre müsse eine Uni ihre Forschungsschwerpunkte anpassen, sagt Steinbach. Doch es geht um wesentlich mehr. Das Hochschulprofil ist so etwas wie das Herzstück der Uni. Durch die Profilpläne sind grundsätzliche Fragen wieder aufgetaucht: Was ist die Hauptaufgabe der Uni? Wie viel Einfluss sollen Unternehmen an der Uni haben? Professoren und Studierende fürchten, dass die TU sich mit ihrem neuen Profil thematisch beschränkt, die Qualität des Studiums weiter leidet und vor allem die Abhängigkeit zur Wirtschaft weiter wächst.
Jürgen Thorbeck, Professor am Institut für Luft- und Raumfahrt, sieht die „Kernaufgabe der Universität“ in Gefahr und meint damit vor allem die Ausbildung des akademischen Nachwuchses. Ein anderer Professor, der ungenannt bleiben will, bezweifelt die gesamte Strategieausrichtung: „Was wir hier gerade machen, ist, wie mit einem halb verhungerten Mann für einen Olympia-Wettkampf zu trainieren. Völlig illusorisch.“ Nicht einmal der Normalbetrieb der Uni würde funktionieren. Nun so zu tun, als könnte sich die Hochschule auf derart vielen Feldern als Spitzen-Uni positionieren, sei nicht mehr als ein Potemkin’sches Dorf.
Die Finanzierung der Profilveränderung ist ein Hauptkritikpunkt. Die Uni leidet seit Jahren unter chronischem Geldmangel. Das Land Berlin hat seine Hochschulfinanzierung nicht erhöht, die festen Kosten der TU sind über die Jahre allerdings gestiegen. Im Haushalt für 2013 fehlen 10 Millionen Euro. Woher da die Mittel für eine Profilverschärfung kommen soll, ist vielen Professoren nicht klar. „Es könnte darauf hinauslaufen, dass bei Fachbereichen, die nicht zum Profil beitragen, gekürzt wird“, sagt der ehemalige TU-Vizepräsident Wolfgang Neef. Ähnlich sieht das sein Kollege Thorbeck: Wer nicht zum Profil beitrage, sei bedroht. In der Vergangenheit wurden die Geisteswissenschaften stark zusammengekürzt. Sie haben an Eigenständigkeit verloren und geraten immer mehr zu Zuliefererwissenschaften für naturwissenschaftliche und technische Fächer. Die Studierendenvertretung mutmaßt, dass langfristig auch Fachbereiche wie Physik oder Maschinenbau marginalisiert werden, weil sie nicht genügend Schnittstellen zu den neuen Schwerpunkten haben.
Sparen soll die Verwaltung
Präsident Steinbach hört derartige Spekulationen ungern. Kürzungen sollen vermieden werden: „Wir versuchen, eine Erneuerung der TU unter unveränderten finanziellen Rahmenbedingungen.“ Der Plan: Die Verwaltung soll effizienter gestaltet und Kosten eingespart werden. Einzelne Forschungsbereiche werden verstärkt über Drittmittel, Kooperationen mit externen Instituten und Wirtschaftsunternehmen finanziert.
Die Konzentration auf Drittmittelforschung stößt auf harsche Kritik: Dabei handelt es sich meist um Forschung, die von Unternehmen finanziert wird. Eine direkte Einflussnahme wird meist vertraglich ausgeschlossen, findet teilweise aber indirekt statt. Die Bedeutung der Wirtschaftskooperationen zeigt sich im neuen Profil deutlich, die Forschungsbereiche der wichtigen Kooperationen (Vattenfall, Helios Kliniken, Deutsche Telekom) kommen im neuen Profil fast alle vor. Neef warnt vor zu engen Banden mit der Wirtschaft: „Das ist Selbstausbeutung. Die Gesellschaft finanziert die Hochschulen – und diese bedienen dann für wenig Geld Verwertungsinteressen der Industrie.“ Professor Thorbeck sieht das ähnlich: auch Forschungsbereiche, die nicht im augenblicklichen Interesse der Wirtschaft lägen, aber von Studierenden nachgefragt werden, wie beispielsweise die Luftfahrt, sollten gestärkt oder zumindest bestehen bleiben.
Ein anderer Professor sagt: „Es geht nur noch um Drittmittel. Die ganze Diskussion um die Zukunft der TU wird von drohenden Kürzungsrunden überlagert.“ Für wirklich wichtige Fragen, wie hohe Studienabbrecherzahlen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder eine höhere Durchlässigkeit für Frauen und Migranten, bleibe kein Raum. „Ich würde mir wünschen, dass man auch andere gesellschaftliche Kräfte wie Stiftungen stärker als Drittmittelpartner einbindet, es müssen nicht immer die großen Konzerne sein“, sagt er. Weil er fürchtet, für diese Position an seinem Fachbereich angefeindet zu werden, will er nicht mit Namen in der Zeitung stehen.
Zurück in den 16. Stock des Telefunken-Hochhauses, in dem Frau Feldmann sitzt, die laut TU für den Wandel und das neue Profil steht. Ihre Forschung wird vielleicht einmal das Internet verändern und die Art, wie wir uns über das Netz informieren oder kommunizieren. Die Hochschule schmückt sich mit der Wissenschaftlerin und ihren Experimenten. Bezahlt wird sie allerdings von der Deutschen Telekom.
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