Team der taz Hannibal-Recherche : Wir bleiben dran
Die taz investiert in ihren Journalismus – und das zahlt sich aus. Das Team der Hannibal-Recherchen wurde vom „Medium Magazin“ ausgezeichnet. Ein Gespräch mit den tazler*innen hinter der Recherche.
Interview von DENIS GIESSLER
taz am wochenende: Rechtsextreme, die sich auf den sogenannten Tag X vorbereiten, Todeslisten, dazu Freimaurer und Pseudoritterorden. Das Schattennetzwerk um den Bundeswehrsoldaten „Hannibal“ könnte auch aus einem Hollywoodstreifen stammen. Wie seid ihr auf das Thema gestoßen?
Christina Schmidt: Ausgangspunkt war eine Meldung, dass der Generalbundesanwalt im August 2017 gegen zwei Männer in Mecklenburg-Vorpommern ermittelt. Der Vorwurf: Sie sollen geplant haben, Menschen aus dem „linken Spektrum“ zu töten. Wir fanden es bemerkenswert, dass es damals hieß, die Ermittler*innen wollten dabei nicht mit den lokalen Polizeikräften zusammenarbeiten, weil sie ihnen nicht vertraut hätten. Das lag daran, dass einer der Beschuldigten selbst Polizist war. Wir haben uns dann die Ausgangsfrage gestellt: Gibt es in Mecklenburg-Vorpommern ein rechtsextremes Netzwerk, von dem bislang noch niemand wusste?
Das Schattennetzwerk um „Hannibal“ ist schwer zu fassen und besteht neben dem Verein Uniter auch aus einem internationalen geheimen Chatnetzwerk. Wie seid ihr an relevante Informationen gelangt?
Schmidt: Das lief sehr klassisch. Wir haben mit beteiligten Personen gesprochen: Ermittler*innen, Personen von Sicherheitsbehörden, Politiker*innen. Was aber am wichtigsten war: Wir sind losgefahren und haben Menschen aus dem Netzwerk selbst getroffen. Es ist schon erstaunlich, wie gut das funktionierte: Die taz konnte mit Mitgliedern eines rechten Netzwerks sprechen.
Wer Verräter aus den eigenen Reihen identifiziert, bekommt eine Belohnung von 5.000 Euro, heißt es aus Uniter-Kreisen in eurem Artikel. Und trotz dieses „Kopfgeldes“ haben Aussteiger*innen mit euch gesprochen.
Sebastian Erb: Viele Leute, die mit uns redeten, hatten Angst. Und das trotz Bundeswehrhintergrund, durch den sie schon viele Krisensituationen erlebt hatten. Deshalb haben wir beim Kontakt viel Wert auf sichere Kommunikation gelegt, etwa verschlüsselte Messenger benutzt. Auch bei der Vor-Ort-Recherche haben wir Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
Nun haben Informant*innen immer auch eigene Motive, wenn sie Auskünfte geben.
Schmidt: Richtig, daher reichte uns auch eine Person als Quelle nicht aus. Wir haben dann Fotos, Tonaufnahmen und internes Material bekommen, um die Aussagen zu verifizieren und einzuordnen.
Gab es gefährliche Momente für euch bei der Recherche?
Schmidt: Ein zumindest seltsamer Moment war im Februar 2019. Wir hatten damals die Vermutung, dass es einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes namens Ringo M. in Baden-Württemberg gibt, der den zweiten Uniter-Verein 2016 mitgegründet hat. Wir beide sind dann zu dieser Person nach Hause gefahren, um sie mit den Vorwürfen zu konfrontieren. An der Tür hat niemand aufgemacht. Und gerade, als ich eine Notiz an der Haustür hinterlassen wollte, fuhr ein schwarzer SUV vor, aus dem vier große breitschultrige Männer ausstiegen. Das war ein ziemlich bedrohlicher Moment.
Wie umfangreich ist euer bisheriges Recherchematerial?
Erb: Das ist nicht so leicht zu sagen. Digital haben wir mehr als 20 Gigabyte gesammelt. Aber wichtiger: Wir haben Informationen zu einer sehr deutlichen dreistelligen Zahl an Personen.
Wie behält man da überhaupt noch den Überblick?
Erb: Wir haben die Recherche in verschiedene Bereiche und Phasen unterteilt, bevor wir die einzelnen Erkenntnisse miteinander verbunden haben. So begann die Recherche rund um die „Nordkreuz“-Prepper in Mecklenburg-Vorpommern, dann stand das größere Chatnetzwerk im Fokus, später der Verein Uniter mit seinen paramilitärischen Trainings und schließlich der rechtsextreme Offizier Franco A. und sein Umfeld.
Aus journalistischer Sicht gab es zumindest anfangs keine große Resonanz. Wie erklärt ihr euch das?
Schmidt: Das kann daran liegen, dass es sehr unangenehm ist. Ein Netzwerk, das in die Bundeswehr, Polizei und Behörden reicht, ist nicht einfach so aufzulösen, indem ein paar Personen entfernt werden. Doch die Resonanz hat sich inzwischen stark verändert. Inzwischen reicht das Wissen über die taz-Leserschaft und taz-Redakteur*innen hinaus. Das Thema ist sehr groß geworden.
Ihr recherchiert nun seit mehr als zwei Jahren über Menschen, die den Staat eigentlich schützen sollen, diesen aber ablehnen. Hat die Recherche Auswirkungen auf euer Vertrauen zu den Sicherheitsbehörden?
Schmidt: Ich denke nach diesen zwei Jahren nicht, dass alle Polizist*innen rechtsextrem sind. Ich finde es eher erschreckend zu sehen, wie weit rechtsextremistisches Gedankengut reicht und wie lange es toleriert oder auch gedeckt wird. Und wie langsam ein gut ausgerüsteter Sicherheitsapparat in Deutschland arbeitet. Erst nach mehr als einem Jahr wurde die Dringlichkeit des Themas erkannt.
Erb: Ich denke auch nicht, dass alles schlimm ist. Wir reden von einem problematischen Netzwerk, aber nicht davon, dass die Polizei als Ganzes nicht mehr funktioniert. Trotzdem stellt sich mir unterwegs manchmal die Frage, ob ich dem konkreten Polizisten im Zweifel vertrauen kann.
Ihr habt den Goldenen Igel vom Reservistenverband und eine Auszeichnung beim Journalistenpreis „Der lange Atem“ bekommen. Mitte Dezember 2019 wurdet ihr vom Medium Magazin als „Team des Jahres“ ausgezeichnet. Genügend Ansporn, weiter am Thema dranzubleiben?
Erb: Wir bleiben dran. Wir haben mittlerweile so viel Material gesammelt, kennen so viele Menschen und können Entwicklungen einschätzen. Wir können helfen, einen besseren Blick dafür zu bekommen, was in diesem Land gerade passiert – und dass darunter Entwicklungen sind, die uns alle beunruhigen sollten.