Taschenbuch "Alle Juden sind ...": Wider den Antisemitismus
Jesus sollen sie ermordet und in Hollywood das Sagen haben. Juden sind nach wie vor Ziel gängiger Vorurteile. Ein neues Buch speziell für Lehrer und Schüler entkräftigt Klischees.
Jugendliche, die sich auf deutschen Schulhöfen "Jude" titulieren und sich damit beleidigen wollen. Heranwachsende migrantischer Herkunft, die im Deutschen Historischen Museum von Berlin vor einem Modell der Gaskammern von Auschwitz stehen und klatschen. Jungmänner, die sich nachts auf jüdische Friedhöfe schleichen und Grabsteine beschmieren oder umstoßen - Antisemitismus gibt es auch bei Jugendlichen, das ist klar. Unklar ist, wie weit der Judenhass bei ihnen verbreitet ist, neue Studien dazu fehlen. Belegt ist nur, dass sie meist etwas weniger zu Antisemitismus neigen als ältere Jahrgänge. Und klar ist auch, dass wenn, dann nur in der Jugend eine Immunität gegen das böse Vorurteil gegenüber Juden erreicht werden kann.
Aber wie? Darüber streiten sich die Pädagoginnen und Pädagogen seit Jahren - und vermehrt, seitdem immer deutlicher wird, dass gerade in einer multikulturellen Gesellschaft und Bildungswelt der Unterricht über den Holocaust viele Jugendliche keineswegs vom antisemitischen Denken, Sprechen und Handeln abhält. Hinzu kommt der seit Jahren wieder heißer werdende Nahost-Konflikt, durch den etwa seit der Jahrtausendwende vermehrt Kritik an Israel ganz schnell in Judenfeindschaft allgemein mündet, nicht nur, aber auch bei Jugendlichen. Da sind selbst viele gut ausgebildete und wohlgesinnte Lehrerinnen und Lehrer überfordert. Wie wichtig wären da gute, knappe Bücher, die jungen Leuten in einfachen, klaren Worten das komplexe Problem Antisemitismus nahebringen und sie gegen den Judenhass zu impfen versuchen!
Hier aber herrscht Mangel. Immerhin: Ein solches Buch, das sich vor allem an Jugendliche und Lehrer richtet, ist gerade erschienen - und die Lektüre sei nicht nur jungen Leuten dringend empfohlen. Das 184-seitige Taschenbuch "Alle Juden sind … 50 Fragen zum Antisemitismus" schließt eine Lücke. Zwar gibt es schon ein paar wenige Veröffentlichungen. Dazu gehören etwa die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Themenhefte "Antisemitismus in Europa", die einerseits Handreichungen für Lehrkräfte, andererseits Arbeitsmaterialien für den Unterricht sind.
Diese Publikationen aber, mit Hilfe des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung verfasst, sind nun einmal Hefte, demnach meist allzu knapp gehalten. Außerdem finden sich darin Aufsätze, die vielleicht noch für Lehrer, kaum aber für Jugendliche verständlich sind, wenn da beispielsweise von "Intersektionalitätsmodellen" die Rede ist. Eher gut gemeint als gut gemacht ist auch der Band "Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen tun?", der im vergangenen Jahr erschienen ist. Ein gravierendes Beispiel für dessen Mängel ist ein Fauxpas, den sich die Autoren leisten, wenn sie behaupten, die Aussage sei richtig "Die Juden haben Christus umgebracht." (Das ist falsch: Der Römer Pontius Pilatus hat ihn ans Kreuz nageln lassen.) Ein zentrales Scheinargument für den alten christlichen Antijudaismus wird so bestärkt, statt zerschlagen.
Hier wird im Vergleich auch gleich die Stärke von "Alle Juden sind …" deutlich: In der Frage 25: "Warum wurden Juden von vielen Christen als Gottesmörder angesehen?", wird das "Gottesmörder"-Vorurteil kenntnisreich, knapp und korrekt widerlegt. Überhaupt gelingen dem Buch des niederländischen Autors Jaap Tanja eindrucksvoll klare und kluge Antworten auf die scheinbar so leichten, in Wahrheit aber so komplizierten Fragen wie etwa: "Wer ist jüdisch?", "Sind alle Juden reich?", "Ist das Neue Testament antisemitisch?" oder "Beherrschen die Juden die Wall Street und Hollywood?"
Gerade die Antwort auf die letztgenannte Frage ist ein kleines Glanzstück des Buches. Denn mit diesen Klischees wird intelligent, kurz, ja sogar elegant abgerechnet - etwa wenn die nur wenigen bekannte Geschichte der "Jew Movies" erzählt wird. Diese Filme bestärkten bewusst antisemitische Vorurteile, und die Produktionsgesellschaften aus Hollywood verdienten Anfang des 20. Jahrhunderts viel Geld damit: "Diese ,Jew Movies' waren sehr beliebt; durchschnittlich wurden zwei pro Woche produziert." Oder: "Die wichtigsten Filmstudios Hollywoods sind derzeit im Besitz von ausländischen Investoren und Banken."
Ein großes Plus des Buches ist zudem die reiche, kluge Bebilderung, die die Lektüre teilweise sogar zu einem Genuss macht und selbst Kenner der Materie zu verblüffen vermag. Ein Beispiel ist ein großes Foto des berüchtigten damaligen Großmufti von Jerusalem, Hadschi Amin al-Husseini, der im November 1943 vor einem muslimischen Bataillon der deutschen Waffen-SS den Hitlergruß zeigt. Auch Karten und Grafiken werden sinnvoll und großzügig eingesetzt.
Und ab und zu leistet sich der Autor Tanja auch eine pointierte Meinung in aktuellen Debatten innerhalb der Antisemitismus- und Holocaust-Forschung. So schreibt er etwa am Ende seiner Antwort auf die Frage 38: "War die Schoah einzigartig?", fast schon provokativ: "Jeder, der die Einzigartigkeit der Schoah betont, stellt die Opfer und Überlebenden der Schoah zu sehr über die Opfer und Überlebenden anderer Genozide, als ob es eine Art Rangliste dieser Schrecken gäbe." Angesichts solcher Thesen, die von Mut sprechen, sei erwähnt, dass das Anne Frank Haus Amsterdam der Herausgeber des Bandes ist, eine weltbekannte Bildungseinrichtung, die seit Jahrzehnten im Kampf gegen Antisemitismus engagiert ist. Der vorliegende Band existiert in ansehnlichen Auflagen bereits in Holländisch und Englisch, wurde aber für die deutsche Ausgabe zum großen Teil noch einmal für die hiesige Leserschaft überarbeitet, ergänzt und aktualisiert. Drei Jahre waren für diese Arbeit nötig. Sie hat sich gelohnt.
Anne Frank Haus Amsterdam (Hrsg.): "Alle Juden sind ... 50 Fragen zum Antisemitismus". Verlag an der Ruhr, Mülheim a.d.R. 2008, 19,95 Euro.
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