Tarifverhandlungen bei der BVG: Weil wir dich schinden
In den BVG-Tarifverhandlungen geht es vor allem um bessere Arbeitsbedingungen. Längst gefährdet der Personalmangel die Verkehrswende
„Die BVG hat ein massives Personalproblem. Um dem Herr zu werden, müssen die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden“, fordert Verdi-Verhandlungsleiter Jeremy Arndt am Dienstag vor dem Büro des Arbeitgeberverbands.
Die Übergabe der Forderungen markiert den Auftakt für die Verhandlungen im Tarifvertrag Nahverkehr zwischen Verdi und der BVG. Zeitgleich finden auch in allen anderen Bundesländern Verhandlungen zwischen kommunalen Verkehrsbetrieben und Verdi statt. Der erste Verhandlungstermin in Berlin ist für den 24. Januar anberaumt.
Reichlich Konfliktpotenzial
Das Verkehrsunternehmen kommentierte den Forderungskatalog zunächst nicht und kündigte nur an, diesen prüfen zu wollen: „Wir freuen uns auf faire und konstruktive Verhandlungen“, heißt in einem Statement.
Der harmonische Ton der BVG kann allerdings nicht über das Konfliktpotenzial des Katalogs hinwegtäuschen. Forderungen, wie beispielsweise einen zusätzlichen Urlaubstag pro 100 Stunden Nachtschicht oder eine Erhöhung der Wendezeit von vier auf zehn Minuten klingen zunächst nicht besonders radikal. Doch jede Verringerung der Arbeitszeit stellt die BVG vor die Herausforderung, noch mehr Personal einzustellen. Das aber ist bereits jetzt kaum zu finden.
Schon jetzt fällt es dem Unternehmen schwer, sein volles Angebot aufrechtzuerhalten. Erst Mitte November gab die BVG bekannt, die Takte auf 40 Buslinien auszudünnen. Aktuell fehlen dem Unternehmen 350 Busfahrer:innen. Eine Zahl, die noch deutlich steigen wird, wenn Tausende Beschäftigte in Rente gehen werden. Die BVG spricht von 10.000 zu besetzenden Stellen in den nächsten 5 Jahren.
Die BVG habe verschlafen, der demografischen Entwicklung frühzeitig entgegenzuwirken, kritisiert Gewerkschafter Arndt. Stattdessen hätten sich die Arbeitsbedingungen so weit verschlechtert, dass der Beruf kaum noch attraktiv ist.
Lieber an der Kasse arbeiten
„Viele denken derzeit darüber nach, das Unternehmen zu verlassen“, berichtet Arndt. Anstatt eines stressigen Schichtbetriebs im rauen Berliner Straßenverkehr könnten sie auch an der Supermarktkasse ähnlich viel verdienen. „Wenn wir die Arbeitsbedingungen nicht verbessern, wird sich der Zustand noch verschlimmern“, warnt Arndt.
Dass ein Teil des Personalproblems hausgemacht ist, bestätigt auch Mario Candeias, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der im Zuge seiner Forschung mit vielen Beschäftigten der BVG gesprochen hat. Zunächst sei da die grundlegende Herausforderung des Jobs: „Fahrzeiten können oft nur unter großem Stress eingehalten werden, Pausen fallen weg. Dazu die Wechselschichten, die einen gesunden Schlafrhythmus vernichten – die Krankenstände sind entsprechend hoch.“
Verschärft wird das Problem noch durch eine Unternehmenskultur, die wenig mit dem liberalen und weltoffenen Selbstbild, das die Marketingabteilung der BVG gerne nach außen trägt, zu tun hat. Viele Interviewpartner:innen berichteten von einem tief verankerten Chauvinismus, Sexismus und Rassismus, erklärt Candeias. „Sprüche, wonach Frauen oder ‚Schwuchteln‘ doch nicht hinter das Steuer eines 29-Tonnen-Busses gehören, sind keine Seltenheit“, sagt er.
Auch versuche manch untergeordnete Personaler:in, den Mangel an Personal durch Härte zu lösen. „Persönliche Bedürfnisse bei der Einteilung der Schichten gelten da schon als ‚Extrawurst‘“, gibt Candeias die Erfahrungen seiner Interviewpartner:innen wieder.
Verkehrswende in Gefahr
Die Probleme der BVG, die denen vieler Nahverkehrsunternehmen in Deutschland gleichen, haben längst eine gesellschaftspolitische Dimension erreicht. Denn ohne Personal wird eine Verkehrswende kaum möglich sein. Die Klimaaktivist:innen von Fridays for Future unterstützen deshalb die Arbeiter:innen der BVG mit der Kampagne „Wir fahren zusammen“.
„Wenn wir die Verkehrswende und eine Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs wollen, brauchen wir gute Arbeitsbedingungen“, sagt Debby Roschka, Fridays-for-Future-Mitglied und Sprecherin der Kampagne.
Neben einer Beteiligung bei den Streikkundgebungen wollen die Klimaaktivist:innen mit ihren Aktionen die gesellschaftliche Akzeptanz für mögliche Streiks erhöhen. Knapp 50.000 Unterschriften sammelten sie bereits in einer Petition. Weitere Aktionen seien in Absprache mit Verdi geplant. „Wir bringen die Streikmacht der Beschäftigten und die diskursive Macht der Klimabewegung zusammen“, erklärt Roschka.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste