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Archiv-Artikel

Tapfer wie eine Fliege

Vom Pathos der Überlegenheit: Die Ausstellung „Pharao siegt immer“ gibt sich im Harburger Helms-Museum mit bloßer Bewunderung altägyptischer Selbstdarstellung nicht zufrieden

Politische und ideologische Hintergründe eines nationalen Selbstverständnisses

von Hajo Schiff

Ägypten scheint Synonym für Goldglanz und ewige Dauer – ein über drei Jahrtausende nahezu unverändertes politisches und kulturelles System, das vor allem auf das ewige Leben im Jenseits angelegt war. Wie alle griffigen Formeln ist auch diese schön, aber falsch, selbst wenn Dauer und unüberwindliche Größe zentrale Punkte der altägyptischen Selbstdarstellung waren.

Die zweitgrößte Ägyptenausstellung, die je nach Hamburg geholt wurde heißt nun „Pharao siegt immer“, ein Titel, der in seiner Unglaubhaftigkeit ein getreues Abbild der Staatsideologie ist. Denn es gibt aus Jahrtausenden ägyptischer Kunst unabhängig vom tatsächlichen Schlachtenglück, ja selbst in ausgewiesenen Friedenszeiten, nur Siegesdarstellungen des Pharao. Selbst von Nofretete, deren Status als Regentin immer noch unklar ist, gibt es das Bild, wie sie die Feinde des Reiches aus Norden, Osten und Süden am Schopfe packt und mit weit ausholendem Arm erschlägt. Diese ritualisierte Darstellung war eine notwendige Legitimation des Pharao, entsprach aber kaum der Realität und widerspricht dem Lauf der Geschichte, in der Ägypten mehrfach von Fremden erobert und regiert worden war.

Um Krieg und Frieden geht es in dieser für Hamm und Mannheim entworfenen, durch einen glücklichen Zufall nach Harburg geholten Ausstellung. Erstmals wird das Interesse auf die Außenkontakte der sich als Zentrum der Welt verstehenden alten Ägypter gerichtet. Statuen und Reliefs, Keramik und Waffen, im wesentlichen aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend, werden auf den Umgang mit dem Anderen hin betrachtet. Sie belegen neben dem hybriden Pathos der eigenen Größe zugleich die den vielfältigen Austausch anerkennende Lebenspraxis in Diplomatie, Handel und Produktkopien. Immerhin stammt auch der älteste bekannte Friedensvertrag zwischen zwei Großmächten aus Ägypten: die Vereinbarungen mit den Hethitern nach der Schlacht von Qadesh aus dem Jahre 1285 vor Christus.

Die Ausstellung kann diese Bauinschrift aus Karnak nicht zeigen, hier ist dafür Diplomatenpost zu sehen – tönerne Tafeln in der damals zwischenstaatlich üblichen Keilschrift. Der Krieg lässt sich besser darstellen, sei es durch die Prunkwaffen, den Nachbau eines Streitwagens oder den mit goldenen Fliegen besetzten Ehrenschmuck für einen Heerführer, der sich „tapfer wie eine Fliege“ gezeigt hatte – damals ein hohes Lob für beharrliche Ausdauer.

Als gemeine Gefangene oder königliche Geiseln, als Diplomaten, Söldner oder spezialisierte Handwerker kamen Nichtägypter ins Nilland und gingen meist bald in der Bevölkerung der überlegenen Kultur auf. Besonders im „Neuen Reich“ gab es zudem ausgiebige Handelskontakte. Aber auch dabei manifestierte sich die Ideologie: Aller Handel wurde als Tributzahlung an den göttlichen Herrscher dargestellt. Das betraf auch asiatische oder mittelmeerische Völker, Kreter oder die Afrikaner aus dem Lande Punt, die Ägypten keineswegs für das Zentrum der Welt hielten und gar nicht daran dachten, den Pharao als Oberherrscher anzuerkennen. Wieder sieht die Praxis ganz anders aus als das in Tempel gemeißelte und in Gold gefasste offizielle Dogma. Anhand der Fundzusammenhänge oft eher kleinerer Objekte zeigt sich, wie die Nachbarländer ägyptische Ideen und Waren kopierten – wie aber auch in Ägypten prestigeträchtige Importe nachgemacht wurden: Produktpiraterie vor 3.000 Jahren.

In der reichen aber zufälligen archäologischen Überlieferung sind es ja mit goldenem Jenseitspathos wie bei Tutanchamun oft die historisch eher unwichtigen Personen, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hier dagegen wurde eine Ägypten-Ausstellung zusammengestellt, die schon vom Material her interessant ist. Vor allem aber besticht sie über bloße Bewunderung hinaus durch die Darstellung der politischen und ideologischen Hintergründe eines nationalen Selbstverständnisses und dessen Umgangs mit dem Anderen. Das hat eine für archäologische Prachtschauen ungewohnte Aktualität. Aktuell ist auch ein weiterer Hinweis: An der Hamburger Uni gehört die Ägyptologie zu den akut bedrohten Fächern.

„Pharao siegt immer – Krieg und Frieden im alten Ägypten“: Helms-Museum, Harburger Rathausplatz 5; bis 17. April 2005, Di–So 10–17 Uhr. Begleitbuch im Verlag Kettler, 304 Seiten, 18,50 Euro. www. pharao-in-hamburg.de