Tanzstück mit Vogelperspektive: Von Imitatoren und Irrgästen
In „Bird Dances“ von Kareth Schaffer in den Sophiensælen betrachten die Performer:innen ihr Leben aus der Vogelperspektive.
Viele Sprachbilder setzen Vögel und Menschen in eine Beziehung: Man redet von schrägen Vögeln, vom seltsamen Kauz, von der lahmen Ente. Und wird dabei den Tieren oft so wenig wie den Menschen gerecht. Für „Bird Dances“ aber haben die Choreografin Kareth Schaffer und die vier Performer:innen ihrer Companie Construction nach Analogien zwischen biografischen Erfahrungen und dem Wissen über die Vögel gesucht, die zu sehr sprechenden Beziehungen führen.
So erzählen die vier auf der fast leeren Bühne der Sophiensæle ihre Geschichten, von zarten und flatterhaften Bewegungen unterstrichen, mal flügelschlagend, mal überraschend hüpfend, nah an der Vogelkunde.
Sefa Okutan hat sich die Nachtigall als Gegenüber ausgesucht. Zum Beispiel, weil es ihm gefällt, dass sich männliche und weibliche Exemplare im Gefieder nicht unterscheiden. Der zartgliedrige Tänzer aus der Türkei kam nach Berlin angezogen vom Versprechen der Anonymität; er versteckt sich gern in der Nacht wie die Nachtigall. Seine Hose ist mit Rosen bedruckt und er berichtet von der Rolle der Nachtigall in der türkischen und persischen Dichtung, ihrer Sehnsucht nach Rosen, dem poetischen Spiel mit Metaphern von unerfüllbarer Sehnsucht.
Untermalung der Sprache
Das Ausbreiten der Schwingen, das Anlegen der Flügel, das Stolzieren im Wasser auf langen Beinen, die kurzen Wendungen des Kopfes, der fixierende Blick: Viele Bewegungen aus der Vogelwelt ahmen die Tänzer:innen nach, während sie nacheinander von sich erzählen, und in den gemeinsamen Zwischenspielen. Ihr Tanz ist oft mehr eine Untermalung des Textes, setzt einzelne Akzente, rhythmisiert die Sprache und überrascht manchmal mit Gesten, die das nicht immer Hinreichende der Sprache herausstellen.
Michael Kaddu, der aus Uganda nach Berlin gekommen ist, hat sich den Sumpfrohrsänger ausgesucht, ein Zugvogel, im Sommer in Europa, im Winter in Südafrika. Ornithologen haben sich lange mit seinem Gesang beschäftigt, der Imitation europäischer Vögel in Europa und ihrem afrikanischen Originalgesang in Afrika. Bis neuere Forscher herausfanden, dass sie auch auf dem afrikanischen Kontinent andere Vögel sehr begabt imitieren.
Collage zwischen Tradition und Gegenwart
Für Kaddu, der lange traditionelle Tänze in Uganda auf Hochzeiten oder in Wettbewerben tanzte, bevor er den zeitgenössischen Tanz westlicher Prägung kennenlernte, ist das eine Steilvorlage: Und so zelebriert er während seiner Erzählung mit Genuss eine Bewegungscollage aus traditionellen Elementen und unvorhersehbaren Wechseln in Tempo und Richtung.
Josephine Findeisen hat sich den Roten Milan und sein Schicksal in den Nachwendejahren ausgesucht, um ihre eigenen Suchbewegungen zwischen Ost- und Westdeutschland aus neuer Perspektive zu betrachten.
Die New Yorkerin Dani Brown nimmt das Bild der Irrgäste genannten Zugvögel, die vom genetischen Code abkommend in die falsche Richtung fliegen, zum Anlass einer Reflexion über Migration aus politischen Gründen und dem Bild des Fremden in Deutschland. Ihr Monolog, der sich manchmal in Gesang und lautmalerisches Sprechen entwickelt, ist der letzte des Abends. Dass er mit ihrer Biografie zugleich einen gesellschaftlichen Zustand skizziert, verbindet Browns Text mit denen der anderen.
Der Produktion „Bird Dances“ ging eine Reihe von Workshops in ländlichen Regionen in Mecklenburg-Vorpommern voraus, inklusive Vogelbeobachtung. Was sich dabei als Stück herausgeschält hat, ist von unkomplizierter Geradlinigkeit und Verständlichkeit, wie sie in Tanzprojekten eher selten ist. Das liegt an den doch sehr präsenten Texten. Schade, dass es nach den ersten vier Aufführungen (von Donnerstag bis Sonntag) keine weiteren gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!