: Tanzgedichte unterm Regenschirm
■ Von Machtworten und Tragikomödien: Junge ChoreographInnen aus dem Bremer Tanztheater Susanne Linkes und Urs Dietrichs zeigen ein fast durchgehend bildschönes neues Programm
Marion Amschwand wird diesen Abend nicht so schnell vergessen. Eigentlich hatte die Tänzerin im Ensemble von Susanne Linke und Urs Dietrich eine Choreographie uraufführen wollen. Doch zwei Tage vor diesem Wochenendabend sprach Susanne Linke ein Machtwort und jurierte das Stück aus. „Eine heikle Angelegenheit“, sagt man, darauf angesprochen, am Theater und macht ein Gesicht, als sei Kofi Annan in Bagdad gescheitert. Im Concordia rieselt fast dazu leiser Sand von der Decke, und er rieselt fort, bis ein anderes Donnerwetter kommt.
Schon einmal erteilte Susanne Linke den TänzerInnen ihres Ensembles die Lizenz zum Flügge werden. Ein Programm namens „Junge Choreographen“war das Ergebnis und hatte erst heimlich und dann unheimlich den Erfolg, den es verdiente. Jetzt schrieben Barbara Martinini, Ziv Frenkel und andere eine römische Zwei hinter den Titel und brachten mit „Junge Choreographen II“die Fortsetzung heraus. Nur Marion Amschwand hatte Grund zum Groll. Ob ihrer Nase, ihrer Behütung oder ihres Könnens wegen, ist nicht mit Sicherheit feststellbar. Doch vielleicht hat Kofi Annan mal ein Stündchen Zeit, zu retten, was da noch zu retten ist.
Für die beiden Männer da ist es zu spät – in einem anderen Sinn. Unter einem Regenschirm-bewölkten Himmel tauchen sie auf hinter zwei Magritte-Kopien und sind selbst Magritte-Gestalten: Mit Melonen auf dem Kopf, rotgestreiften Badeanzügen und roten Krawättchen pflegen und tanzen sie Linke-Gänge, Dietrich-Gesten und Clownsattitüden, bis – überraschend – ein Dritter kommt. Er tanzt eine Mischung aus Chaplins Tramp und Robert de Niro kurz vor dem Wieder-Einschlafen und ist dabei so voller nervöser Vitalität, daß die anderen beiden endlich greisenhaft ins Dunkel watscheln. Wilfried van Poppel hat diese witzige und bunte Choreographie namens „Uitgeslagen Vleugels“erdacht, hat bis zur Unkenntlichkeit Richtig und Falsch, Gut und Böse ineinander verschachtelt und spricht doch ganz deutlich die Tanzsprache von Linke und Dietrich.
So scheinbar auch Barbara Martinini. An ein Seil geknotet tritt sie auf und scheint zunächst Susanne Linkes „La chute“fortsetzen zu wollen. Doch in dem halben Dutzend Szenen ihres Stückes „John, Joseph, et ma grand-mère ...“schlüpft sie in Frauenrollen zwischen Trotz und energischer Eruption, zwischen Hausarbeit und Champagnerlaune. Hochkonzentriert und sprühend vor Ausstrahlung tanzt und schildert sie diese kleinen Szenen, die so schnell verschwinden wie sie gekommen sind.
Doch die Flüchtigkeit der Bilder gehört zum Wesen des Tanzens. Deshalb ist er immer wieder neu. Zwei der jungen Choreographen setzen sich ganz bewußt damit auseinander, der eine im Ernst, der andere voller Hintersinn.
Ziv Frenkel nimmt Abschied von seiner Mutter. Auf einem windigen Acker – Muttererde, Vaterland – tanzt er Meditationen, robbt über das Feld, vergräbt sich mit Händen und Füßen in den Staub. Eine manchmal wackelige Kamera hat ihn dabei aufgenommen. Jetzt flimmert der Film auf einer Leinwand. Ein Streifen „Sand“diagonal auf der Bühne macht das ganze zur Video-Installation. Als echter Tanz wäre Ziv Frenkels „Mama Merasses“beklemmend, als Film fesselt er nicht. Gegen Ende nähert er sich selbst aus dem Bühnendunkel und rollt den „Sand“ein, der ein Teppich ist. Die kleine echte Geste wirkt stärker als die große virtuelle im Tanzfilm.
Gilles Welinski bewegt sich „Zwischen den Stühlen“. Stabilität ist dabei nur eine Illusion: Ein Stuhl bricht auseinander, sobald sich Wellinski drauf setzt, ein anderer fällt bei leichter Berührung in sich zusammen. Inspiriert durch die Szene aus Büchners „Dantons Tod“, in der der Revolutionär die Sinnlosigkeit allen Handelns beklagt, bringt Welinski einen Slapstick der Tristesse auf die Bühne. Ein Playback auf den Büchnertext ist zwar nicht ganz ausgefeilt. Und doch läßt er die Grenzen zwischen Sprech- und Tanztheater verschwimmen zu einer hintersinnig heiteren Zelebrierung der Melancholie.
Es sind dies Tanzgedichte, die seit Linkes und Dietrichs Wechsel nach Bremen den Stil prägen, und auch die jungen ChoreographInnen dichten dabei mit. So Ziv Frenkel, der sein beim Tanzherbst uraufgeführtes Don-Quijote-Stück „Meine Schätze ...“wohl der Amschwand-Lücke wegen noch einmal zeigt.
So auch Kiri Haardt, die den Abend zusammen mit Barbara Martinini mit einer Tragikomödie namens „Sleeping People don't catch Fish“krönt. In einer Collage aus poetischen Bildern, ironischen Brüchen, Persiflage und Drama sprechtanzen die beiden ein Stück über Begierden und Eifersucht. Bildstark und expressiv wechseln sie vom verballhornten Klischee in die Tragödie und zurück. Dazu rieselt leiser Sand von der Decke. Von Ferne knallt ein Schuß. Zum Donnerwetter. Christoph Köster
Weitere Aufführungen: 6., 7., 14., 17., 21., 22., 24., 26., und 29. März um 20 Uhr im Concordia
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen