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Tanz den Enver Hodscha

Aufgewachsen in der konspirativen Umgebung einer kleinen, maoistischen K-Gruppe: Nina Kurzeja hat das erlebt, und sie hat daraus ein Online-Tanztheaterstück gemacht, das nun zum 1. Mai herauskommt.

Wenn das Lenin wüsste: Nina Kurzeja hat ihre kommunistischen Kindheitserinnerungen tänzerisch verarbeitet. Foto: Alexander Schmidt/Nina Kurzeja

Von Dietrich Heißenbüttel↓

„Roter Morgen – ein Schwanengesang in 7 Teilen“ lautet der Titel einer Reihe 16- bis 18-minütiger Videos der Choreo­grafin und Regisseurin Nina Kurzeja, die zum Tag der Arbeit, dem 1. Mai, an die Öffentlichkeit gehen. Der Untertitel des Stücks: „Eine Kindheit in der linken Polit-Sekte KPD/ML“.

„Die erste richtige Reise, so weiter weg mit Flugzeug und Hotel und so, die ging nach Albanien“, erzählt eine kindliche Stimme zu Filmaufnahmen aus den 1970er-Jahren, wie an Kleidung und Auto­modellen klar zu erkennen ist. Die Körnung, kleine Fussel, ein leichtes Schwanken der Handkamera zeigen, dass es sich um analog gedrehtes Film­material handelt, das Schild „Tirana“ am Flug­hafen, das 1971 errichtete Mutter-Alba­nien-Denkmal auf hohem Sockel, dass die Aufnahmen tatsächlich aus jenem geheimnisumwobenen Land stammen, das sich vom Rest Europas isoliert hatte.

Die Kinderstimme ist die von Nina Kurzeja, die hier auch ihre eigene Geschichte erzählt. Sie beeilt sich allerdings hinzuzufügen, dass das, was in den sieben Video-Folgen zu sehen ist, nicht einfach eins zu eins ihre Familiengeschichte sei, sondern eine künstlerische Verarbeitung. Über die eigene Geschichte hinaus fragt sie danach, was es mit den „linken Polit-Sekten“ insgesamt auf sich hatte. Was sie im Sinn hat, ist nicht eine Chronik der Ereignisse, der Radikalisierungen und Spaltprozesse. Die Kinderstimme hat auch die Funktion, staunend zu berichten, wie das damals war.

Nicht mal in Albanien ist alles rot

Um die sieben Figuren zu entwickeln, die jeweils im Mittelpunkt einer der Folgen stehen, hat Kurzeja viel recherchiert. Das Stück verdankt seine Entstehung auch den coronabedingten Einschränkungen. Denn diese ihre eigene, ungewöhnliche Geschichte des Aufwachsens in einem westdeutschen, kommunistischen Haushalt, mit Beziehungen bis nach Albanien, beschäftigt Kurzeja schon lange. Doch erst jetzt, im Jahr ohne Aufführungen, fand sie Zeit, sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Zudem haben die aktuellen Abstandsregeln die Form der Videosequenzen geprägt: Kurzeja spielt fast alle Rollen selbst.

Da ist zum Beispiel Rolf, ein etwas ungepflegter junger Mann mit dickem Bauch, dem die Parteiideologie eigentlich ziemlich egal ist – so wie er bereits in der Schule nicht eben durch Übereifer hervorstach. Aber er hatte mal eine kurze Affäre mit der albanischen Parteisekretärin Ikmete. „Verdammte Weiber“, schimpft er, wenn wieder mal eine Genossin seine Avancen zurückweist. Kurzeja versucht nicht, dem Kerl mit der abgebrochenen Bildungs­karriere Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Rolf ist unsympathisch.

Keineswegs realistisch, eher grob überzeichnet sind auch Hans-Jürgen, der Kapitalist, und seine frustrierte Frau Inge­borg im goldglitzernden Kleid auf dem Balkon ihrer Villa, ordentlich beschwipst vom Sekt und bisweilen kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Wie sie in einer Sitzecke posiert und immer wieder zu Boden rutscht, das ist Tanztheater der anderen Art: Was nach Hilflosigkeit aussieht, sind in Wirklichkeit sorgsam einstudierte Bewegungsabläufe. An der Art und Weise, wie sie von der Bank gleitet und sich wieder aufrappelt, zeigt sich: Ingeborg ist in eine Sackgasse geraten.

Anders Ulla und Jutta, die beiden anderen Mitglieder der K-Gruppe neben Rolf: Ulla, Parteifunktionärin, hart und bestimmt, legt der anderen, Jutta, ziemlich unmissverständlich nahe, sich von ihrem Freund Heiner zu trennen. „Du weißt doch, welches Risiko das für die Partei bedeutet.“ Hinter dem Kampf für die klassenlose Gesellschaft stehen in beiden Fällen auch persönliche, psychologische Motive: Der Wunsch nach klaren Strukturen, die einem Halt geben, dem starken Mann, der bestimmt, einer Vaterfigur vielleicht.

Kunst befreit

Demgegenüber steht Olga, die rumänische Ballettlehrerin. Sie kommandiert, mit harter Hand und rauher Stimme, wird aber ganz zärtlich, wenn es um Schönheit geht. Die gibt es im Kommunismus nicht, sagt sie, dort tragen die Frauen nur Säcke. Wenn Ingeborg und Hans-Jürgen vielleicht etwas farblos, klischeehaft wirken, so ist sie eine Figur, in der viel von Kurzejas eigenen Erfahrungen steckt. Sie begann in den 1980er-Jahren, als die KPD/ML bereits in der Auflösung begriffen war, ein Ballettstudium in Köln und ging dann kurz nach der Wende als eine der ersten Studentinnen aus dem Westen nach Dresden an die Palucca Hochschule für Tanz, gegründet 1925 von der berühmten Ausdruckstänzerin Gret Palucca.

Die Kunst, sagt Kurzeja, habe sie heraus­geführt aus den starren ideologischen Mustern, und darum geht es ihr auch in dem Stück. Denn warum sonst sollte die kuriose Geschichte der sektiererischen K-Gruppen der 1970er-Jahre heute noch interessieren? Eine skurrile, längst vergangene Episode der Zeitgeschichte. Das Zeitkolorit wird freilich in den Videos sehr sorgsam nachgestellt bis hin zu den Tapetenmustern. Bei allen Differenzen: Auch heute gebe es wieder eine Sehnsucht nach eindeutigen Antworten und klaren Vorgaben, meint Kurzeja, nur eben unter anderen Vorzeichen.

Zugleich, und dafür steht wiederum die Kinderstimme, gab es doch im Gedankengebäude der Kommunisten auch Dinge, die weiterhin zu denken geben. „Krieg ist etwas furchtbar Schlimmes“, fasst das Kind zusammen, was die Eltern ihm beigebracht haben. „Da sterben immer ganz viel Menschen und meistens sind das die, die den Krieg gar nicht angefangen haben.“ Doch dann wird es auch schon wieder kompliziert, denn sie erfährt nicht nur, dass die Amerikaner Imperialisten, sondern auch dass die DDR und der Ostblock Sozialimperialisten seien, weshalb sie plötzlich mit ihrer besten Freundin, die auch noch denselben Namen trägt wie sie, nicht mehr spielen darf.

Es gibt noch ein paar weitere Figuren: Elvana, die Putzfrau, zeitlos, melancholisch und stumm, an der Wand immer ein Porträt des großen Vorsitzenden Enver Hodscha, das sie auf ihrem Rundgang mit abstaubt. Eine Prinzessin mit strohblondem Zopf und pupurrotem Kleid geistert durch den Schnee. Eine silbrig-weiße Diva trägt das Einheitsfrontlied vor oder die Hymne des chilenischen Nueva Canciòn aus der Zeit Salvador Allendes: „El pueblo unido.“ Das Volk, vereint, wird nie entzweit. Leider kam es anders.

Auch Kommunisten wollten tanzen

Der Cellist Scott Roller intoniert in jeder Folge „Der Schwan“ von Camille Saint-Saëns mal im Lastenaufzug, mal in einer Unterführung. Ins Ballett hielt das Stück Einzug unter dem Titel „Der sterbende Schwan“, choreografiert von Mikhail Fokine für die Tänzerin Anna Pavlova. „Eigent­lich ist es heute ein Inbegriff für das klassische Ballett“, erklärt Kurzeja. „Für mich ist dieses Werk tatsächlich auch inhaltlich wichtig gewesen, weil es die Verkörperung der Schönheit im klassischen Tanz symbolisiert. Meine eigene Liebe zum Tanz hat dort ihre Wurzeln – darum war es mir wichtig, dazu einen kleinen Einblick zu geben und dies in einen Spannungsbogen zu setzen zur Partei-Ideologie.“

So ganz wollten indes auch die Kommunisten nicht auf Musik, Tanz und Schönheit verzichten, die aber in den Dienst der Revolution treten sollten. Dies zeigt eine sogenannte Modelloper aus der Zeit der chinesischen Kulturrevolution, die das Kind im Micky-Maus-Kostüm ansieht. Hinter den martialischen Ausfallschritten der uniformierten Tänzerinnen und Tänzer, den in Erwartung der klassenlosen Gesellschaft himmelwärts gerichteten Blicken und Bewegungen steckt dann doch das klassische Ballett.

Nein, eine einfache Auflösung gibt es nicht. Und das Ende soll hier natürlich nicht verraten werden.

Alle Folgen sind ab 1. Mai online. Tickets gibt es gegen fünf Euro Schutzgebühr hier:

www.rotermorgen-schwanengesang.art

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