Tallinner wählen kostenlosen Nahverkehr: Freie Fahrt an der Ostseeküste
Die Einwohner in Tallinn fahren ab 2013 kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Entscheidung fällten die estnischen Städter per Volksentscheid mit einer klaren Mehrheit.
STOCKHOLM taz | 1,60 Euro kostet ein Einzelfahrschein für Bus oder Straßenbahn derzeit, die Monatskarte 18,50 Euro. Ausgaben, die sich Bewohner der estnischen Hauptstadt Tallinn ab 2013 sparen können. Dann wird der öffentliche Personennahverkehr dort nämlich nicht nur wie bislang schon für Rentner, sondern für alle StadtbewohnerInnen kostenlos sein.
75,5 Prozent der Wahlberechtigten folgten bei einem einwöchigen Referendum bis Sonntag der Aufforderung „Deine Stimme für kostenlosen öffentlichen Transport“ und stimmten mit Ja. Der Stadtrat werde das Votum nun umgehend umsetzen, versprach Oberbürgermeister Edgar Savisaar.
Die Stadtoberen hatten die Initiative ausdrücklich unterstützt. Begründung: Es müsse etwas gegen den wachsenden privaten Pkw-Verkehr, die immer häufigeren Verkehrsstaus und die steigenden Unfallzahlen in der Hauptstadt getan werden. Und der Umwelt werde der erhoffte Rückgang des Individualverkehrs auch guttun.
Votum gegen Staus und Unfälle
Schritte zu einem attraktiveren ÖPNV sind dringend nötig: Landesweit sank die Zahl der ÖPNV-Nutzer von 2010 bis 2011 um 8, in Tallinn um 13 Prozent. Fuhren 2001 noch 31 Prozent mit Bahn und Bus zur Arbeit, sind es jetzt 22 Prozent. Ob allerdings die „freie Fahrt“ das richtige Rezept ist, darüber streiten Verkehrsexperten. Zumal es bislang an Maßnahmen fehlt, den privaten Autoverkehr gleichzeitig unattraktiver zu machen.
Parteipolitische Gegner werfen Savisaar – gleichzeitig Vorsitzender von Estlands linksliberaler Zentrumspartei – Wahltaktik vor. Im Oktober 2013 finden Kommunalwahlen statt, mit der freien Fahrt wolle der Bürgermeister den Weg für eine Wiederwahl frei machen.
Die Debatte in den Medien drehte sich neben der Frage, ob sich die chronisch klamme Stadtkasse von Tallinn die nun notwendige Steigerung des ÖPNV-Budgets um 40 Prozent oder 20 Millionen Euro wirklich leisten kann, vor allem um Obdachlose und anderer „schwieriger“ Passagiere: Diese würden dann vielleicht mehr als schon zuvor Busse und Bahnen zu ihrem bevorzugten Aufenthaltsort machen.
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