Talkshows im Quotenkampf: Islamisten zum Jahrestag

20 Jahre nach dem rassistischen Anschlag von Solingen zeigt „Anne Will“ bei der Themenauswahl wenig Sensibilität und viel Quotengeschick.

Moderatorin im Gruselkabinett: Anne Will zwischen einer Niqab-Fundamentalistin und einem CSU-Innenminister. Bild: NDR / Wolfgang Borrs

Kein Mitarbeiter im Redaktionsteam von „Anne Will“ hat einen Migrationshintergrund. Einen muslimischen Kollegen hat die Moderatorin offenbar auch nicht oder sonst jemanden mit interkultureller Kompetenz. Sonst hätte sie vielleicht jemand darauf hingewiesen, dass es fragwürdig sein könnte, ausgerechnet zum 20. Jahrestag des rassistischen Anschlags von Solingen ihre Talkshow unter das Motto „Allahs Krieger im Westen. Wie gefährlich sind radikale Muslime?“ zu stellen.

Dafür hagelte es seit Mittwoch in den sozialen Netzwerken Kritik und Häme. „Mensch Titanic, am 20. Jahrestag des Solinger Brandanschlags macht man doch nicht solche Witze. Ist gar kein Witz? Ach, so!“, ätzte die Journalistin Hatice Akyün, noch bevor die Sendung begonnen hatte. Nicht alle nahmen es mit so viel Humor. „Wann diskutieren wir über Rassismus?, fragte die Bloggerin und taz-Kolumnistin Kübra Gümüsay per Twitter.

Und „taktlos“ schrieb die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor in einem Brief, der auf Facebook bis Donnerstag über 250-mal geteilt wurde. Darin fragte sie, warum Muslime von Talkshow zu Talkshow immer wieder mit Terror und Gewalt in Verbindung gebracht würden, während „der mörderische Rassismus innerhalb der Mehrheitsgesellschaft“ kein Thema sei, so Kaddor.

Die Runde bei „Anne Will“ selbst verlief recht vorhersehbar. Mit dem bayrischen CSU-Innenminister Joachim Herrmann und dem SPD-Politiker Thomas Oppermann, der sich im Kompetenzteam von Peer Steinbrück gerade für das Amt des Bundesinnenministers warmläuft, saßen zwei Wahlkämpfer dabei, mit der Publizistin Necla Kelek eine bekannte Populistin.

Hinzu geladen hatte man aus der Schweiz die Konvertitin Nora Illi, die im Ganzkörperschleier mit Sehschlitz auftrat. Vor einigen Monaten war Illi bereits bei Sandra Maischberger zu Gast gewesen und hatte um Verständnis für die männliche Polygamie geworben. Es ist dieses erwartbare Setzen auf schrille Charaktere, das zur Angleichung der öffentlich-rechtlichen Talkshows auf Trash-Niveau geführt hat.

Erst vor Kurzem hatte Wills Kollege Günther Jauch mit dem Thema Salafismus eine Bruchlandung hingelegt, die Sendung ging in Gezeter und Geschrei unter. Der Verdacht liegt nahe, dass sich auch Anne Will durch so polarisierende Themen ein Quoten-Hoch verspricht. Schließlich ist sie nur knapp dem Schicksal ihres Kollegen Reinhard Beckmann entgangen, dessen Talk spätestens Ende 2014 ausläuft. Immerhin, die Quoten ihrer Sendung waren gut, nicht zuletzt dank der vorherigen Fußballübertragung sahen rund 2,4 Millionen Menschen zu.

„Wie immer bei Themen wie diesen“ habe man „sehr unterschiedliche, zum Teil sehr emotionale und auch diffamierende Reaktionen“ erhalten, erklärte Anne Wills Sprecherin am Donnerstag auf Anfrage der taz. Man habe sich, mit Blick auf die Attentate in Boston und London, „für eine aktuelle politische Debatte entschieden“. Der Jahrestag der Anschläge von Solingen sei aber „im Sendungsablauf selbstverständlich berücksichtigt“ worden. Tatsächlich hatte Thomas Oppermann daran erinnert, dass auch die Radikalisierung rechter deutscher Jugendlicher eine Gefahr darstelle.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.