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Der Kommentar

Taliban statt Frauenrechte Geht Pazifismus auf der Couch?

Ist mit dem Ende des Afghanistan-Einsatzes die Idee des Westens erledigt, Terrorregime zu stürzen und den Menschen demokratische Strukturen zu ermöglichen? Und was wird jetzt aus den afghanischen Frauen und Mädchen?

Foto: picture-alliance / dpa

Von UDO KNAPP

Ende April 1975 wird die Regierung Südvietnams von nordvietnamesischen Panzern in Saigon aus dem Amt gejagt. Auf dem Dach der amerikanischen Botschaft versuchen verzweifelte Kombattanten der Amerikaner, in den letzten Helikopter zu gelangen, der sie vor den heranstürmenden nordvietnamesischen Kommunisten in Sicherheit bringen könnte. Keine Chance, sie müssen bleiben. Das Drama der „boat people“ nimmt seinen Lauf. Diese Bilder sind schmerzhaft ins Weltgedächtnis eingebrannt.

Zwei Jahre zuvor hatten Henry Kissinger für Präsident Nixon und Lê Đức Thọ für das ZK in Hanoi ein Friedensabkommen abgeschlossen. Amerika sagte den sofortigen Abzug seiner Truppen zu, die Nordvietnamesen das Ende ihrer militärischen Eroberung Südvietnams. Die Amerikaner zogen ab, die Nordvietnamesen stellten alle Gespräche mit der Regierung in Saigon ein und der Vietcong begann die Eroberung Südvietnams. Kissinger und Lê Đức Thọ erhielten dennoch den Friedens-Nobelpreis, den Lê Đức Thọ nicht annahm. Hồ Chí Minh und seine Vietcong hatten den Versuch der USA vereitelt, mit oft zügelloser, sinnloser Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und unter großen eigenen Opfern, ein halbwegs demokratisches, aber tief korruptes Staatssystem zu stabilisieren.

Geschichte wiederholt sich nicht? Manchmal offensichtlich doch.

Die Taliban werden Kabul zurückerobern

Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 entschlossen sich die USA und die Nato, in Afghanistan einzumarschieren, die Herrschaft der Taliban zu brechen und ein demokratisches Afghanistan auf den Weg zu bringen. Zwanzig Jahre später wird US-Präsident Biden mit dem 4. Juli 2021, dem Unabhängigkeitstag Amerikas, den Einsatz der US Truppen in Afghanistan beenden. Alle Nato-Truppen sollen, Stand jetzt, bis zu diesem Tag das Land verlassen haben. Die wieder erstarkten Taliban haben alle Friedensgespräche mit der Regierung in Kabul abgebrochen, sie kontrollieren bereits jetzt schon wieder bis zu 60 Prozent des Landes. Sie verstärken landesweit ihre Terrorangriffe. Die Taliban werden Kabul zurückerobern. Sie werden ihre archaisch-islamische Männerherrschaft wieder aufrichten. Vermutlich werden die derzeit in Kabul Regierenden dabei sogar mit ihnen kooperieren.

Vor allem die Frauen und Mädchen in Afghanistan werden mit dem Verlust all ihrer in der Zeit der Besetzung gewonnenen Menschenrechte und Freiheiten den Preis für den Abzug des Westens bezahlen. „I can't shake off the despair and the sense that Afghanistan has been abandoned by the world“, erklärte Farahnaz Forotan, eine gerade geflohene Journalistin, verzweifelt in der New York Times vom 20. April. Schon jetzt kann sich der Westen der Welt auf eine neue Flüchtlingswelle und die Wiederkehr des islamischen Terrors einstellen.

Ist die Idee, weltweit und wenn nötig auch mit militärischen Mitteln Terrorregime zu stürzen und der Demokratie bei ihrer Aufrichtung zur Seite zu stehen grundsätzlich und für immer gescheitert?

Die Chance auf ein demokratisches Afghanistan verspielt

Die USA und ihre Verbündeten haben im Krieg für ein demokratisches Afghanistan einen zumindest denkbaren Erfolg selbst verspielt. Sie haben gemeinsam fast 140 Milliarden Dollar für den Aufbau des neuen afghanischen Staates ausgegeben. Die Kosten für das eingesetzte Militär sind hier nicht einbezogen. Allein der Einsatz der Bundeswehr hat bisher 12,5 Milliarden Euro gekostet.

Aber die westlichen Verbündeten haben, ähnlich wie die USA in Vietnam und genau besehen wie auch im Irak, zwar diese Länder besetzt, aber dann nicht für die Sicherheit gesorgt, unter deren machtbewehrtem exekutiven Schutz eine neu sich bildende Zivilgesellschaft die eigenen Verhältnisse selbst hätte gestalten können. Nach drei diktatorischen Regimes – zuerst das der Kommunisten, dann das der Mudschaheddin und schließlich das der Taliban – gab es für eine demokratische Zukunft in Afghanistan durchaus eine Basis in der Bevölkerung.

Übrigens: In Deutschland haben nach dem Zweiten Weltkrieg die Alliierten mit aktiv steuerndem und kontrollierendem Allein-Entscheiden dafür gesorgt, dass demokratische Verhältnisse auf den Weg kommen konnten. Die völkerrechtliche Beschränkung deutscher Souveränität blieb bis zur Wiedervereinigung in Kraft. In Afghanistan dagegen haben die westlichen Verbündeten von Anfang an immer wieder erklärt, dass sie ihre Präsenz möglichst schnell wieder beenden würden. Sie haben aktiv mit den alten tribalistischen Warlords kooperiert, anstatt sie zu entmachten und stattdessen die demokratischen Kräfte und vor allem die Frauen zu stärken. So ist bis heute nicht nachvollziehbar, warum die EU ein Hilfsprogramm für afghanische Parlamentarierinnen aus Kostengründen gestrichen hat, das ihnen helfen sollte, von den Warlords unabhängig zu werden.

Die westlichen Couch-Demokraten überlassen die Freiheitsliebenden der Willkür ihrer Unterdrücker

Die westlichen Verbündeten unter der Führung der USA und der Nato haben Afghanistan zwar besetzt, aber zugesehen, wie die ethnischen Auseinandersetzungen im Land jeden Ansatz eines Prozesses eines „nation building“ unterlaufen haben. Sie haben die Selbstbereicherung der alten Clan-Eliten aus den Demokratiedividenden des Westens hingenommen, genauso wie sie die fortwährende Manipulation der Wahlen nicht unterbunden haben.

Wenn jetzt das Scheitern des Afghanistan-Einsatzes dafür genutzt wird, grundsätzlich jeden Versuch in Zweifel zu ziehen, von außen den Kampf für Demokratie und Freiheit zu unterstützen, dann überlassen die westlichen Couch-Demokraten die Freiheitsliebenden der Willkür ihrer Unterdrücker.

Selbstverständlich kann der Westen nicht überall auf der Welt, zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit Freiheitspolitik mit Kanonen praktizieren. Aber genauso wenig wird der Westen, wenn er seine Freiheit auf Dauer sichern will, darauf verzichten können, nicht nur wohlgefällig protestierend, sondern sich immer wieder auch aktiv an die Seite der um Freiheit und Demokratie Kämpfenden zu stellen.

Es wäre ein Signal moralischer Verantwortung, wenn die Bundesregierung dem Vorschlag der Verteidigungsministerin Kramp-Karrenberger folgen würde und diejenigen afghanischen Bürger und deren Familien, die aktiv mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben, in die Bundesrepublik zu bringen und ihnen hier dauerhaftes Asyl zu gewähren.

UDO KNAPP ist Publizist.