Taliban-Geiseln: Lebende Bomben
Bush und Karsai trafen sich in Camp David. Über die entführten Südkoreaner ging es nur am Rand. Auf die Forderungen der Geiselnehmer wolle man nicht eingehen.
WASHINGTON taz Die Harmonie auf dem grünen Rasen vor dem Weißen Haus ließ nur in einem Punkt Dissens erkennen: Während der afghanische Präsident Hamid Karsai den benachbarten Iran als "hilfreich" bei der Terror- und Drogenbekämpfung in seinem Land bezeichnet hatte, sagte US-Präsident George W. Bush nach den zweitägigen bilateralen Konsultationen in Camp David: "Ich wäre sehr vorsichtig, ob der iranische Einfluss in Afghanistan eine positive Macht ist."
Karsai aber wisse am besten, was in Afghanistan vorgehe, "und ich bin natürlich gewillt zuzuhören", sagte Bush, "doch aus meiner Perspektive liegt die Beweislast bei der iranischen Regierung, uns zu zeigen, dass sie eine positive Rolle spielt", nicht nur in Afghanistan, sondern vor allem in den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Der Iran leistet nach eigener Darstellung Entwicklungshilfe in afghanischen Dörfern, die US-Regierung verdächtigt das Mullah-Regime, Waffen dorthin zu liefern.
Auf der Pressekonferenz am Montagabend in Washington fragten die extra dafür ausgewählten Journalisten die beiden Präsidenten nicht nach den südkoreanischen Geiseln oder der deutschen Geisel, weder Bush noch Karsai erwähnten das Problem. Später teilte ein US-Regierungssprecher dann jedoch mit, die beiden Staatschefs seien sich einig, dass den Entführern keine Gegenleistungen gewährt werden dürften, die die radikalislamischen Taliban ermutigen könnten. Zu einer möglichen gewaltsamen Geiselbefreiung sagte der Sprecher nichts.
US-Journalisten fragten Bush, ob US-Militärs gegebenenfalls Al-Qaida-Führer im pakistanisch-afghanischen Grenzland festnehmen könnten - ohne vorherige Konsultationen mit Pakistans Regierung. Bush antwortete: "Ich bin zuversichtlich, mit echten aktionswürdigen Geheimdienstinformationen werden wir den Job erledigen".
Pakistans Präsident Pervez Musharraf hat sich gegen einseitige Militäraktionen der USA verwahrt. Karsai wird sich Ende dieser Woche mit Musharraf treffen. Dabei gehe es vorrangig darum, "wie wir den Kampf gegen den Terrorismus in beiden Ländern fortführen", sagte Karsai. Beobachter hatten den Eindruck, der von Pakistans Regierung sichtlich frustrierte Bush wollte der bedrängten Regierung in Kabul demonstrativ den Rücken stärken. "Es wurden Fortschritte gemacht, und wir sind stolz auf Sie", sagte Bush zu Karsai. Der US-Präsident betonte, dass zivile Opfer bei amerikanischen Militäraktionen im Grenzgebiet "höchst bedauerlich" seien. Die USA täten alles, Unschuldige zu schützen, es seien die Taliban, "kaltblütige, brutale Mörder", die sich mit menschlichen Schutzschilden umgeben, um zivile Opfer zu provozieren. Der afghanische Präsident versicherte, den Kampf gegen Drogenanbau und -handel zu intensivieren, "denn dieses Übel trifft zuerst uns".
Eine afghanische Journalistin wollte von Karsai wissen, wie er die Begnadigung eines 14-jährigen verhinderten Selbstmordattentäters rechtfertige. Karsai sagte, die Mutter des Jungen sei schwer krank, der Vater habe alles Geld der Familie in ihre Behandlung stecken müssen und sei deshalb auf das Angebot eingegangen, das Kind kostenlos in einem Internat in Pakistan ausbilden zu lassen.
Dieser Junge sei ein Beispiel für die abscheuliche Praxis, bettelarme afghanische Kinder in pakistanischen Religionsschulen einer Gehirnwäsche zu unterziehen und für menschenverachtende Ziele zu instrumentalisieren. Es gebe einen regelrechten Handel mit solchen Kindern. Seiner Regierung seien solch lebende Bomben schon angeboten worden: entweder Lösegeld oder Attentat. Der begnadigte Junge sei seiner Familie zurückgegeben worden und gehe nun kostenlos auf eine normale afghanische Schule.
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