Taliban-Experte über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan: "Deutsche bunkern sich zu sehr ein"
Ahmed Rashid zu al-Qaida, den Fehlern im Afghanistankrieg, den Entwicklungen in Pakistan sowie den deutschen Militäreinsatz am Hindukusch.
taz: Herr Rashid, welche Bilanz ziehen Sie sieben Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vom so genannten Krieg gegen den Terror?
Ahmed Rashid: Al-Qaida hat seitdem in Süd- und Zentralasien enorm expandiert. Es verfügt über neue Basen und hat neue Verbündete gewinnen können wie die pakistanischen und afghanischen Taliban. Es trainiert europäische Zellen, was es zuvor noch nie gemacht hat, und es trainiert Zellen in Nordafrika und im Kaukasus. Selbst wenn al-Qaida im Irak eine vorübergehende Niederlage erlitten haben sollte, hat es sich in meiner Region stark ausgebreitet. Die afghanische wie die pakistanische Regierung stehen unter dem großen Druck einer Taliban- und al-Qaida-Offensive. Nach sieben Jahren sieht dies für die Bush-Regierung nicht nach einer Erfolgsgeschichte aus.
Welche Fehler haben die USA und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan gemacht?
Es gibt eine lange Liste von Fehlern, wie ich in meinem Buch darlege. Der erste war, das schon während des Krieges 2001 die US-Regierung die Invasion des Irak plante und vorbereitete. Dies führte zu einen minimalistischen Einsatz in Afghanistan: eine unzureichende Zahl von Soldaten und Geld. Zweitens haben die USA die Nato abgewiesen, als diese ihre Unterstützung anbot. So blieb die Nato bis 2005 draußen. Eine frühere Nato-Präsenz wäre sicher besser gewesen.
Warum?
Das hätte die Basis internationaler Truppen verbreitert und sicher zu mehr Soldaten und damit zu mehr Sicherheit geführt. Außerdem wären die Europäer so früher in die politische Debatte einbezogen worden. So haben letztlich die USA die Politik bestimmt. Ein weiterer Fehler war, dass die Amerikaner den Taliban erlaubt haben, nach Pakistan zu entkommen. Sie haben den Pakistanern sogar erlaubt, die Taliban versteckt zu unterstützen. Die US-Politik bestand darin, nur die "Araber" und al-Qaida zu verfolgen. Das war eine sehr engstirnige Politik. Die Amerikaner waren nicht an den Taliban interessiert bis vor etwa 18 Monaten, als sie plötzlich merkten, dass die Taliban wirklich eine Bedrohung für die Karsai-Regierung sind.
Welche Fehler wurden auf afghanischer Seite und speziell von Präsident Hamid Karsai gemacht?
Erstens ist Karsai nie in die Lage versetzt worden, eine angemessene Zentralregierung zu bilden. Vier Jahre lang haben die Amerikaner die Warlords unterstützt und nicht Karsai. Er bekam kein Geld, und auch die Truppen und die Polizei nicht - bis etwa 2004. Das war eine kriminelle Verschwendung von Ressourcen durch die internationale Gemeinschaft. Denn von 2001 bis 2004 waren die Afghanen nur allzu bereit, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Sie wurde als Befreier willkommen geheißen. Zweitens hat sich der Westen überhaupt nicht um die in Pakistan wieder stark werdenden Taliban gekümmert. Und drittens hat Karsai selbst nicht entschlossen genug gehandelt. Er sollte viel härter umgehen mit Korruption und Drogenanbau und -handel.
Der Westen wollte Afghanistan auf die billige Tour befrieden, indem er die Warlords kooptierte statt sie zu entmachten, was die Unruhe zunächst nur noch vergrößert hätte?
Es gab damals eine Strategie des stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz - ich nenne ihn Warlord Wolfowitz. Seine Position war, dass die USA keine Bodentruppen in Afghanistan außerhalb der Städte einsetzen sollten. Dort würden die Warlords für Sicherheit sorgen. Deshalb wurden sie von den USA bewaffnet und bezahlt. Dabei sind diese Warlords für das Drama in Afghanistan mitverantwortlich, sie sind in der Bevölkerung verhasst.Die Warlords haben das Geld der Amerikaner gern genommen, aber für Chaos gesorgt. Sie sind in das Drogengeschäft und Kriminalität verwickelt,.
Wie kann der massive Opiumanbau in Afghanistan unterbunden werden?
Der große Fehler der internationalen Gemeinschaft bestand darin, nicht schon von Beginn an eine Politik der Unterbindung des Drogenhandels verfolgt zu haben. Nicht durch Zerstörung der Opiumfelder, sondern durch ein Vorgehen gegen den Handel und die Händler. Ein entschlossenes Vorgehen der westlichen Militärs hätte von Anfang an einen abschreckenden Effekt auf den gesamten Drogensektor gehabt. Zweitens hätte man in die Landwirtschaft investieren müssen. Sieben Jahre lang wurde überhaupt nichts investiert, nicht in Bewässerung, Düngung, ländliche Infrastruktur usw. Jetzt wollen die Amerikaner im nächsten Haushalt zwei Milliarden US-Dollar dafür bereit stellen. Hätte man das doch bloß schon früher gemacht. Dann wären die drei Millionen Flüchtlinge und Rückkehrer nicht überwiegend in die Städte gezogen, wo sie die Krise verstärkt haben. Die Menschen hätten in ihre ursprünglichen Dörfer zurückgehen können. Und die Milizen wären leichter demobilisiert worden. Stattdessen wurden sie kriminell. In der Drogenfrage wurden also strategische Fehler gemacht. Noch heute, nach sieben Jahren, gibt es keine gemeinsame internationale Strategie zur Lösung des Drogenproblems in Afghanistan.
US-Generalstabschef Mullen fordert bereits eine US-Militärstrategie für Afghanistan und Pakistan. Kann der Krieg in Afghanistan überhaupt gewonnen werden, ohne gleichzeitig eine Lösung der Krise in Pakistan anzustreben?
Das pakistanische Militär hat der afghanischen Taliban-Führung Unterschlupf gewährt. Das ermöglichte den Taliban, sich 2003 neu zu formieren. Zugleich führte dies zur Entstehung der pakistanischen Taliban. Die Amerikaner haben Pakistan in den letzten sieben Jahren mit 11,8 Milliarden Dollar unterstützt. 80 Prozent davon ging an das Militär, doch das konnte das Militär nicht zu einer Änderung ihrer Politik bewegen. Ich glaube auch nicht, dass der Einsatz von US-Bodentruppen in Pakistan eine solche Wende herbeiführen wird. Das Militär ist sehr einflussreich in den Medien, den Moscheen und in fundamentalistischen Gruppen. Das Afghanistan-Problem darf deshalb nicht im Kontext eines einzelnen Landes betrachtet werden. Der Konflikt ist längst regional und bedarf auch einer regionalen Lösung. Denn jetzt kämpfen und trainieren auch kaschmirische Mudschaheddin mit den Taliban oder indische Muslime. Die Bedrohung, die Pakistans Militärs fürchten und sehen, geht von Indien aus. Deshalb müssen auch die Inder einen Beitrag leisten zur Lösung der Kaschmir-Frage und der Grenzstreigigkeiten mit Pakistan sowie des Gerangels mit Pakistan um den Einfluss in Kabul. Mit anderen Worten: Der Umgang mit Afghanistan erfordert den Umgang mit Pakistan und der erfordert einen Umgang mit Indien.
Warum sollten dann die Inder zuhören?
In Indien gibt es inzwischen ein wachsendes Bewußtsein. Mein jüngstes Buch ist dort seit vier Wochen die Nummer eins auf der Bestsellerliste. Die jungen Inder verstehen, dass der Fundamentalismus Pakistan bedroht. Ein talibanisiertes Pakistan ist das Letzte, was sich Inder wünschen. Auf der anderen Seite muss natürlich mit Iran verhandelt werden. Die Amerikaner müssen mit dem Iran reden, weil auch der Teil einer Lösung ist. Zur Zeit destabilisiert Iran den Norden und Westen Afghanistans und bewaffnet die Nicht-Paschtunen. Man braucht ein neues UN-Mandat für einen neuen Mechanismus, der Iran, Zentralasien, Indien, Pakistan und Afghanistan einschließt. Man kann sich nicht um jeweils nur ein Land kümmern, sondern muss alle fünf gemeinsam betrachten.
Die Angriffe von US-Truppen in Pakistan nehmen zu, US-Präsident Bush hat den Einsatz von Bodentruppen abgesegnet und auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Barak Obama befürwortet solche Einsätze. Werden solche Angriffe Pakistan noch weiter destabilisieren?
Zunächst einmal gehe ich von einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen dem pakistanischen Militär und den Amerikanern aus. Ich kann mit nicht vorstellen, dass es solche Angriffe ohne Wissen des pakistanischen Millitärs gibt. Aber die Auswirkungen werden sehr schädlich sein, speziell für die zivile Regierung. Sie ist gerade erst an die Macht gekommen und man wird sie beschuldigen, dies zugelassen zu haben. Leider hat die jetzige US-Regierung immer militärische Lösungen für politische Probleme gewählt, sei es im Irak, in Afghanistan und jetzt in Pakistan. Wir brauchen eine politische Lösung und die muss die Pakistaner überzeugen, dass sie nicht von Indien oder anderswo bedroht werden. Haben die Amerikaner in den letzten Jahren dazu beigetragen, Indern und Pakistaner einander näher zu bringen? Nein, gar nichts. Stattdessen haben die Amerikaner jetzt den Atomdeal mit Indien ausgehandelt. Der macht doch die Pakistaner noch paranoider. Denn damit ist die indische Atombombe plötzlich akzeptabel, aber nicht die pakistanische.
Hat der neue pakistanische Präsident Asif Ali Zardari eine überzeugende Strategie gegen den Terrorismus, und wird er sie auch umsetzen können?
Er hat noch keine. Das Hauptproblem in Pakistan ist aber das Verhältnis zwischen Militär und ziviler Regierung. Zardari hat wohl das Herz auf dem rechten Fleck, will das Richtige machen und ist sich der Probleme bewusst, aber sein Problem ist das Militär. Unter Kontrolle wird er es nicht bringen, aber er braucht wenigstens eine Partnerschaft. Und dafür benötigt er die Unterstütung des Westens.
Ist eine öffentliche Unterstützung Zardaris durch den Westen nicht kontraproduktiv?
Nein. Pakistan hat momentan große wirtschaftliche Probleme. Wir brauchen dringend ein Hilfspaket. Wenn Amerikaner und Europäer das liefern könnten, was sie bisher nicht getan haben, würde das als sehr hilfreich wahrgenommen.
Wird Zardari Pakistans Probleme lösen?
Er hat einen schlechten Ruf, das ist bekannt. In unserem Land ist nach achtjähriger Militärherrschaft der Übergang zu einer Zivilregierung nicht leicht. Wir haben das schon dreimal durchgemacht und wissen, wie schwierig das ist. Seit acht Jahren ist doch niemand Neues mehr in die Politik gegangen. Die Militärs wollten das nicht, so dass wir jetzt nur die alten Gesichter haben. Was erwarten Sie also?
Steht er nicht für das alte, feudale System von Patronage?
Alle Parteien in Pakistan basieren darauf. Wir hatten noch nie eine demokratisch gewählte Regierung, die fünf Jahre im Amt überlebt hat und die man abwählen konnte. Immer wurden die gewählten Regierungen vorher gestürzt. Eine korrupte Regierung, die man abwählen könnte, wäre schon ein großer Fortschritt.
Lassen Sie uns über die Rolle Deutschlands im Afghanistan-Konflikt sprechen. Der deutsche Innenminister Schäuble wie Verteidungsminister Jung lehnen den Begriff Krieg für die Situation in Afghanistan ab. Was halten Sie davon?
Das ist das absurdeste Argument, das ich je gehört habe. Es gibt dort einen voll entwickelten Aufstand, der durch eine ebensolche Aufstandsbekämpfung zurückgedrängt werden muss, durch die Nato und durch die Deutschen. Diesen Aufstand zu negieren, wäre ein Verrat an Afghanistan, an der Region wie an den deutschen Soldaten. Die Deutschen sollten die Situation realistisch beschreiben. Ich war jetzt gerade im Auswärtigen Amt bei der Botschafterkonferenz und hatte den Eindruck, dass dort inzwischen ein viel realistischeres Bild herrscht.
In Deutschland wird nach wie vor zwischen Einsätzen im Rahmen der Operation Enduring Freedom und der ISAF-Schutztruppe unterschieden. Ist dies noch angemessen?
Das ist völlig überholt, beide bekämpfen heute den Aufstand der Taliban. Nur weil die Deutschen das nicht machen, heisst das noch längst nicht, dass ISAF das nicht macht. Diese Unterscheidung ist heute völlig irrelevant. Außerdem kommen jetzt beide unter ein gemeinsames amerikanisches Oberkommando. Ich werde da sehr ärgerlich. Diese Argumentation hat damals Joschka Fischer benutzt, um der deutschen Öffentlichkeit einzureden, die deutschen Truppen wären nicht zum Kämpfen da. Das war damals relevant, aber heute ist es unzutreffend.
Die Bundesregierung will bei der im Oktober anstehenden Mandatsverlängerung für den Bundeswehreinsatz auch die Zahl der entsandten deutschen Soldaten um 1.000 erhöhen. Wird das helfen?
Für mich ist entscheidend, was die deutschen Truppen in Afghanistan machen. Ich fordere nicht, dass sie in den Süden gehen sollen. Stattdessen sollten sie im Norden verstärkt handeln. Sie sollten gegen den Drogenhandel vorgehen, sie sollten mehr auf Patrouille gehen und den Menschen Sicherheit bieten. Wir erleben im Norden eine Welle der Gewalt mit Entführungen und Morden. Die Lage hat sich rasant verschlechtert, weil sich die Deutschen zu sehr einbunkern. Außerdem jagen die Deutschen im Norden keine Taliban, obwohl es dort Taliban-Stützpunkte gibt. Die Deutschen scheinen dort gar keine offensiven Fähigkeiten zu entwickeln. Das ist doch lächerlich. Was soll passieren, wenn morgen 20 deutsche Soldaten in einem großen Hinterhalt sterben und die Deutschen danach nicht in die Offensive gehen? Sollen dann die Amerikaner aus Kandahar in den Norden kommen und dort den Kampf für die Deutschen führen? Das ist doch lächerlich. Die Deutschen müssten auch eine stärkere Rolle im politischen Prozess spielen und zwischen den verschiedenen afghanischen Kräften stärker vermitteln. Deutschland müsste mehr zum Kapazitätsaufbau in Afghanistan beitragen und zum Beispiel deutsche Mentoren für die Polizei, Armee und Regierung stellen. Diese Mentoren muss man aber auch schützen, das heißt die Truppen müssen sichtbar sein und dürfen sich nicht in ihren Bunkern verstecken.
Ihr Vorschlag für ein offensivers Verhalten wird zu mehr toten deutschen Soldaten führen. Schon heute ist aber Umfragen zufolge eine Mehrheit der Deutschen gegen den Bundeswehreinsatz.
Die Bundesregierung muss die Öffentlichkeit aufklären. Das hat die Regierung bisher verweigert. Die deutsche Öffentlichkeit hat keine Ahnung, was vor sich geht, sie weiß nicht einmal, was die deutschen Truppen dürfen und was nicht. Einer der Fehler der alten Regierung war, die Entsendung der Truppen nach Afghanistan mit dem Irak zu verbinden. Afghanistan, Irak und die USA wurden als ein Zusammenhang wahrgenommen. Deutschland schickte Truppen nach Afghanistan, um zu vermeiden, welche in den Irak zu schicken zu müssen. Die Deutschen sollten aber wegen ihrer eigenen Sicherheit in Afghanistan sein. Davon muss man die Öffentlichkeit überzeugen. Es geht nicht um einen Gefallen den Amerikanern gegenüber, sondern um die eigene Sicherheit der Deutschen.
INTERVIEW SVEN HANSEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Jette Nietzard gibt sich kämpferisch
„Die Grüne Jugend wird auf die Barrikaden gehen“
Gründe für das Aus der SPD-Kanzler
Warum Scholz scheiterte