■ Tagsüber reparieren sie Spielplätze und helfen alten Leuten über die Straße. Nachts laufen sie Streife und besetzen Jugendklubs: Eine neue Strategie der Neonazis: Saubermänner auf Erfolgskurs
Margitta Fahr, 43, ist Historikerin und Ethnologin. Seit zehn Jahren beschäftigt sie sich mit diversen Jugendbewegungen in Ostdeutschland. Beim Berlin-Brandenburgischen Bildungswerk bildet sie in Seminaren Lehrer und Sozialarbeiter weiter, die täglich mit rechten Jugendlichen Umgang haben. In einem Jugendklub außerhalb Berlins arbeitet sie seit vier Jahren mit jungen Rechtsradikalen in einer Geschichtswerkstatt.
taz: Sie haben eine Tendenzwende innerhalb der rechten Bewegung ausgemacht. Neuerdings würden militante Rechte sich um „national befreite Zonen“ mühen. Was verbirgt sich dahinter?
Margitta Fahr: Darunter verstehen Rechtsradikale ein Gebiet oder Territorium, das sie unter ihrer Kontrolle haben. Es kann ein Jugendklub sein, ein Wohngebiet oder auch ein Dorf.
Nach welchen Mustern erfolgt diese „Inbesitznahme“?
In Wohngebieten etwa übernehmen sie Polizeifunktionen. Sie laufen Streife, um Überfälle zu verhindern. Jeder, den sie als Gegner ausgemacht haben – seien es Punks oder Ausländer –, wird massiv vertrieben. Notfalls mit dem Baseballschläger. Wir haben das in Magdeburg-Neu Olvenstedt gesehen, wo Rechte einen Punk erstochen haben, der sich in ihr Gebiet verirrt hatte.
Das heißt, sie prügeln sich ihre Gebiete frei?
Die Parole heißt: Gewalt nur da, wo man mit anderen Mitteln nicht weiterkommt. Aber der Baseballschläger wird nicht primär eingesetzt. Eine „befreite Zone“, so, wie es sich die rechten Vordenker im Thulenetz wünschen, ist ein „Kampf für die Sache des Volkes, ein zähes Ringen um die Herzen und Hirne der Menschen“.
In Dörfern beobachten wir, wie sie etwa die älteren Leute unterstützen. Sie gehen für sie einkaufen. Sie laufen die Spielplätze ab, säubern die Sandkästen, reparieren Geräte, gucken, ob da keine Spritzen liegen. So wollen sie gegen die allgemein empfundene Entsolidarisierung ankämpfen.
Sind die Rechten mittlerweile nicht vielmehr darauf bedacht, ihr ramponiertes Image als Schläger und Trunkenbolde aufzupolieren?
Das auch. Aber in dem Moment, wo die Bevölkerung das Gefühl hat, da sind Leute, die kümmern sich um das Wohnumfeld, schaut niemand mehr nach deren rechter Gesinnung. Wenn jemand sagt: Hier in unserem Wohngebiet kommt kein Ausländer rein, der Frauen vergewaltigen könnte, fühlt mensch sich sicher. Wenn Jugendliche in einem Dorf für Ruhe und Ordnung sorgen, wird das auch akzeptiert. In den städtischen Jugendklubs passen sie auf, daß keine Drogen genommen werden. Da sagen die Nachbarn: Prima, endlich riecht es hier nicht mehr nach Haschisch. Die neue Strategie zielt darauf ab, bewußt die Unzufriedenheit und sozialen Ängste aufzufangen.
Sie zeigen lokale Präsenz. Wie aber funktioniert die „Übernahme“ eines Jugendklubs?
Ein Jugendklub, der heute zu einer solchen „Zone“ entwickelt werden soll, ist in der Regel für ein gemischtes Publikum zugänglich. Nur wenige Jugendliche aus dem rechten Umfeld verkehren darin. Zunächst wird um den Klub herum massiv Präsenz gezeigt. Die „Eroberer“ stehen in Gruppen davor. Wenn Veranstaltungen stattfinden, Konzerte etwa, grölen sie Parolen. Sie belästigen das Publikum, wenn es aus dem Klub kommt. In der zweiten Phase der „Übernahme“ sickern sie ein. Gehen verstärkt in den Klub, lassen sich in die Gremien wählen, bringen ihre eigene Musik mit. Sie testen Toleranzgrenzen aus: Wie weit kann ich gehen?
Aber allgemein gilt in den Klubs seit Jahren der Grundsatz: keine rechte Musik, keine Propaganda, keine Gewalt. An dem Punkt, das weiß jeder Sozialarbeiter, muß er um Hilfe rufen.
Das ist zwar genau der Punkt. Aber in der Realität sieht es so aus, daß die meisten Jugendklubs nur befristete ABM-Stellen haben. Die Sozialarbeiter kommen aus den unterschiedlichsten Berufen und sind den Rechten überhaupt nicht gewachsen. Die sagen sich dann: Ich gehe den Weg des geringsten Widerstandes. Ich bin nur ein Jahr hier; vielleicht sollte ich mich auch auf diese Typen einlassen, denn wenn der Klub geschlossen wird, stehe ich auf der Straße.
Sobald ein Jugendklub hauptsächlich von Rechtsgerichteten besucht wird, sprechen Sie bereits von einer „national befreiten Zone“?
Die Sache muß noch weitergehen. Die Rechten müssen das ursprüngliche Publikum herausgedrängt haben. Diese Form der sozialen Verdrängung beobachte ich gerade in ländlichen Bereichen. Viele können diesem Druck nicht standhalten, obwohl sie sich zuvor nicht mit rechten Inhalten identifiziert haben. Aber sie sagen: Ich muß in diesen Klub, hier im Dorf habe ich keine andere Möglichkeit, meine Freizeit zu verbringen. Sobald man keine lokale Alternative hat, ist dies eine schwierige Situation, und das Konzept der Anpassung an die Rechten funktioniert.
Sie schildern die Rechten gerade so, als seien sie unangreifbar, als könne niemand etwas gegen sie ausrichten. Warum bieten „normale“ Jugendliche ihnen nicht einfach Paroli?
Damit müssen die Rechten auf dem Land nicht rechnen, weil es kaum noch Jugendliche gibt, die sich ihnen in die Quere stellen. Denn tendenziell sind alle Jugendlichen in den vergangenen Jahren nach rechts abgedriftet. Und sie orientieren sich auch immer früher zu dieser Szene hin.
Glaubt man den Berichten von Verfassungsschützern, organisieren sich heute weniger Jugendliche in rechten Organisationen als noch vor drei Jahren. Dazu stehen Ihre Beobachtungen aber im glatten Widerspruch.
Es stimmt, rechte überregionale Organisationen mit ihren starren Führungsstrukturen verlieren an Attraktion. Adolf Hitler ist kaum ein Ideal mehr. Und die Führer neonazistischer Organisationen wie Meinolf Schönborn spielen auch keine Rolle mehr. Das sind doch alte Männer, ohne Kontakt zu dem Lebensgefühl der Jungen heute. Sie brauchen auch keine überregionalen Führer mehr. Die modernisierte Rechte baut auf dezentrale, lockere Strukturen. Nur eine kleine Eliteschicht hält den Kontakt zu den Organisationen.
Die Jungen leben in örtlichen Strukturen. Da ist der Junge von nebenan, der traditionelle Werte vertritt und sie in verzerrter Form lebt, glaubwürdig. Außerdem hat jeder einzelne ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein und ist im Endeffekt sein eigenes Idol. Denn man hält sich ja für höherwertig in verschiedener Hinsicht: gegenüber Ausländern, gegenüber Lokalpolitikern, die noch nicht einmal etwas gegen die Kriminalität ausrichten.
Woraus bezieht eine lokal agierende Gruppe heute ihre sogenannte Führungsposition?
Das gesellschaftliche Klima für ihre Vormachtstellung ist günstig wie nie: In den Familien erleben Jugendliche jeder Couleur haargenau, was sich ökonomisch und sozial in diesem Land abspielt. Sie hören, was die Eltern denken. Stichwort Ausländerfeindlichkeit: Dies zählt heute zum allgemeinen Lebensgefühl und wird gar nicht mehr als rechter Standpunkt wahrgenommen. Ausländerfeindlichkeit wird wunderbar in dieses Netz von eigenen Zukunftsängsten eingebaut. Sie sagen: Ich hätte Arbeit, wären nicht so viele Ausländer hier. Und immer weniger Erwachsene verachten die Gewalt.
Das scheint mir eine Mutmaßung. Wie belegen Sie, daß Gewalt allgemein akzeptiert wird?
Pro Jahr besuchen etwa 300 Lehrer und Sozialarbeiter unsere Weiterbildungsseminare. Seit etwa einem Jahr relativieren sie in Gesprächen diese Gewalt. Kaum einer redet noch von rechten Straftaten, sondern von Flegeleien, Rüpeleien – und das im Zusammenhang mit Überfällen auf Nichtdeutsche! Lehrer übernehmen die Argumentationsketten von Rechten. Sie sagen: Es stimmt doch, die höchste Kriminalitätsrate liegt bei Ausländern. Das ist der Grund, weshalb ich sage: Hier hat es einen allgemeinen Rechtsruck gegeben.
Und Sie meinen, das ist die Folie, die es rechten Zirkeln leichtmacht, „national befreite Zonen“ einzurichten?
Lehrer sagen mir häufig: Es stimmt doch, hier muß einer kommen und mit harter Hand durchgreifen. Sie haben bereits antidemokratische Strukturen internalisiert. Zudem beobachte ich, daß eine neue Generation von Rechten herangewachsen ist. Sie sind radikaler und, interessanterweise, auch DDR-nostalgischer. Obwohl sie sie aus eigenem Erleben kaum noch kennen.
Politisch haben sie sich dem Antikapitalismus verschrieben. In rechten Flugblättern zum 1. Mai taucht der Begriff der Ausbeutung auf, die abgeschafft werden muß. „Unser Kampf ist national gegen Ausbeutung und Kapital“, heißt es da. Das ist eine Sprache, die die Älteren noch aus der DDR-Ideologie kennen. Wenn sie hören, daß die Banken an Macht gewinnen, daß Konzerne ihre Produktion ins Ausland verlagern oder gezielt Billiglohnkräfte ins Land holen, dann sind dies Themen, die ja auch Gewerkschafter hier im Osten ansprechen. Die Grenzen zwischen den Ideologien verschwimmen. Man hat nicht mehr das Gefühl, rechten Ideologiefragmenten aufzusitzen. Das sind Parolen, zu denen sie sagen: Genau, das ist meine Meinung.
Eine neue Umfrage von Allensbach hat ergeben, daß 40 Prozent der jungen Ostdeutschen verklärt auf die Verhältnisse in der DDR zurückblicken. Vor sieben Jahren waren es noch 19 Prozent.
Das korrespondiert ja mit dieser Forderung nach einer starken Hand, die alles richten wird. Heute sagen die Leute: Was nützen mir denn Freiheit und Demokratie, wenn ich arbeitslos bin und kein Geld habe? Und dann sehen sie rechte Jungs, die Ordnung schaffen, wenigstens im Wohngebiet. Das erzeugt ein Gefühl von Geborgenheit im engsten Lebensumfeld. Und das ist es, was sie aus der DDR-Zeit kennen und mittlerweile sehr vermissen.
Die Rechte schwimmt auf einer neuen Ostalgiewelle, verbrämt mit einem national getränkten Antikapitalismus...
...das ist die Mischung, die den modernisierten Rechtsextremismus gesellschaftsfähig machen kann. Gegenwärtig deutet alles darauf hin, daß hier in Ostdeutschland mit einer neuen sozialen Bewegung gegen den europäischen Integrationsprozeß zu rechnen ist. Interview: Annette Rogalla
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