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Tagebuch aus KirgistanWie schnell ein Land absteigen kann

Kirgistan galt lange Zeit als einer der freiesten Staaten Zentralasiens. Doch nun werden Journalisten verfolgt. Meist hängt es mit Russland zusammen.

Demonstranten solidarisieren sich mit dem Journalisten Bolot Temirov, der 2022 verhaftet wurde Foto: sna/imago

K ollegen und Freunde von mir wurden jüngst ganz offiziell als „Extremisten“ eingestuft. Das hat auch Folgen für mich. Jetzt kann ich nämlich ihre Recherchen nicht mehr teilen. Sie hatten über Korruption und Diebstahl in Kirgistan recherchiert, darüber, wie Sanktionen gegen Russland via Kirgistan umgangen werden, über Kinder von Spitzenpolitikern, die ganz plötzlich zu erfolgreichen Geschäftsleuten aufgestiegen sind – und über viele andere aktuelle Probleme.

Ich kann diese Recherchen nicht nur nicht mehr teilen. Ich darf nicht einmal einen Like unter einen solchen Beitrag setzen, denn sonst werde ich selbst wegen „Beteiligung an extremistischen Aktivitäten“ strafrechtlich verfolgt.

Es ist der erste Fall in Kirgistan, in dem ein Gericht Medien als „extremistische Organisationen“ eingestuft hat. Es hat damit die Verbreitung der Arbeiten von gleich drei Redaktionen verboten: „Kloop“, „Temirov Live“ und „Ait Ait Dese“.

Erstmals hat ein Gericht in Kirgistan Medien als extremistische Organisationen eingestuft.

Auch die Aktivitäten der Gründer dieser Medienfirmen, Rinat Tukhvatschin und Bolot Temirov, wurden verboten. Die Verhandlung fand ohne ihre Anwesenheit statt, da beide im Ausland im Exil leben.

Auf dem Pressefreiheitsindex um 50 Punkte gepurzelt

Die kirgisischen Behörden haben sich deshalb an Interpol gewandt - mit der Bitte um Ausstellung eines sogenannten „roten Haftbefehls“ gegen Tukhvatschin. So etwas verpflichtet die Behörden aller Mitgliedsländer, den Gesuchten für eine mögliche Auslieferung festzunehmen. Doch Interpol lehnte den Antrag ab und bezeichnete ihn als politisch motiviert.

Trotz Repressionen und erzwungener Vertreibung setzen die Journalisten von „Kloop“ und „Temirov Live“ ihre Arbeit fort. Kürzlich veröffentlichten sie eine umfangreiche Recherche darüber, wie über Kirgistan und über Kryptowährungen Systeme zur Umgehung der Sanktionen gegen Russland organisiert werden, an denen Personen beteiligt sind, die mit dem russischen Geheimdienst FSB und dem prorussischen Politiker Ilan Șor aus Moldau in Verbindung stehen.

Heute wagt sich in Kirgistan niemand mehr an solche Themen heran. Jahrelange Repressionen sind eben nicht ohne Spuren geblieben. Unabhängige Medien gibt es in Kirgistan fast nicht mehr, Selbstzensur und Angst sind sehr verbreitet. Im Jahr 2024 fiel das Land im Pressefreiheitsindex der „Reporter ohne Grenzen“ um 50 Plätze zurück.

Internationale Organisationen stellen eine gravierende Verschlechterung der Meinungsfreiheit in dem Land fest. Dabei galt Kirgistan noch bis vor Kurzem als das freieste Land in Zentralasien.

Mahinur Niyazova ist freie Journalistin und stammt aus Bischkek in Kirgistan. Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.

Durch Spenden an die taz Panter Stiftung werden unabhängige und kritische Journalist:innen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts „Tagebuch Krieg und Frieden“ finanziell unterstützt.

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