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Tagebuch Frankfurter BuchmesseGeil, Messe!

Unser Autor ist zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse. In diesem Tagebuch berichtet er von seinen Eindrücken. Tag 1: Deutscher Buchpreis.

Lasst die Party beginnen. Der Autor beim Deutschen Buchpreis Foto: Knut Cordsen

Meine erste Frankfurter Buchmesse beginnt. Ich wache auf, und der Rausch der letzten Nacht hämmert gegen meine Schläfen, als hätte er sich erschreckt:

Es ist gerade mal 8 Uhr, und neben meinem Bett steht der Sohn der Frau, die mich bei sich wohnen lässt, weil sie Mitleid mit mir hatte. Ich hätte ja nicht wissen können, dass man Monate vor Messebeginn ein Hotel buchen muss. Jetzt kostet ein Bett im Schlafsaal in einem 2-Sterne-Hostel irgendwo am Rand der Stadt für die paar Tage ernsthaft fast 300 Euro.

Ich sehe den Typen an, er sieht mich an.

Wäre das ein Film, wäre das jetzt der Moment, in dem er zu schreien beginnt, aber er stellt sich als Henri vor.

“Ich war gestern beim Buchpreis“, sage ich fröhlich.

Er sieht mich unbeeindruckt an. Wir schweigen eine Weile, und irgendwann fragt er mehr höflich als interessiert: “Und wie war es?“

Dann richte ich mich auf, trinke die Flasche Wasser neben meinem Bett und bemerke, wie das Party-Ich sich nur in der Nacht versteckt und mit aller Kraft die Gedanken des Abends zusammensammelt.

Der Buchpreis

Es ist Montagabend, kurz vor 18 Uhr.

Ein paar Stunden, bevor die Preisverleihung losgeht und ich den Römer, den Ort, an dem sie stattfindet, betrete, hat mich die Euphorie gepackt, ich hab mir eine Frankfurt-Touri-Mütze als Zeichen des Commitments besorgt und im Zug gen Hauptbahnhof versucht, etwas Stimmung für die kommenden Tage zu verbreiten.

Die größte Buchmesse der Welt wird eröffnet, und das ist doch geil! Und wäre das nicht schon aufregend genug, wird heute auch noch der Preis für den Roman des Jahres verliehen.

Nur dann die Ernüchterung: Niemand außerhalb der Preisverleihung scheint davon vorab mitbekommen zu haben.

Im Abteil nur Schulterzucken. Keiner hat Lust zu wetten, erst als ich einer Männergruppe im Bordbistro eine Runde Bier spendiere, ließen sie sich darauf ein.

Unser Tipp lag bei „Vatermal“, einem Roman über eine türkische Mi­gran­t:in­nen­fa­mi­lie und die Abwesenheit eines Vaters. Dazu sind noch zwei weitere Familiengeschichten im Rennen, zwei mit DDR-Bezug, ein Roman mit dem Titel „Drifter“. Alle vorm Saal sagen drei Dinge. Familiengeschichte kann eigentlich nicht gewinnen, wegen Kim de L’Horizon im letzten Jahr, es wird auf jeden Fall eine Frau, aber vermutlich wird's „Vatermal“.

Und am Ende gewinnt der Österreicher Tonio Schachinger mit dem Roman „Echtzeit“!

„Mit einem Coming-of-Age-Roman, in dem es um einen Gamer geht!“, erzähle ich Henri jetzt aufgeregt. „Ist das nicht krass?“

„Ich muss jetzt auch mal los zur Schule!“, sagt Henri. Dann geht er, und ich fühle mich so ähnlich irritiert wie gestern vor der Verleihung des Buchpreises, und ich denke daran, wie der Abend weitergegangen ist.

Der Empfang

Später beim Empfang komme mit einem der Juroren des Buchpreises ins Gespräch.

Wir haben uns in Berlin mal bei einer Podiumsdiskussion kennengelernt, und jetzt stellt er mich einem anderen Typen vor, der auch irgendwas mit dem Buchpreis zu tun hat. „Arno Broks“, sagt der Juror, und der Buchpreismann erklärt, dass wir uns schon kennen würden. Ich ignoriere die Tatsache, dass das nicht stimmt und ich gar nicht so heiße. Es geht hier jetzt um Wichtigeres.

„Wieso hyped niemand diesen Preis?“, frage ich.


Der Juror sieht mich mit einer Gutmütigkeit an, so wie Politiker gucken, wenn sie mit Fridays-for-Future-Aktivist:innen in Podiumsdiskussionen sitzen. „Also, dieser Kleber auf dem Buch des Gewinners wird dafür sorgen, dass sich das 100.00 Mal mehr verkauft“, sagt er wohlwollend. “Nein, ich meine das Davor“, entgegne ich. „Vorher hat doch kaum jemand gewusst, dass heute der Preis verliehen wird.“

„Ja, stimmt, das interessiert nur die Literaturblase“, antwortet er. „Das wäre natürlich anders, wenn die Verleihung einfach ab 18 Uhr im Fernsehen übertragen wird und die Leute gar nicht so einfach daran vorbeikommen.“

Der nächste Morgen

Daran denke ich jetzt am nächsten Morgen, während Henri schon das Weite gesucht hat. Das Problem, von dem der Juror sprach, wurde auch schon in den Reden bei der Buchpreisverleihung thematisiert. Nur war das ausschließlich vor einer Reihe Bekehrten und fand dann später in den Eineinhalb-Minuten-Tagesschau-Zusammenfassung keinen Platz:

Gesagt wurde: Feuilletons nehmen immer weniger Raum in Zeitungen ein, Literatursendungen laufen zu bescheuerten Uhrzeiten, und das Lesen von Geschichten, sofern es nicht um Sachtexte oder Nachrichten geht, wird in die Rolle einer netten Nebensache gerückt. Klar, das ist angesichts der globalen Weltlage, die von Krieg, Terror und Inflation beherrscht wird, irgendwie leicht. Dabei liefern so viele Romane gerade in diesen Zeiten Orientierung, Zuflucht und geistige Schutzzonen, deren Zugänge inmitten der Nachrichtenflut schwer zu finden sind – vor allem dann, wenn die Medien als potenzielle Literaturvermittler Kapazitäten und Ressourcen abbauen.

Während ich mich jetzt im Bad für den zweiten Frankfurt-Tag fertigmache, fällt mir ein, was die Autorin Sibylle Berg vor gut vier Jahren einmal in einer Kolumne geschrieben hat, als es um die Rolle von Literatur im Alltag ging. Und die ist jetzt wirklich nicht dafür bekannt, besonders rosige Zukunftsvisionen zu skizzieren:

“Ich lese wieder“, schreibt sie. „Nicht kleine Tranchen im Netz, ich klicke mich nicht mehr durch tausend Seiten, um am Ende nichts zu wissen, sondern ich lese Bücher. Meine Laune hat geradezu ausgelassene Züge angenommen. Ich habe das Gefühl, irgendeinem seltsamen Versuch, der mit meinem Gehirn angestellt worden ist, entkommen zu sein. Ich bin wieder ruhig. Ich lese. Ich habe Hoffnung.“

Vor der Eröffnung

Die Sätze gehen mir nicht aus dem Kopf, während ich später durch die Stadt laufe. Heute Abend wird die Messe eröffnet. Und ich denke noch einmal daran, überhaupt das erste Mal dabei zu sein.

Irgendwie will ich Leute wie Henri und die mies gelaunten Leute im ICE dafür begeistern, das Lesen auf dieser Literaturparty als Freund für den Alltag zu gewinnen – etwas Hoffnung verbreiten, sie sich verzaubern lassen. Nur muss man damit vielleicht erst bei sich anfangen, denke ich.

Und dafür bin ich ja hier. Also, lasst die Party beginnen!

Aron Boks, 1997 geboren, lebt als Autor in Berlin. Er schreibt für diverse Zeitungen und Magazine. Zuletzt erschien das Buch „Nackt in der DDR“ über seinen Urgroßonkel, den Maler Willi Sitte (Verlag HarperCollins). Das Messetagebuch wird finanziert von der taz Panterstiftung.

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