piwik no script img

Tag des offenen Denkmals: Besuch in OberschöneweideIm Stammbaum der Industrie

In den einstigen Produktionshallen in Oberschöneweide träumt Susanne Reumschüssel von einem Forum für die Geschichte des Areals. Eine zugige Halle und stapelweise altes TV-Gerät hat sie schon.

Fernseher und alte Hallen - daraus soll ein Forum für Geschichte entstehen Bild: remzlas trebor/photocase

Eingestaubte Fernseher stapeln sich in der alten Lagerhalle neben Bildröhren und Leuchtdioden, einem Riesenmikroskop und zahllosen Fotos. Selbst ein Störsender, mit dem zu DDR-Zeiten die Sendefrequenzen des Rias blockiert wurden, steht in der acht Meter hohen Halle. Die Fenster sind undicht, die Heizung funktioniert nicht, fließend Strom gibt es nicht. Doch für Susanne Reumschüssel ist der Ort perfekt.

Hier will sie etwas aufbauen: den "Industriesalon Schöneweide". Ein Forum, in dem Ausstellungen, Veranstaltungen und Forschungsarbeiten zur Geschichte des ehemaligen Industriegebietes Schöneweide zu sehen sein sollen. "Für Außenstehende gibt es ganz wenig Möglichkeiten zu verstehen, was hier mal war, das wollen wir ändern", sagt Reumschüssel zielsicher.

Tag des offenen Denkmals

Was gibt es zu sehen? Samstag und Sonntag öffnen im Rahmen des 23. Tages des Offenen Denkmals historische Bauten und Stätten, die sonst nicht oder nur teilweise zugänglich sind, ihre Türen.

Wer machts? Die einzelnen Denkmalbetreiber sind die Veranstalter. Bundesweit koordiniert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, berlinweit das Landesdenkmalamt, in Schöneweide das Kiezbüro Schöneweide.

Programm? Das sehr umfangreiche Programm findet sich im Internet unter www.tag-des-offenen-denkmals.de. Ein spezielles Programmheft für Schöneweide gibt es unter www.denkmaltag.info.

Vorstellung des Industriesalons? Am Samstag um 16 Uhr stellt Susanne Reumschüssel, im Rahmen einer Vortragsreihe zum Thema Denkmalpflege, den "Industriesalon Schöneweide" auf dem Campus der HTW (Gebäude A2, Raum 444) vor. Anfahrt: Tram 27, 63, 67, Station: HTW/Rathenaustr.

Besichtigung? Am Sonntag kann der Industriesalon ab 16 Uhr an der Wilhelminenhofstraße 83 - 85 (Zugang Reinbeckstraße) besichtigt werden.

Eintritt? Ist frei. AG

Was hier mal war, lässt sich nur noch erahnen. An der Wilhelminenhofstraße, Ecke Edisonstraße prangern noch die roten AEG-Lettern hoch über der Straße. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts erstreckte sich hier das größte zusammenhängende innerstädtische Industriegebiet entlang der Spree. Ein Ballungsraum der Metall- und Elektroindustrie. Zu Spitzenzeiten arbeiteten 30.000 Menschen hinter den wuchtigen gelben Backsteinmauern. Auf dem Produktionshallengelände an der Reinbeckstraße wurden einst Großtransformatoren hergestellt.

Anfang August ist Reumschüssels Verein "Industriesalon Schöneweide" mit seiner Sammlung, die aus dem ehemaligen Werk für Fernsehelektronik (WF) kommt, in eine der Betonhallen auf dem Gelände eingezogen. Graffiti ziert die Außenwände der Industrieruinen, Gras wächst durch die bröckelnden Betonplatten auf dem Boden. "Wir möchten kein Technikmuseum sein", stellt Reumschüssel klar. Vielmehr solle hier der Austausch von Unternehmen, Kreativen und Institutionen stattfinden. Studierende der nahegelegenen Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) sollen sich hier mit Firmen vernetzen. Mit einem Stammbaum der Industriegeschichte sollen die ansässigen Unternehmen "sich selber finden können".

Wann es losgeht, steht noch in den Sternen. "Eine Eröffnung ist erst sinnvoll, wenn sichtbar wird, was da ist", meint Reumschüssel. Im Rahmen des Tages des offenen Denkmals können Interessierte das Areal an diesem Wochenende schon mal vorab besichtigen. Der Verein finanziert sich durch Spenden und muss noch auf sich aufmerksam machen. Zusammen mit der HTW werde dafür momentan ein Logo für den Industriesalon entwickelt. Zudem müssen Mitglieder geworben werden, mit deren Beiträgen die Betriebskosten gedeckt werden können. Jetzt fehlten erst mal ganz schnell 1.000 Euro für die Abdichtung der Fenster, im Winter wird es schließlich kalt.

Das größte Problem aber ist die dauerhafte Unterbringung des historischen Sammelwerks. In der Betonhalle an der Reinbeckstraße kann der Verein vorerst für zwei Jahre mietfrei bleiben. Favorit ist aber die alte Batteriefabrik im Stadtteil. Für die existiert noch kein Bebauungsplan, allerdings ist das Gebäude kontaminiert.

"Schweineöde" wird die Gegend von den Berlinern genannt, die sie kennen. Nach der Wende folgte der industrielle Niedergang und mit ihm der Bedeutungsverlust. Rund 16.500 Menschen wohnen heute in Oberschöneweide. Auf der Karte betrachtet, gliedert sich der Stadtteil in vier breite Streifen: Spree, Industrie, Wohnhäuser und das Erholungsgebiet Wuhlheide.

An einem Balkon an der Wilhelminenhofstraße, die zwischen den Wohnhäusern und den Industriebauten verläuft, ist eine deutsche Fahne mit Reichsadler zu sehen. Darunter stehen Laternen, die mit Plakaten behangen sind, auf denen für eine "Sozialistische Alternative" geworben wird. Heute steht "Schweineöde" vor allem für Neonazis, Hartz-IV-Empfänger und Trübsal.

Die gelernte Filmemacherin Reumschüssel kam vor drei Jahren her. Damals drehte sie Dokumentarfilme für das geplante "Schauhallen"-Projekt. 2011 sollen auf dem 15.000 Quadratmeter großen Reinbeckhallen-Gelände an der Spree Galerien und Museen, kurz: ein "Think-Tank für Gegenwartskunst", eröffnen.

Reumschüssel lernte den Investor Sven Herrmann kennen. Der ist optimistisch und hält an der baldigen Eröffnung seines 15 Millionen Euro teuren Kreativzentrums fest. "Dafür muss man verrückt sein", sagt Herrmann und lächelt gelassen. 2004 kaufte der Anwalt zusammen mit einem Frankfurter Geschäftsmann das heruntergekommene Gelände an der Spree. Vier Jahre später erhielt er die Baugenehmigung für die Schauhallen. Wenn erst einmal der Großflughafen BBI komme, dann sei Schöneweide mittendrin, sagt Herrmann. Und auch mit der HTW solle eng kooperiert werden.

Dieser Enthusiasmus hat Reumschüssel angesteckt. "Hier ist Geschichte noch vorhanden", schwärmt sie für den Ort. Sie machte sich auf die Suche nach Menschen, die in Oberschöneweide gearbeitet und gelebt haben. In Zusammenarbeit mit dem Kiezbüro Schöneweide hält sie die Gespräche mit ehemaligen Werksangestellten des Kabelwerks Oberspree, des Transformatorenwerks Oberschöneweide und des Werks für Fernsehelektronik (WF) fest. Eine Art Videoarchiv für den Kiez entsteht. Bei den Dreharbeiten traf sie auf den ehemaligen WF-Ingenieur Winfried Müller und durch ihn auf die Techniksammlung.

Ende der 80er-Jahre wurden die Exponate von WF-Mitarbeitern zusammengetragen. Zur Wendezeit betreute Müller das technische Kulturgut. Damals hieß es noch "Technik im Turm" und war im Peter-Behrens-Bau des ehemaligen Werks für Fernsehelektronik untergebracht. 1958 hatte Müller dort als einer von 6.000 Angestellten zu arbeiten begonnen. Heute engagiert er sich ehrenamtlich für den Aufbau des Industriesalons. Beim Anblick alter Bildröhren verliert sich der große, weißhaarige Mann mit Brille schnell in Geschichten vergangener Zeiten. Stolz zeigt er den mit Folie umwickelten Rias-Störsender, der ganz hinten in einer Ecke der Betonhalle steht. "Die Sammlung stand kurz vor der Verschrottung", sagt Müller dann und schüttelt den Kopf.

"Wir standen unter Handlungszwang", fügt Reumschüssel hinzu. Mitte Juni gründete sich mit der Unterstützung der ansässigen Unternehmen, von lokalen Netzwerken und dem Büro für Industriekultur Berlin kurzerhand der Verein. "Wir haben den Wirtschaftssenator als Schirmherren", sagt Reumschüssel.

Für einen Moment lässt sie tief blicken: So manche Nacht sei sie, von Zukunftsängsten geplagt, schweißgebadet aufgewacht. Schnell findet sie aber zum Wesentlichen zurück: "Schöneweide soll nicht mehr Schweineöde heißen", lautet ihr Credo. Das sei hier wie bei einer Party, ohne ehrenamtliche Mitarbeit liefe nichts. Sie zeigt auf eine weiße Wand in der staubigen Halle und sagt: "Die Wand da, die hat Sven Herrmann gestrichen, höchstpersönlich." Und außerdem habe das Licht in der Halle heute schon mal gebrannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!