Tag der guten Hoffnung

Jeden Mittwoch ist Jedermann-Casting bei Reallife Media, der Agentur für TV-Gesichter. Dann geben sich gegelte eineiige Zwillinge und Kaiser-Franz-Joseph-Bart-Träger ein Stelldichein – aus Neugier, aber auch mit dem Traum vom großen Ruhm

von ANDREAS RÜTTENAUER

Die Duelle sind in aller Munde. Kanzler gegen Kandidat. Mediendemokratie heißt das viel zitierte Schlagwort zum Thema. Mediengesellschaft: Nicht nur Schröder und Stoiber, alle wollen ins TV. Davon gehen zumindest so genannte Casting-Agenturen aus, bei denen sich jedermann und jedefrau bewerben, „egal ob jung oder alt, groß oder klein, dick oder dünn, schön oder speziell“, wie es in der Werbung von Reallife Media heißt. Mittwochs ist Tag der guten Hoffnung in der Kopenhagener Straße, dem Sitz der Berliner Agentur für TV-Gesichter. Wenn Firmenchef Carsten Kelm zwischen 18 und 20 Uhr sein „offenes Casting“ durchführt, brummt der Laden. Auch an einem beinahe tropischen Spätsommerabend stellen sich mehr als 30 Menschen vor. An Tagen mit angenehmerer Witterung sind es weitaus mehr.

Viele Bewerber für Statisten- und Minirollen im Fernsehen träumen nicht unbedingt von der großen Karriere. Sie wollen einfach wissen, wie das TV funktioniert. Dabei sein ist alles. Das Ambiente im Reallife-Studio gibt ihnen einen ersten Eindruck. Flugzeugsessel im Zebralook, chromglitzernder Zigarettenautomat und ein immer gut gelaunter Chef, der seine zukünftigen Schäfchen hinter einem Videoschnittplatz sitzend empfängt. Gecastet im eigentlichen Wortsinn wird nicht. Niemand muss etwas vorführen, keiner muss sich blamieren. Die Bewerber füllen einen Fragebogen aus, auf dem nach Körpergröße, Führerschein, Familienstand und anderen unverfänglichen persönlichen Daten gefragt wird. Dann wird ein Porträtfoto geschossen und in die digitale Netzkartei einsortiert. Der Nächste, bitte! Wer unterschrieben hat, gehört zur Reallife-Familie und darf hoffen.

„Haben Sie ein Auto?“, fragt Caster Kelm. „Welche Farbe hat es?“ Er erklärt die Frage. „Bei einem roten Auto denkt jeder, da kommt der Verbrecher. Ist das Auto blau, dann war es eben irgendein Auto, das eben in dem Moment vorbeigekommen ist. Einen blauen Corsa, sagten Sie? Sehr schön. Das sind die Details, auf die es ankommt.“ Der Mann ist Profi, das soll jeder merken. Kelm redet zwei Stunden ohne Unterlass. Er ist der Starmoderator der hauseigenen Castingshow. „Ich rede einfach gern mit Menschen“, sagt er über sich. Man glaubt es ihm.

Auch Monika Keil ist angetan vom Chefcaster. Die Rentnerin hat keine großen Karriereträume. „Das Geld aufbessern“ will sie, einmal Komparse sein, etwas bei der Werbung oder „irgendeine Ulksache“. Ihr Traum ist bescheiden: Hinter die Kulissen des Fernsehens schauen will sie. Von Kelms Reallife Media ist sie auch deshalb angetan, weil er keine Gebühren verlangt. Sie erzählt von einem Casting in einem Reinickendorfer Hotel, bei dem man ihr 130 Mark abgeknöpft habe. Sie hat von der Firma nie mehr etwas gehört. 130 Mark! Da kann Peter Schröder nur lachen. 600 Mark habe eine Agentur einmal von ihm verlangt nach einem Bewerberdefilee im Hotel Estrel. Schröder ist vor zwei Jahren nach Berlin gekommen, in die Medienstadt, um in der Filmbranche etwas zu erreichen. Seine Träume sind weniger bescheiden als die von Monika Keil. In zehn Agenturen werde er inzwischen geführt, sagt er. Doch viel mehr als ein paar Statisteneinsätze und eine kleine Sprechrolle als Zuhälter ist noch nicht herausgesprungen. Er macht weiter. Etwas mehr als 50 Euro verdient ein Statist pro Drehtag.

Nicht wenige Studenten lassen sich an diesem Tag in die Kartei aufnehmen. Die Lehramtsstudentin erhofft sich den Einstieg in die Schauspielkunst, denkt schon an Sprecherziehungskurse. Andere wollen irgendetwas in der Werbung machen. Ein geschniegeltes Zwillingspaar sieht aus, als hätte man es schon irgendwo einmal durch den Bildschirm laufen sehen. „Und bleibt so hübsch!“, ruft Kelm zum Abschied. Die gegelten Eineier wären die Stars dieses Vorabends gewesen, wäre nicht ein weißhaariger Mann mit einem wohl geformten, üppigen Kaiser-Franz-Joseph-Bart in Trachtenlederhose und rosa Hemd im Studio erschienen. Wer so auftritt, kann kein Amateur sein. Peter Georgi erzählt von seiner immensen Erfahrung als Kleindarsteller, KaDeWe-Weihnachtsmann und Gaultier-Model. Warum bewirbt sich einer, der so gut im Geschäft ist? „Dieses Jahr ist die absolute Flaute.“ Auch der Profistatist bekommt die Krise in der Medienbranche zu spüren.

Die wahren Laien werfen verstohlene Blicke auf den laut tönenden Oberkomparsen. Beim Fotoshooting sieht man ihre Unerfahrenheit. Sie wissen nicht, wohin mit ihren Händen. Aber das kann man lernen. Siehe Stoiber.