Tag der Offenen Tür der Bundeswehr: Waffen in Kinderhänden
Die Kriegsspiele in der Bad Reichenhaller Kaserne waren makaber. Nun tauchen neue Verstöße auf. Ein Video zeigt, wie Kinder mit echten Kriegswaffen hantieren.
BERLIN taz | Ein Junge, ungefähr neun Jahre alt, beugt sich über das Maschinengewehr MG3. Sein Vater bückt sich hinter ihm und hilft dabei, den Munitionsgurt in die Waffe zu ziehen. Ein Soldat hockt daneben und erklärt wie es geht. Deutlich zu erkennen: Die spezielle Mütze der Gebirgsjäger. Sie gehören zur Elite der Bundeswehr. Gleich daneben ist ein weiteres Maschinengewehr aufgebaut. Ein Kind schaut durch das Zielfernrohr – offenbar passt niemand auf.
Bevor ein Rekrut ein MG3 in der Grundausbildung eine solche Waffe – ohne Munition – in die Hand bekommt, muss er etliche Belehrungen und Unterrichtsstunden über sich ergehen lassen. Und in Bad Reichenhall, da spielen die Kinder damit.
"Das ist ein klarer Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz", sagte der Jurist und Vizepräsident des Deutschen Schützenbundes Jürgen Kohlheim der taz. Er hat sich das Video vom Tag der Offenen Tür am 28. Mai für die taz angesehen.
"In der einen Szene sehen wir einen Jungen, der völlig frei steht und mit einer Maschinenpistole zielt", sagt Kohlheim. "Doch nur die Soldaten sind berechtigt, mit den Waffen umzugehen." Dabei komme es nicht darauf an, ob die Waffen geladen oder schussbereit seien. Waffen dürften zudem grundsätzlich erst von 18-Jährigen in die Hand genommen werden. Großkaliber von 21-Jährigen.
Ob es sich dabei um echte Kriegswaffen handelt, wollte der Sprecher des Gebirgsjägerbataillions nicht kommentieren. Der Fall werde untersucht. Waffenexperte Kohlheim ist fest davon überzeugt, dass es sich nicht um Attrappen handelt. "In einer Szene wird der Schlitten einer Pistole zurückgezogen. Das wäre bei Attrappen nicht möglich."
"Kamerad Muli"
Das Video zeigt die Station "Handwaffen" am Tag der Offenen Tür in Bad Reichenhall, dort, wo das 23. Gebirgsjägerbrigade untergebracht ist. Möglicherweise hat es ein Bundeswehrsoldat online gestellt. Aufwendig hat er insgesamt zwölf Videos der verschiedenen Stationen in einer interaktiven Karte auf Youtube verlinkt. Es handelt sich um ein islam-feindliches Profil.
Die Truppe wollte es besonders anschaulich machen. "Es können alle Fahrzeuge, Waffensysteme, Unterkünfte und Arbeitsgeräte der Gebirgsjäger ganz aus der Nähe betrachtet werden", warb der Presseoffizier der Brigade im Vorfeld um Besucher. Mit dabei auch "Kamerad Muli", der Lastesel der Gebirgsjäger.
Am 28. Mai machte auch das linke Bündnis "rabatz" die Bilder von den Kindern, die mit Waffenattrappen auf das Miniatur-Dorf "Klein-Mitrovica" schossen. Im Zweiten Weltkrieg waren Gebirgsjäger in der kosovarischen Stadt Mitrovica an einem Massaker beteiligt. Von 1999 an waren sie erneut als Teil der Friedenstruppen dort im Kosovo stationiert.
Aufgrund der Bilder hat die Staatsanwaltschaft Traunstein Vorermittlungen wegen Volksverhetzung und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz eingeleitet. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft ging bislang davon aus, dass sich der Kriegswaffen-Verstoß nicht erhärten würde. Auf auf den Bildern von Rabatz war deutlich zu sehen, dass es sich um keine echten Waffen handelt. Das Video dürfte die Sachlage verändern.
Nicht der erste Verstoß
Derweil hat "Rabatz" eines neues Bild veröffentlicht, auf dem zu sehen ist, wie Kinder mit Kriegswaffen spielen. Es stammt angeblich vom Tag Offenen Tür der Karfreitkaserne in Brannenburg im Juli 2009. Das Gebirgspionierbataillon 8 hatte hier ihren Sitz, bis der Standort im Zuge der Bundeswehrreform 2010 aufgelöst wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Elitetruppe der Bundeswehr in die Kritik gerät. 2010 wurde bekannt, dass Rekruten bei den Gebirgsjägern in Mittenwald als Mutprobe rohe Schweineleber essen oder bis zum Erbrechen Alkohol trinken mussten. 2006 wurden Fotos veröffentlicht, die Soldaten aus Mittenwald dabei zeigten, wie sie mit Totenschädeln in Afghanistan posierten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern