Tag der Architektur Berlin: „Sanieren muss vor Neubau gehen“
Theresa Keilhacker ist die neue Präsidentin der Berliner Architektenkammer. Sie fordert mehr Nachhaltigkeit beim Bauen und Planen.
taz: Frau Keilhacker, der Tag der Architektur 2021 steht unter dem Thema Baukultur. Was verstehen Sie als Architektin konkret unter einer Kultur des Bauens?
Theresa Keilhacker: Für mich ist das Thema nachhaltiges Bauen schon seit vielen Jahren ein Schwerpunktthema. Den Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen will ich jetzt in der Architektenkammer auch weiter stärken. Wenn man sein alltägliches Handeln danach richtet, diese drei Themenfelder in eine Balance zu bringen, ist es eine super Richtschnur für die Baukultur.
Theresa Keilhacker wurde in Oxford geboren und ist freischaffende Architektin. Seit Juni ist sie Präsidentin der Berliner Architektenkammer.
Das hört sich nach einem erweiterten Begriff von Baukultur an, der über das bisherige Mantra „Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb“ hinausgeht.
Dieses Mantra ist nach wie vor wichtig. Eine ausgewogene Wettbewerbs- und Vergabekultur ist ein Qualitätskriterium, das ganz am Anfang einer Planung steht.
Auch der Bund hat das Thema Nachhaltigkeit entdeckt.
Führungen: Am 26. und 27. Juni findet der diesjährige Tag der Architektur statt. An 68 Orten gibt es 130 eintrittsfreie Einzelführungen. Auch laden offene Büros wieder zu Besichtigungen ein. Das Motto der Architekturschau, die von der Architektenkammer Berlin organisiert wird, lautet „Architektur gestaltet Zukunft“. Das Programm des Tags der Architektur findet sich auf www.ak-berlin.de.
Festival: Seit 1. Juni und noch bis zum 1. Juli findet auch das Festival Women in Architecture WIA statt. Mehr zum umfangreichen Programm unter wia-berlin.de
Der Bund hat das sogenannte Bewertungssystem nachhaltiges Bauen für seine Neubauten seit vielen Jahren verankert. Ich persönlich bin der Meinung, dass das auch für Bestandsbauten gelten sollte. Das alles muss auch in die Wettbewerbs- und Vergabeverfahren einfließen und damit auch in das, was wir unter Baukultur verstehen.
Gerade novelliert das Land Berlin seine Bauordnung. Wie viel Nachhaltigkeit ist da enthalten?
Wir müssen alle Stellschrauben, die wir haben, auf Nachhaltigkeitskriterien überprüfen, auch das Bauordnungsrecht. Da müssen wir versuchen, den Abriss von Bestandsgebäuden für Neubauvorhaben zu erschweren. Sanieren muss vor Neubau gehen. Das Thema bekommt in der Architektenkammer nun auch Rückenwind durch die Architects for Future, die jetzt neu im Vorstand vertreten sind.
Viele Eigentümer argumentieren, dass ihnen die Bewirtschaftung einer Bestandsimmobilie nicht zuzumuten sei.
Deswegen setzen wir so viel Hoffnung in die Novellierung der Bauordnung. Da fordern wir, dass bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die die Eigentümer vorbringen, auch der Instandhaltungsrückstau einfließt. Auch die „graue Energie“ muss beziffert werden.
Das heißt, Sie wollen auch den Lebenszyklus von Gebäuden berücksichtigen. Wie viel Energie also bereits in einem Gebäude steckt, das abgerissen werden soll.
Genau. Ein Bewertungssystem nachhaltiges Bauen auf den Bestand angewendet, würde dies berücksichtigen, und das kann den ökonomischen Verwertungsdruck etwas rausnehmen.
Als der Senat für die Bebauung am Checkpoint Charlie schon einen Letter of Intent mit dem Investor unterzeichnet hat, haben Sie mit dem damaligen Leiter des Denkmalamts Jörg Haspel und Ex-Kultursenator Thomas Flierl einen Brandbrief verfasst mit der Forderung, das ganze Verfahren nochmal neu aufzurollen. Wie politisch wird die Berliner Architektenkammer mit Ihnen sein?
Beim Checkpoint Charlie war es uns eine Herzensangelegenheit, diesen Ort mit all seiner Besonderheit zu erhalten und weiterzuentwickeln. Natürlich ist es erst einmal ungewöhnlich, wenn Architektinnen sagen, dass die Topografie der Leere eine große Rolle spielt und dass das Weniger-Bauen an dieser Stelle ein Mehr an Qualität ist. Aber ja, ich fasse meinen Beruf so auf, dass er auch politisch ist. Das muss sich gar nicht in der Farbenlehre der Parteienpolitik widerspiegeln, aber ich sehe es als Anspruch, dass wir als Architektinnen und Architekten eine gesellschaftliche Aufgabe haben.
Vor einiger Zeit hat sich der Bausenator darüber beschwert, dass es kaum spannende Wohnungsbauten der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gibt. Wie können Sie als neue Präsidentin die Unternehmen zu mehr Kreativität ermuntern?
Fairerweise muss man sagen, dass der politische Auftrag lautete: Bauen, bauen, bauen. Alles wurde nur nach Stückzahlen bewertet. Aber es spricht einiges dafür, dass wir demnächst in eine Konsolidierungsphase eintreten, wo sich die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wieder verstärkt den baukulturellen Kriterien zuwenden können.
Gehören auch Freiräume dazu?
Natürlich. Bei Nachverdichtungen muss man schauen, ob es wirklich toll ist, dass man da überall, bis es knirscht, hineinbaut und alle Außenräume, die eine Qualität für die BewohnerInnen haben, kaputtmacht. Gerade in Coronazeiten haben wir ja gelernt, wie wichtig diese Außenräume sind. Deshalb müssen Freiräume neben der Architektur in Wettbewerben auch gleichberechtigt sein.
Der Druck, neue Wohnungen zu bauen, wird aber nicht abnehmen, auch wenn Berlin nicht mehr so schnell wächst.
Deswegen sollten wir nicht nur über Nachverdichtungen reden, sondern auch über das Aufstocken des Bestandes. Das hat viele Vorteile, weil man auch mit Leichtbau, sprich Holz, aufstocken kann. Aber gleichzeitig müssen da viele Ämter beteiligt werden, und das macht es kompliziert. Leider ist da in der jetzigen Koalition nicht so viel passiert.
Sie stehen selbst nicht nur für nachhaltige Architektur, sondern auch nachhaltige Stadtplanung. Nun gibt es da zum einen Best-Practice-Beispiele wie das Quartier am Blumengroßmarkt, das den Städtebaupreis 2021 gewonnen hat. Auf der anderen Seite gibt es Quartiere wie am Spittelmarkt, wo private Investoren wie Groth in den Erdgeschosszonen keine Gewerbeflächen mehr bauen. Das ist ja keine Stadt mehr. Aber die Architekten spielen mit.
Das ist tatsächlich eine politische Aufgabe, von Anfang an zu fordern, dass man diese Quartiere mit der entsprechenden Infrastruktur ausstattet. Dann muss man aber auch öffentliche Nutzungen suchen, die man da ganz gezielt reinbringt. Das ist auch eine Frage des Geldes. Und es muss auch viel moderiert werden, um die richtigen NutzerInnen für den richtigen Ort zu finden. Das gilt auch für die landeseigenen Unternehmen als Bauherren. Und wenn Sie den Blumengroßmarkt ansprechen, ist er tatsächlich in vielerlei Sicht vorbildlich, aber er ist bislang viel zu wenig kopiert worden. Es ist fast das einzige Projekt in dieser Richtung.
Es war das erste Konzeptverfahren, das der Senat gestartet hat. Weitere waren die Schöneberger Linse, aber da gab es viel Kritik, weil es zu wenig Grundstücke etwa für Baugruppen und Genossenschaften gab. Was muss da besser laufen?
Wir haben alle Konzepte und Evaluationen auf dem Tisch. Alles ist gesagt. Gerade deshalb ist es erschütternd, wie wenig die soziale Bodenwende in die Anwendung kommt. Da würde ich mir wünschen, dass der Finanzsenator oder die Finanzsenatorin in Zukunft andere Prioritäten setzt.
Also auch mit dem Erbbauzins runtergeht.
Zum Beispiel. Wie positiv das sein kann, wenn alle an einem Strang ziehen, zeigt das Haus der Statistik.
Was haben Sie sich als Präsidentin für Ihre Amtszeit vorgenommen?
Dass wir das Thema der besonders erhaltenswerten Bausubstanz stärker angehen. Das Landesdenkmalamt kann nur ungefähr 3 Prozent schützen, für mehr gibt es keine Ressourcen. Baukulturell interessant und stadtbildprägend sind aber viel mehr Gebäude. Da ist es gerade eine Chance, wenn die nicht abgerissen und auch nicht unter strengen Denkmalschutz gestellt werden, weil man sie viel flexibler weiterentwickeln und energetisch ertüchtigen kann.
Soll die neue Landesregierung noch einmal die Diskussion aufrollen, ob der Rand des Tempelhofer Felds bebaut werden soll?
Aus meiner persönlichen Sicht nicht. Ganz klares Nein. Ich habe mich sehr engagiert, dieses Feld freizuhalten, und dabei bleibe ich auch. Als Alleinstellungsmerkmal ist dieser Freiraum ein Traum. Auf so etwas kann Berlin stolz sein.
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