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TäterSex, Crime & Madness

Phil Spector ist der Entdecker des Teeniepop. Jetzt steht der Produzent vor Gericht, weil er die Schauspielerin Lana Clarkson erschossen haben soll.

Die Haare! Die Haut! Die Hits! Bild: AP

Dies sei eine Verhandlung "of public interest", entschied der vorsitzende Richter Larry Paul Fidler im Februar. Deshalb stehen Fernsehkameras im Gerichtssaal, seit vergangenen Mittwoch vor dem Los Angeles Superior Court der Prozess gegen Phil Spector wegen Mordes an Lana Clarkson in die Vollen ging. Deshalb wird die Nation live auf "Court TV" verfolgen können, wie potenziell spektakulär sich die Dinge entwickeln im Fall eines bis vor kurzem halbvergessenen Musikproduzenten, der eine B-Film-Darstellerin erschossen haben soll, die der nun interessierten Öffentlichkeit zu Lebzeiten entschieden egal war.

Spectors Musik

Seine Hits: Phil Spector gilt als Pionier des Teeniepop moderner Prägung, er erkannte als Erster das Potenzial des Teenager-Popmarktes. "Kleine Symphonien für Kiddies" nannte er seine Dreiminüter-Hits wie "Da Doo Ron Ron" und "Be My Baby", die er für Acts wie The Crystals und The Ronettes produzierte. Markenzeichen seiner Hoch-Zeit 1961-64: war die "Wall Of Sound", eine revolutionäre Produktionsweise, für die er Horden von Sessionmusikern in das kleine Gold Star Studio in Hollywood zwängte, mitunter zwei Drummer, drei Pianos und vier Gitarren. Dazu Saxo- und Vibraphone, Sortimente von Percussioninstrumenten, Streicher, Bläser, Backgroundsänger. Sein wichtigstes Vermächtnis: die unbedingte inspiratorische Kraft, die er auf den Ober-Beach-Boy Brian Wilson ausübte. Letzte Erfolge: hatte er Anfang der 70er als Produzent von Soloalben der Ex-Beatles George Harrison und John Lennon. Kurz vor dem Tod Lana Clarksons hatte er mit der britischen Gruppe Starsailor nach 22 Jahren erstmals wieder ein Album produziert. Es wurde kein Hit.

Es wäre interessant, welche Wortdeutung von "interest" der Argumentation des Vorsitzenden zugrunde liegt. Redet er von einer Sache von Belang, von Bedeutung für die Gesellschaft? Oder geht es um die zu befriedigende voyeuristische Neugier eines Publikums? Man könnte sagen, der Spector-Prozess ist von ähnlichem "öffentlichem Interesse" wie ein reißerischer Hollywood-B-Film voller Sex, Crime & Madness. Die Ironie: Als ein solcher real-life exploitation movie erscheint das Leben des heute 67-jährigen Harvey Philipp Spector.

Das letzte Mal, dass sich eine breitere Öffentlichkeit so richtig doll dafür interessierte, was Phil Spector treibt, war 1964. Da stand der damals 24-Jährige auf der Höhe seines Ruhmes als "whiz kid" mit goldenem Händchen, als genialer Hit-Produzent, der mit seiner Vision eines bombastischen Voll-auf-die-Zwölf-Klangs den Sound des noch jungen, aber bereits in der Flaute baumelnden Rock n Roll revolutionierte. "Wall Of Sound" nannte Spector seine Erfindung, seinen Dreh, seine Spezialität, einen summenden, federnden, neuartigen Sound: Popmusik, die mit elektrisierender, wagnerianischer Wucht aus den schwachbrüstigen Transistorradios und Plattenspielern der Hi-Fidelity-Steinzeit dröhnte. So etwas hatte die Welt noch nicht gehört, das war sensationell. Und das ließ man Spector wissen, über Verkaufszahlen und über eine kultische Verehrung, die dem in seinem ganzen Naturell zur Hybris neigenden "Wunderkind" zuteil wurde. "Ich glaube, Phil war zu Beginn seiner Karriere ein ziemlich normaler Mensch", sagte Ronnie Bennett, Sängerin der Ronettes und bis 1972 Spectors geplagte Ehefrau, 1983 in einer englischen TV-Doku. "Aber dann fingen sie an zu schreiben, er sei ein Genie. Da sagte er: Yeah, ich bin ein Genie! Und dann hieß es: Er ist ein verrücktes Genie. Also wurde er ein verrücktes Genie."

In der Tat sollte Spector aufgehen in dieser B-Movie-Rolle, die ihm die öffentliche Wahrnehmung und seine labile Psyche da so graziös unterbreiteten. Wie im richtigen Film gehört auch ein nicht zu unterschätzendes Kindheitstrauma zur Geschichte, das in Spectors Fall auf bizarr morbide Weise mit seinem Erfolg verknüpft ist: 1949, der kleine Phil war neun, nahm sich sein Vater, ein Stahlarbeiter in New York, mit Autoabgasen das Leben; der Sohn wuchs auf, die Vorwürfe der Mutter im Ohr, Daddy habe sich seinetwegen umgebracht. Neun Jahre später veröffentlichte Spectors erste Band The Teddy Bears mit Sängerin Annette Kleinbard ihre Debütsingle mit dem Titel "To Know Him Is To Love Him" - die Grabsteininschrift des Vaters. Das zum Teenie-Liebesliedrefrain umgedeutete Epitaph wurde zum Hit und machte den 18-jährigen Phil zum Shooting Star der Musikszene in Los Angeles, wo er bald ins Produzentenfach wechselte. Mit 21 war er Millionär der "first tycoon of teen", wie ihn der Schriftsteller Tom Wolfe nannte, und als manisch egozentrischer Alleinherrscher berüchtigt.

Spectors Stars, Girlgroups wie The Ronettes und The Crystals sowie die knödelnden Righteous Brothers, hatten sich zu 100 Prozent seiner Knute zu fügen. Er war der Maestro, sie die Vehikel seiner Vision. Drei Jahre lang regnete es Hits, war Spector unantastbar. Dann kam 1964: Die British Invasion, die Beatles nebst Gefolge, die den US-Popmarkt im Sturm nahmen und Spector binnen Jahresfrist komplett den Rang abliefen - worüber der, dessen Sucht nach Anerkennung sich längst ins Obsessive gesteigert hatte, schier irre wurde. Sein letzter großer Hit-Versuch, seine ambitionierteste, überdrehteste Produktion, Ike & Tina Turners "River Deep, Mountain High", floppte 1966, wurde zur größten Niederlage seiner Karriere.

Spector tauchte ab, von seinen Dämonen gepeitscht - Drogen, Alkohl und Medikamente taten ihr Übriges -, lebte das Halbdunkeldasein eines Sonderlings mit aggressiven Tendenzen. Seine Besessenheit mit Handfeuerwaffen nahm bedenkliche Züge an, seine Frau Ronnie hielt er in seinem riesigen Haus wie eine Gefangene und unter Drohungen, ihr etwas anzutun, sollte sie ihn verlassen.

Erst Ende der 60er kam er zurück und machte sich ein paar mehr Feinde, nicht zuletzt Millionen Beatles-Fans, die Spector bis heute primär als den Mann identifizieren, der - freilich auf herzliche Einladung von John Lennon - das sorgenumwobene "Let It Be"-Album mit Orchester-Kitsch zusaute. In seiner kleinen Welt war Spector immer noch der Größte, alle anderen "Amateure und schlechte Klone meiner Wenigkeit", wie er tönte.

Anfänglichem Comeback-Erfolg mit Lennons "Imagine"-Album folgten in den 70ern vom "erratischen" Verhalten und nicht zuletzt Knarrenfuchteleien des Produzenten zerrüttete Arbeiten mit Lennon, Leonard Cohen und den Ramones. Danach verschwand Spector praktisch völlig von der Bildfläche. Dafür häuften sich in folgenden dunklen Jahrzehnten Ausfälle und Übergriffe des Mannes, von dem das Bonmot ging, er sei die einzige Hollywood-Celebrity, deren Bodyguards dazu da sind, andere Leute vor ihr zu schützen, nicht umgekehrt. Vorfälle, denen nicht viel "public interest" zukam. Bis zum Februar 2003.

Lana Clarkson, geboren 1963, war eine großgewachsene Blondine und, wie überall apostrophiert, "B-Movie-Queen". Dabei war sie keine Königin, auch nicht des B-Films, arbeitete vielmehr als V.I.P.-Hostess im "House Of Blues", ein Job, den sie als erniedrigend empfand. In dem Club am Sunset Strip lernte sie in den frühen Morgenstunden des 3. Februar 2003 Phil Spector kennen und fuhr anschließend mit ihm zu seinem Anwesen. Die beiden waren eine Stunde allein im Haus gewesen, als der draußen wartende Chauffeur einen Schuss hörte.

Was in dieser Zeit im Haus genau passierte, weiß nur einer, und der unter Umständen auch nicht so genau: Spector soll nicht alkoholisiert gewesen sein, litt aber zum fraglichen Zeitpunk unter Entzug von Antidepressiva. Weswegen sein Anwalt bezeugte erste Äußerungen Spectors gegenüber dem Chauffeur sowie eintreffenden Polizisten, er "habe wohl jemanden umgebracht" bzw. "es" sei "ein Unfall" gewesen, von der Beweisführung ausschließen lassen wollte. Im Foyer des Hauses fand man Lana Clarkson in ihrem Blut, tot durch einen Schuss in den Mund.

Seit seiner Festnahme am Tatort behauptet Spector, die alkoholisierte Clarkson habe die Waffe gezogen und sich damit selbst getötet. Doch diese Version scheint - zumal im Licht von Spectors gewalttätiger Vita - allenthalben so unplausibel, dass man Schwierigkeiten hatte, ein Dutzend Geschworene aufzutreiben, die nicht schon vorweg von Phil Spectors Schuld überzeugt waren.

Die Annahme der Anklage ist, dass Clarkson sexuelle Avancen Spectors zurückwies und er, der unberechenbare Waffenfreak, der sich selbst in einem Interview zwei Monate vor der Tat als manisch-depressiv und von Stimmungsschwankungen geplagt beschrieben hatte, sie in Rage erschoss. Mehr als nur eine Handvoll einstiger Spector-Opfer sind in den letzten Jahren, da der Prozess immer wieder weiter verschoben wurde, aufgetaucht und gaben Berichte von Nötigung und Schusswaffenbedrohung zu Protokoll; die Aussagen von vier Frauen sind für den Prozess zugelassen worden. Spectors Adoptivsöhne Donte und Gary packten aus, von ihrem Vater in den 70ern "wie Käfigtiere" gehalten und missbraucht worden zu sein. Abgründe, wo man hinschaut.

Mit dem Prozess von O. J. Simpson Mitte der 90er wird Spectors Fall gern verglichen. Doch die Dinge liegen etwas anders. Simpson war ein veritabler Volksheld gewesen, als er von einem Tag auf den anderen als Doppelmörder dastand, und behielt einen gewissen Nimbus des tragisch Gefallenen, der sich wohl in seinem skandalumwitterten Freispruch spiegelte.

Spector ist lange kein Held mehr und geliebt wurde er vielleicht nie. Mit ihm sitzt die ganze drogenverschnupfte, durchgeknallte, abgehobene, verderbte Dekadenz des Showbiz auf der Anklagebank. Mit seiner neuesten seltsamen Frisur auf dem Kopf hockt er da, Verteidiger Bruce Cutler, einen prominenten einstigen Mafiaanwalt, an der Seite. Das Spektakel ist eröffnet, die Kameras laufen.

Ein Punkt, den es zu klären gilt, ist, warum Lana Clarkson in jener Nacht mit zu Spector nach Hause kam. Sollte es ihr tatsächlich darum gegangen sein - wie eine halbwilde Spekulation besagt -, über Spector an eine Rolle in einem gerüchteweise in Planung befindlichen Film über sein Leben zu kommen, dann war sie auf so makabre wie traurige Weise erfolgreich: Sie hat die Schlüsselrolle als schöne Leiche im wohl letzten Teil des Real-Life-B-Movies von Phil Spector.

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