Tachelianer bleiben: Die letzten Aufrechten von Mitte
Trotz Räumung des Tacheles verharren immer noch ein Dutzend Künstler auf dem Hinterhof - und dürfen dort noch ein paar Wochen bleiben.
Hazem Abd-El-Hay bearbeitet einen Floh in seiner Werkstatt, einen aus Metall, schuhkarton-groß, geborstet mit Nägeln. Den, sagt er, werde er demnächst in groß erschaffen. Es sei schwierig, hier kreativ zu bleiben, aber nicht unmöglich. „Wer Kunst macht, macht Kunst, egal wo.“
In dicker Jacke steht Abd-El-Hay am Dienstag auf dem Tacheles-Hinterhof, dem umzäunten Rest, der den Künstlern noch geblieben ist. Der eisige Wind pfeift zwischen den sechs letzten Buden, nur zwei Touristen haben den Weg in das Labyrinth gefunden. Von der verwaisten Kunstruine richtet sich eine Überwachungskamera auf die Enklave. Eigentlich sollte Abd-El-Hay längst weg sein. Wurde doch das Haus bereits im September geräumt. Nur die Künstler auf dem Hinterhof, aktuell noch ein Dutzend, durften bleiben.
Daran ändert sich erst mal nichts: Am Montag wurde eine Räumungsverhandlung vorm Landgericht vertagt. Der Richter befand, dass der Zwangsverwalter den Verein „Art pro Tacheles“ hätte verklagen müssen, nicht die Künstler einzeln. Laut einer Gerichtssprecherin soll nun im Februar ein neuer Verhandlungstermin gefunden werden. Metallkünstler Hüseyin Arda feiert das wie einen Sieg. „Wir haben’s immer gesagt: Wir können das Gelände nicht rausgeben, weil es nicht uns, sondern allen gehört.“
Klägeranwalt Michael Schultz spricht hingegen von „Tricks“ und einem „Rückzugsgefecht“. „Wir werden gewinnen, das sind nur noch Verzögerungen.“ Ursprünglich hatte Schultz den Hinterhof bis Ende 2012 räumen wollen. Nun peilt er Ende März an. Schultz hatte mehrere Künstler auch gegen Abfindungen zum Auszug bewegt.
Was künftig mit dem Tacheles passiert, ist indes weiter offen. Das Gelände ist wegen der Insolvenz der früheren Eigentümer zur Zwangsversteigerung vorgesehen. Ein erster Termin platzte im April 2011, ein neuer steht aus. Schultz erwartet die Auktion in der zweiten Jahreshälfte. Er selbst vertritt einen Investor. Wen, sagt er nicht. Auch andere Mitbieter sind nicht bekannt. Die Rede ist nur von „mehreren Interessenten“. Immer wieder fällt der Name Harm Müller-Spreer, Eigner des nahen Spreedreick-Geländes. Die Gläubiger des Tacheles, die HSH Nordbank, schweigt dazu. „Erst wenn das Grundstück leer ist, können wir es verwerten“, so ein Sprecher.
In Mitte ist man über den Stillstand nicht erfreut. „Jeder Tag, den das Tacheles leer steht, macht die Situation nicht besser“, klagt Baustadtrat Carsten Spallek (CDU). „Eine zeitnahe Entwicklung ist dringend geboten.“
Viele der geräumten Künstler sind im Neuköllner Cube-Club oder im Hof eines Hotels am Warschauer Platz (Friedrichshain) untergekommen. Künstler Arda, seit 1990 im Tacheles, hat wieder Hoffnung: „Ich bin zuversichtlich, dass sich das Blatt noch wendet.“ Abed-El-Hay ist weniger optimistisch. „Wir werden täglich schikaniert.“ In seine Werkstatt regne es rein, weil er sie nur mit einer Plane überdachen dürfe. Nun sei auch der Stromgenerator ausgefallen. „Hier geht’s nur noch ums Geld“, klagt Abed-El-Hay. "Jetzt holt sich die High Society das Tacheles."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!