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TV-Doku „Jeder schreibt für sich allein“Geister der Vergangenheit

Kann man Au­to­r:in und Werk voneinander trennen? Das fragt eine Arte Dokumentation zu Schrift­stel­le­r:in­nen im Nationalsozialismus.

Gottfried Benn in seiner Berliner Wohnung, Aufnahme aus dem Jahr 1955: Kann man Autor und Werk trennen? Foto: Franz hubmann/Brandstaetter/picture alliance

Der Titel „Jeder schreibt für sich allein“ mag an stille Au­to­r:in­nen erinnern, deren Werke nie das Licht der Welt erblickten. Doch die Arte-Dokumentation, basierend auf dem Buch von Anatol Regnier, beschäftigt sich mit bedeutenden deutschen Schrift­stel­le­r:in­nen und ihrem Schaffen während des Nationalsozialismus.

Dominik Graf porträtiert in seinem Film etwa Heinrich Mann, der aus dem Ausland seine deutschen Kol­le­g:in­nen kritisiert, oder Gottfried Benn, der NS-Denkweisen im deutschen Radio predigt. Erich Kästner, Hans Fallada und Ina Seidel sind weitere Autor:innen, die in der Dokumentation wegen ihrer Passivität und Gefühlskälte kritisiert werden.

Passagen aus ihren Texten werden mit melancholischer Stimme eingesprochen, dazu Naturimpressionen. Fast alle genannten Au­to­r:in­nen akzeptierten das NS-Regime ohne öffentliche Kritik.

Die immerhin dreistündige Dokumentation fragt, ob man Autor und Werk trennen kann. His­to­ri­ke­r:in­nen berichten über ihre eigenen Wahrnehmungen der Schrift­stel­le­r:in­nen. Sie erläutern, wie sich ihre kindliche Bewunderung für die Künstler wandelte, als sie vom Verhalten der Au­to­r:in­nen während des NS-Regimes erfuhren.

Und dann Dr. Benn

Besonders bei Benn stellen die His­to­ri­ke­r:in­nen einen Zwiespalt dar. Wie konnte jemand, dessen Gedichte voll von „Doppelbödigkeit und Gefühlstiefe“ waren, gleichzeitig Nazisprache verwenden und Menschenverachtung bekunden?

Der Film ist durch die langen Textpassagen aus den Werken der Autoren nicht unermüdend. Auch eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Werk und Autor bleibt er letztlich schuldig.

Wichtig ist die dennoch, denn: Die Dokumentation „Jeder schreibt für sich allein“ ist ein bedeutendes Stück Aufklärungsarbeit, die uns dazu bewegen kann, aus dem widerspruchslosen Folgen rechter Denkweisen auszubrechen.

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2 Kommentare

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  • Danke. Da jommer hen.



    &



    Erkenne die Lage



    & dazu



    Klaus Theweleit



    Titel:



    Buch der Könige, Band 1: Orpheus und Eurydike - Zweiter Versuch im Schreiben ungebetener Biographien. Kriminalroman, Fallbericht und Aufmerksamkeit zum,, [Benn, Godard, Dante, Freud, Pound, Hamsun, Céline...



    2x



    Orpheus am Machtpol



    de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Theweleit



    Das „Buch der Könige“ (1988–1994, 3 Bde.) über Machtverhältnisse in der Kunstproduktion gilt als weiteres Hauptwerk Theweleits.



    &



    www.jstor.org/stable/23976479

  • Ja, der Titel Der Titel „Jeder schreibt für sich allein“ mag, wie Sie schreiben, an ,,stille Au­to­r:in­nen erinnern, deren Werke nie das Licht der Welt erblickten'', aber vielleicht ist es auch eine Referenz an Hans Falladas auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman über ein Ehepaar, das mit Hilfe von Flugschriften (Postkarten) Widerstand leistete:

    ,,Jeder stirbt für sich allein ist ein Roman des deutschen Schriftstellers Hans Fallada (Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen) aus dem Jahre 1947. Der Roman basiert auf dem authentischen Fall des Ehepaars Otto und Elise Hampel, das 1940 bis 1942 in Berlin Postkarten-Flugblätter gegen Hitler ausgelegt hatte und denunziert worden war. Fallada schrieb den Roman Ende 1946 in knapp vier Wochen; am 5. Februar 1947 starb er. Der Roman gilt als das erste Buch eines deutschen nicht-emigrierten Schriftstellers über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. "

    de.wikipedia.org/w...ich_allein_(Roman)



    (Hier findet sich unter anderem auch die Information, dass sich das Ehepaar gegenseitig vor Gericht beschuldigte, um der Hinrichtung zu entgehen. Anders als in Falladas Roman. Auch kürzte man den Roman in der DDR.)