TV-Doku „Exit“ über ehemalige Neonazis: Schreie zwischen den Neubaublöcken
Eine norwegische Neonazi-Aussteigerin besucht in mehreren Ländern andere Aussteiger. Ihre Analyse bleibt leider banal.
Sie hat sich also „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ angesehen. Den Film, den am Ende nicht der widerspenstige Roland Klick inszeniert hat, nachdem er sich mit Bernd Eichinger zerstritten hatte, sondern dessen zahmer Hausregisseur Uli Edel. Und der Film über diese Geschichte wäre möglicherweise der packendere geworden als der, den Karen Winther darüber gedreht hat, wie sie sich als Kind „Christiane F.“ angesehen hat – und daraufhin zur politischen Extremistin wurde: „Alles, was ich wollte, war, wie sie zu sein. Auf Heroin in einem Berliner Club.“
Heroin mag da heute nicht mehr die Droge der ersten Wahl sein, aber in Berliner Clubs zieht es bekanntlich viele Menschen aus aller Welt, ohne dass sie sie als frisch gebackene Neonazis wieder verließen. Dass Karen Winters Essayfilm über sich selbst und andere Neonazi-Aussteiger einen seltsam kalt lässt, ist natürlich eine subjektive Erfahrung.
Anderen muss es anders gegangen sein – sonst wäre der Film im vergangenen Jahr nicht auf dem DOK Leipzig dreifach ausgezeichnet worden. Eine klitzekleine Hoffnung ist die, dass die 30 Minuten, die die dort gezeigte Fassung länger war als die heute von Arte ausgestrahlte, den entscheidenden Unterschied machen könnten.
Dass in dieser fehlenden halben Stunde ein bisschen mehr an Erklärung steckt, als dass seelengeplagte Außenseiterkinder einfach nur mal irgendwo dazugehören wollen: „Alles Dunkle und Gefährliche zog mich an. Mit sechzehn schloss ich mich der extremen Rechten an […]. Ich erinnere mich, wie verboten sich die Nazisymbole anfühlten. Mein Herz fing dann an, schneller zu schlagen […]. Am Anfang war mir die Ideologie nicht wichtig.“
„Bewunderten deutsche Neonazis“
„Exit - Mein Weg aus dem Hass“ von Karin Winther am 29. Januar, 22.00 - 22.55 Uhr auf arte
Man muss wohl auch bereit sein, sich auf diese Erzählung in der ersten Person Singular Präsens einzulassen, die man als schonungslos offen begreifen kann – oder eben als furchtbar gefühlig. Irgendwann sitzt Karen Winther dann da in der amerikanischen Provinz zusammen mit zwei Ex-Neonazi-Gewalttäterinnen wie in einer Ex-Neonazi-Selbsthilfegruppe, und es dauert eine kleine Weile und einiges an Selbstmitleid, bis sie darauf kommen, dass sie andere Menschen traumatisiert haben müssen, mit dem was sie getan haben.
„In der Szene bewunderten wir die deutschen Neonazis, sie waren trainierter und gewalttätiger als die skandinavischen“, erklärt die Norwegerin Winther. Der deutsche Aussteiger Manuel Bauer belegt das, wenn er von seiner Begegnung mit einer im siebten Monat schwangeren Migrantin berichtet: „Und ich hab ihr ganz tief in die Augen geschaut. Und im nächsten Moment hab ich von oben mit dem Stiefel in den Bauch reingetreten. Sie hat dann Blut gespuckt. Wir mussten die Aktion abbrechen. Sie hat so laut geschrien, dass es gehallt hat zwischen den Neubaublöcken.“ Manuel Bauer gibt sich heute geläutert, das Glück, selbst Vater einer kleinen Tochter zu sein, soll ihm die Augen geöffnet haben.
Karen Winther begreift ihren Film in eigener Sache scheinbar auch als aufdeckende Therapie nach Art der Psychoanalyse. Wenn ihr also der prominenteste deutsche Neonazi-Aussteiger, Ingo Hasselbach, mit auf den Weg gibt: „Ich glaube, du hast dein Leben lang damit zu tun“ – dann ist das „nicht die Antwort, auf die ich gehofft hatte“.
Banalitäten als Analyse
Der Gedanke könnte sich auch dem einen oder anderen Zuschauer aufdrängen, immer wieder, etwa wenn Karen Winther am Ende ihres Films bilanziert: „Vielleicht hat mich der militante Extremismus angezogen, weil er am besten zu meinen Gefühlen passte.“ Nun, dass es keine wohl abgewogenen, durchaus vernünftigen Gründe für Rechtsextremismus geben kann, hatte man sich als Nichtrechtsextremist ja schon so gedacht. Aber muss das wirklich heißen, dass sich auch die Analyse in Banalitäten erschöpft?
Für Karen Winther offenbar schon: „Die Welt hat sich weiterbewegt. Und ich bin bereit, das auch zu tun.“
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