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TU: Chemielabore dicht

■ Landesamt für Arbeitsschutz schloß Uni-Institut / Schon zwei Unfälle in diesem Jahr / Umbauten wegen Geldmangels stets verschoben worden

West-Berlin. Diplomand Gunnar Müller (25) sucht nach einem Insektizid der dritten Generation. Es heißt Azadirachtin und kann auch synthetisch erzeugt werden. Doch Müller, der im 12. Semester an der Technischen Universität Berlin (TUB) studiert, kann seine wissenschaftliche Azadirachtin-Suche vorerst nicht weiterführen: In den Laboratorien der TU ist seit gestern das Hantieren mit brennbaren Flüssigkeiten und Gasen verboten worden. Angeordnet hat dies das Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA). Das ist das faktische Aus für die meisten Versuche und die Praktikantenausbildung. „Wir können nicht einmal Lösungsmittel zum Reinigen der Geräte und Behälter benutzen“, sagt Müller enttäuscht. Er muß bis zum 17. Oktober seine Diplomarbeit abgeben und hat nun Angst, nicht rechtzeitig fertig zu werden.

Das Amt für Arbeitsschutz bemängelte in erster Linie die veralteten Abzugsvorrichtungen der Chemielabors im stuckverzierten Gründerzeitbau am 17. Juni. Das ist zwar seit Jahren bekannt, doch Neu- und Umbaupläne der TU wurden wegen Geldmangels immer wieder verschoben. Aktueller Anlaß für das LAfA waren jetzt zwei Labor-Unfälle. Der letzte ereignete sich Ende Juli: Bei einem Versuch entwich Äther in die Luft und entzündete sich. Es kam zu einer Explosion, die mehrere Glasscheiben nach draußen auf den Innenhof und ein Vordach drückte. Es entstand nur Sachschaden; deshalb wurde der Vorfall auch nicht bekannt. Das LAfA wollte indes nicht mehr stillhalten: „Die Gesundheit und das Leben der Studenten gehen vor“, meint Georg-Otto Claus, stellvertretender Leiter des Arbeitsschutzamtes.

Sorgen um seinen Lehrbetrieb macht sich derweil Professor Helmut Schwarz, Dekan am Fachbereich 5 „Synthetische und Analytische Chemie“. Trotz der Mängel herrsche „kein Zustand, daß wir auf einer Bombe sitzen“, sagt er. Auch sei der Versuchs-Unfall vom Juli nicht auf schlechte Abzüge, sondern auf menschliches Versagen zurückzuführen. Betroffen von der Schließung sind jetzt 98 Praktikanten und etwa 500 Studenten des Fachbereiches. Wo die lernen und experimentieren sollen, wenn es bei der Laborsperrung bleibt, weiß Schwarz nicht.

Auch die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung konnte in einer Stellungnahme nur darauf hinweisen, daß die Behörde immer auf die Dringlichkeit der Sanierung des alten Chemiegebäudes hingewiesen habe. Nach Angaben von Wissenschaftssenatorin Riedmüller belaufen sich die Renovierungsarbeiten auf etwa 19 Millionen Mark.

Die TU-Studenten haben ein gespaltenes Verhältnis zur LAfA -Entscheidung: Einerseits sehen sie sich in ihren Warnungen bestätigt. Andererseits fürchten sie Studienverzögerungen durch Ausweichlösungen. Sie machen auch darauf aufmerksam, daß nicht nur die Abzüge in den Chemiegebäuden altersschwach sind. Es fehle auch an Atemschutzmasken, wenn Lösungsmittel in die Tonnen entsorgt werden, die in einem Schuppen auf dem Hof postiert sind. „Mir war immer schwindelig, wenn ich aus dem Schuppen kam“, berichtet Chemiestudent Alexander Niklasch.

Christian Böhmer

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