TROCKEN-HEFTIGES SCHULTERKLOPFEN

■ „Slayer“ im Metropol

Es geht um Speed. Sinnigerweise taufte man die Anfang letzten Jahres quasi erfundene Spielform des Heavy metal eben Speedmetal, reicherte die obligaten Zutaten des Heavy metal wie Brachialgitarren und Trommelfellplatzschlagzeug mit genügend anspruchsvollen, schnellen Fingern und nicht ganz so blöden Texten an, und der neue Hype war da. Plötzlich verloren sich Schreiber anspruchsvoller Blätter Hand in Hand mit Hardcore-Punks in Konzertsälen neben langmähnigen Ghetto-Headbangern. Ich aber sage euch: Der Soundtrack zur nächsten Revolution wird nicht Tracey Chapman sein, vielleicht auch nicht „Slayer“, aber ganz bestimmt werden elektrische Gitarren darin vorkommen.

Auch wenn eine 75er Pubrockband wie die Pirates ein mittelschwerer Kulturschock für viele ist, sollten die Beschimpfungen doch aufhören und der Blick durch die Löcher des Glashauses auf die (hoffentlich) reinen Fakten gerichtet werden.

Wenn im letzten Jahr musikalisch irgendwas passiert ist, dann war's sicher nicht neues Hüftstoßen von Michael Jackson oder gar der Tod oder die Wiedergeburt des Rock'n‘ Roll, sondern bestenfalls HipHop und Hardcore beziehungsweise metal (laßt uns das Wienermäntelchen über die neue Geistlosigkeit Acid-House decken). Interessant dabei ist auch, daß zwei an sich feindliche Dinge, urweiße und urschwarze Musik, plötzlich obskure Ehen eingehen. Bekannteste Beispiele: Run DMC und Beastie Boys rappen über Heavy-Gitarren-Riffs. Oder auch Rick Rubin, der besagte Beastie-Boys- und eben auch „Slayer„ -Produzent.

„Slayer“ sind natürlich auch so, wie man Heavy metal erwartet, lange gelockte Zotteln, Headbanging, böse Blicke von der Bühne. Wenn dem nicht so wäre, wären auch all die Jungs aus Gropiusstadt und dem MV nicht da, vor allem nicht die mit den stone-washed Jeans, sondern echt abgewichst, klar Alteeer (trocken heftiges Schulterklopfen).

Allerdings haben „Slayer“ mehr mit Jazz als mit Heavy metal zu tun, an sich, strukturell gesehen (gewagte Thesen müssen manchmal gewagt werden). Natürlich ist der Gitarrensound heavy und die Melodieführung heavy, und überhaupt alles, was man hört, heavy, aber die Art und Weise, wie sich alles im Affenzahn abwechselt, vermanscht und vermixt wird, daß es eine wahre Pracht ist, daß man nicht weiß, was vorne und hinten und welcher Rhythmus ist und welches Stück und natürlich wieder bumm paff - doch Heavy metal, aber halt anders, irgendwie Free Jazz. Längst nicht mehr dumpf und blöde wie Brot, sondern eher durchdacht und sowas von bescheuert kompliziert, daß es schon wieder sinnlos wird (zumindest das hat es mit Jazz gemein).

Natürlich ist die Ideologie völlig beschissen, all das Omnipotenzgehabe und Gewalt/Tod-Gefasel, aber wen will das noch kümmern, außer diejenigen, denen eh‘ nicht mehr zu helfen ist. Außerdem sind „Slayer“ da die rühmliche Ausnahme (mit anderen zusammen), fallen auf durch künstlerische Cover (Alptraumvisionen fast schon wie von Bosch), durch die Texte, in denen das Blut sozial- und kriegskritisch spritzt, und absolut keine Phallstudien auf der Bühne. Nur leider war der Sound viel zu matschig, als daß man die genial abgedreht bescheuerte Gitarrenwichserei mitbekommen hätte. Aber was soll's, dem Rest hat's gefallen, wenn mindestens zehn Zentimeter Haupthaar naß wurden, und es gibt ja noch Platten. Und nach oben postulierter, gewagter These ist der Ohrensessel samt Kopfhörer „Slayer“ sowieso angemessener.

P.S.: Natürlich hätte man auch Seiten vollschreiben können über den Fuß, den ich ins Rückgrat bekam, über die Frau, die mir blutüberströmt entgegen kam, und über jede Menge sich idiotisch, völlig freundschaftlich miteinander prügelnder Prolls (da rutscht schon mal 'ne Hand aus und trifft den Falschen, sorry Keule). Aber wer will sowas denn lesen?

Thomas Winkler.