piwik no script img

TEUFEL UND TELEFON

■ Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ in der Neuköllner Oper

Nur eine knappe Stunde hatte „Die Geschichte vom Soldaten“ gedauert. Nach der Premiere der Neuinszenierung an der Neuköllner Oper mußten sich die SchauspielerInnen und MusikerInnen unzählige Male verbeugen und, als das nichts half, noch eine Zugabe geben. Da stolzierte der kleine, blasierte König noch einmal vor dem Orchester einher und balancierte schwer an Krone, Zepter, Reichsapfel und seinem ausgestopften Bäuchlein. Seine breite Maske zeigte ein spitzes, himbeerrotes Mäulchen, das zuviele Süßigkeiten geschleckt hatte. Seine beiden violettbeschärpten Lakaien stolpertern hintendrein und hatten alle Mühe, ihren runden Herrn auf die Schultern zu nehmen. Gnädig nahm das Männlein von oben die Huldigungen entgegen.

Ein russisches Volksmärchen hatte Strawinsky und dem Schweizer Schriftsteller Ramuz für „Die Geschichte vom Soldaten“ als Vorlage gedient. Der Soldat Josef hat Urlaub, trifft auf dem Weg in sein Heimatdorf den Unreinen, den Teufel, und läßt sich von ihm seine Geige abschwatzen. Dafür macht der Teufel den Soldaten zum Kaufmann. Josef zieht nach einer Serie erfolgreicher Geschäfte in ein Land, in dem die Tochter des Königs an einer unbekannten Krankheit leidet. Den teuflischen Intrigen zum Trotz kann der junge Held die Schöne an seinem Geigenspiel genesen lassen. Die beiden heiraten, und nach dem Tod des Königs regiert Josef das Land. Wer aber einmal einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, den läßt er nicht mehr los. Und so muß Josef bald darauf von seinem Glück Abschied nehmen.

„Die Geschichte vom Soldaten“ war eine Notgeburt. Stranwinsky, der seit 1914 im Schweizer Exil lebte, brauchte ein Projekt, das ihn ernährte. Den Stil seiner Ballette wie „Feuervögel“ und „Le sacre du printemps“ hatte er mit Beginn seines Exils aufgegeben. 1917 gründete er zusammen mit Ramuz und dem Dirigenten Ansemet eine kleine Wanderbühne, für die die Geschichte vom Soldaten Josef geschrieben wurde.

Das Stück ist den bescheidenen Möglichkeiten einer Wanderbühne angepaßt und fügt sich ganz in Strawinskys neue Art des Komponierens. Ursprünglich spielten nur drei SchauspielerInnen den Teufel, Josef und die Prinzessin. Ein kleines, siebenköpfiges Orchester, in dem nur jeweils die repräsentativen Vertreter der Instrumentengruppen sitzen, sollte gut sichtbar neben der Bühne plaziert werden. Auf der anderen Seite sollte ein Erzähler sitzen, und zwischen ihnen die DarstellerInnen tanzen und spielen. Die drei Parteien klingen nur selten zusammen, sondern wechseln sich im Vortrag ab. Dabei bleibt die Musik immer ganz nahe am Bühnengeschehen. Walzer, Marsch, Tango und Ragtime geben sich ein Stelldichein.

In der Neuköllner Oper war das Orchester auf der schwarzen Bühne plaziert, der Erzähler direkt daneben an einem kleinen Tisch. So saßen sie inmitten der Geschichte, die sich um sie herum bis in den Zuschauerraum hinein abspielte. Alle Schauspieler waren maskiert und steckten in Kostümen, wie sie sich für Märchenfiguren gehören. Josef legte die knappgewordene Uniform auch am Schreibtisch nicht ab, und die Prinzessin trug ein Kleid ganz aus schmuddeligweißem Tüll. Das Röckchen bauschte sich kein bißchen, als sie zu den Geigenklängen die ersten Schritte wieder wagte. Hölzern setzte sie ein Fuß vor den anderen, hob ein wenig den Arm und sank dann entkräftet in sich zusammen, ganz wie es Marionetten tun, wenn ihnen zuviel Faden gegeben wird.

Ganz hinten erhob sich riesig der Schreibtisch von Kaufmann Josef, in dem sich praktischerweise auch gleich das Heim des Teufels befand. Das Podest wurde von unten angestrahlt, was den Teufel so recht in Szene setzte. Dramatisch leuchtete bei seinen Sprüngen und Verrenkungen das rote Innenfutter seines Umhangs auf, und seine große Maskennase warf lange Schatten. Dazu schrie und flüsterte er in allen Tonlagen.

Auf dem Schreibtisch prunkten drei rote Telefone. Aus dem russischen Kaufmann war unter Ramuz‘ Feder ein moderner Börsenspekulant geworden, der ein teuflisches Buch studierte, das ihm die Aktienkurse von übermorgen voraussagte. Wenn „Die Geschichte vom Soldaten“ im nächsten Jahrtausend noch aufgeführt werden sollte, wird der Teufel ein kleines Gerät aus seinem Umhang zaubern, mit dem Josef all seine Geschäfte beamen kann. Ob er dann noch eine Geige braucht, um die Königstochter zu heilen?

Claudia Wahjudi

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen