TAZ-SERIE NEUES SOZIALES BAUEN (TEIL 8 und Schluss): "Mit 'sozial' hat das wenig zu tun"
Ohne neuen sozialen Wohnungsbau kann man keinen günstigen Wohnraum schaffen, sagt Stadterneuerungsexperte Fabian Tacke. Alles andere sei nur etwas für den Mittelstand.
In Berlin wird Wohnraum knapp. Neubau tut not. Doch der soziale Wohnungsbau ist Geschichte. Viel zu teuer wurde in den 80ern und 90ern gebaut, die Subventionen landeten meist bei den Investoren. Wie aber kann man sozialverträglich bauen? Die taz erkundet in ihrer Serie Projekte, die das Bauen in der Stadt verändern können.
In Teil 1 (4. 5.) ging es um einen günstigen Neubau für das Mietshäuser-Syndikat, in Teil 2 (11. 5.) um ein Bauprojekt im Bergmann-Kiez. Teil 3 (18. 5.) stellte einen Neubau der Berolina-Genossenschaft vor, Teil 4 (25. 5.) eine Baugruppe, die ihr Verhältnis zu Bauen und Eigentum hinterfragt. Teil 5 (1. 6.) berichtete von bauenden Genossen in der Pappelallee und Teil 6 (15. 6.) über günstigen Wohnraum. Im Teil 7 (21. 6.) ging es um die geplanten Wohnblöcke auf dem Gelände des Kiki Blofeld. (taz)
Fabian Tacke
kennt die Berliner Stadterneuerungsszene, seit er sich Anfang der 1990er Jahre beim Arbeitskreis Berliner Selbsthilfegruppen im Altbau e. V. um die damals zahlreichen besetzten Häuser gekümmert hat. Danach hat er drei Jahre lang als Geschäftsführer die Mietergenossenschaft SelbstBau e.G. mit aufgebaut. Seit 1997 arbeitet er als Projektentwickler und realisiert verschiedene Projekte aus den Bereichen Soziales, Kultur und Wohnen. Unter anderem hat er gemeinsam mit der UmweltBank einen sozialen und ökologischen Immobilienfonds aufgelegt und betreut immer wieder Baugruppen. Als Vorstand der 2009 gegründeten KlimaGut Immobilien AG will er die behutsame und ökologische Stadterneuerung in Berlin weiter vorantreiben.
taz: Herr Tacke, der Wohnungsmarkt in Berlin ist angespannt wie seit Langem nicht. Rächt sich nun, dass in den vergangenen Jahren so wenig gebaut wurde?
Fabian Tacke: Die Nachfrage nach Wohnraum steigt, der Flächenverbrauch pro Einwohner steigt, das Angebot wird knapper, die Mietpreise ziehen an. So funktioniert der Wohnungsmarkt. Ein stärkerer Neubau als bisher würde da natürlich helfen. Jetzt rächt sich, dass sich der Senat schon vor langem von einer eigenen Wohnungspolitik komplett verabschiedet hat.
Den sozialen Wohnungsbau hat Rot-Rot 2002 mit dem Ende der Anschlussförderung beerdigt. Ein Grund zur Trauer?
Nein. Der Wohnungsbau der 80er und 90er Jahre war ein Selbstbedienungsladen für einen ganz kleinen Kreis von Investoren. Wir haben mit der SelbstBau e. G. mal versucht, eine Förderung zu bekommen. Aber da war kein Durchkommen. Dieser sogenannte soziale Wohnungsbau hat nur hohe Kosten verursacht und die Investoren reich gemacht.
Nun stellt der Liegenschaftsfonds seit geraumer Zeit fünf Grundstücke pro Jahr für Baugruppen zur Verfügung. Ist das die neue Liegenschaftspolitik, von der die Stadtentwicklungssenatorin so gerne redet?
Statt dem Höchstpreis in einem Bieterverfahren werden die Grundstücke nach dem Marktwert vergeben. Das ist nicht schlecht, nur wird das überschätzt. Die Differenz ist eher gering, vor allem wenn man das auf die Gesamtinvestition, also Grundstückskosten, Planungskosten, Baukosten bezieht. Um Wohnraum für breite und vor allem auch bedürftige Schichten der Bevölkerung zu schaffen, müssten die Grundstücke umsonst vergeben werden. Außerdem ist die bisherige Zahl an Grundstücken im Verhältnis zum Bedarf natürlich ein Witz.
Was müsste das Land Berlin im Gegenzug für eine solche Investition fordern?
Belegungsbindung in Verbindung mit Mietpreisbindung. Wenn die Bezirke sozial Bedürftige auf diese Weise mit Wohnraum versorgen könnten, wäre das ein erster Schritt. Vor allem aber würde man mit einem solchen Instrument nicht die Kosten hochtreiben und die Eigentümer fördern wie beim alten sozialen Wohnungsbau.
Bislang ist es so, dass fast alle Neubauprojekte, auch solche mit sozialem Anspruch, nicht unter Mieten von acht Euro pro Quadratmeter kalt kommen. Das ist kein Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung.
Richtig. Alles, was derzeit Genossenschaften oder Baugruppen bauen, ist Wohnungsbau für die Mittelschicht. Mit "sozial" hat das wenig zu tun. Im Gegenteil: In manchen Quartieren besteht sogar die Gefahr, dass da eine Preisspirale nach oben in Gang gesetzt wird. Da muss man sehr aufpassen, auch wenn in vielen Baugruppen die meisten sicher auch an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten gehen müssen.
Gibt es in Baugruppenprojekten auch Quersubventionierungen? Ziehen da manchmal die Besserverdienenden die weniger gut Verdienenden mit?
Mir sind nur sehr wenige solcher Projekte bekannt. Vielleicht gibt es den einen oder anderen, der eine zweite Wohnung mitfinanziert und die dann an jemand anders für fünf Euro vermietet. Aber das ist eher selten. In der Regel ist es so, dass die Bank von jedem Einzelnen die Finanzierung prüft. Spätestens an dem Punkt hört bei den meisten die Solidarität auf.
Sie selbst haben lange im Arbeitskreis Selbsthilfe und später in der Mietergenossenschaft SelbstBau e. G. gearbeitet. Warum gibt es so wenig Neubauprojekte von Genossenschaften? Bei denen würde ja kein Eigentum gebildet, sondern zur Miete gelebt werden.
Die Kosten und die Zinsen sind überall im Wesentlichen dieselben. Auch eine Genossenschaft muss sich das Geld vom Kapitalmarkt holen, muss die Standards einhalten. Auch wenn eine Genossenschaft eine geringere Verzinsung ihres Eigenkapitals erwartet oder die Mitglieder bauliche Eigenleistung erbringen, ist das eben nur ein kleiner Baustein der Gesamtfinanzierung. Daher wird es ohne öffentliche Förderung kaum Wohnungen geben, die für Bedürftige bezahlbar sind. Außerdem ist es für eine Genossenschaft schwierig, ihren Bestandsmietern zu vermitteln, nun Wohnungen für acht bis zehn Euro bauen zu wollen. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass die Bestandsmieten, die wir bei der Selbstbau hatten, auch nur deshalb so niedrig sind, weil in die Sanierung der Häuser öffentliche Gelder geflossen sind.
Bei diesen Häusern, die sie ansprechen, sind die Mieten bleibend niedrig. Wie groß ist denn die Bereitschaft der Bewohner solcher Projekte, in einen Fonds einzuzahlen, mit dem dann wieder Neubau finanziert wird? Je mehr in diesem sogenannten revolvierenden Fonds ist, so die Rechnung mancher Aktivisten, desto weniger Geld müsste man sich von den Banken holen.
Diese Idee eines solchen revolvierenden Fonds wird auch von der Stiftung Trias und der Selbstbau verfolgt. Es ist ein Gedanke, der allerdings auf sehr lange Zeiträume setzt. Aber ganz ehrlich: Die Bereitschaft derer, die einmal von der üppigen öffentlichen Sanierungsförderung profitiert haben, davon wieder ein Stück zurückzugeben, ist nicht sonderlich ausgeprägt. Die Idee war und ist aber gut.
Also bleibt ein im Grunde eher pessimistisches Fazit: Der alte soziale Wohnungsbau ist zu Recht zu Ende gegangen, ein neuer aber nicht in Sicht.
Zumindest so lange nicht, wie die Politik nicht radikal umdenkt und wieder aktiv in die Wohnraumförderung einsteigt.
Bleibt die Hoffnung, dass mit dem Neubau für die Mittelschichten der Wohnungsmarkt entlastet wird.
Dazu wird aber zu wenig gebaut. Etwas anderes wäre es, wenn man etwa auf dem Gelände von Tegel keine Industrieansiedlung betreiben würde, sondern die Fläche für Neubau zur Verfügung stellt. Das wäre auch ein Angebot an die, die neu in die Stadt kommen und sonst die Mieten in den Altbauquartieren in die Höhe drücken. Wenn die öffentliche Hand die kostenlose Vergabe von Grundstücken an die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards knüpfen würde, könnte man etwas bewegen, ohne dass der Berliner Haushalt akut belastet wird. Selbst München macht das inzwischen so.
Worüber kaum debattiert wird, ist das Thema Flächenverbrauch. Müsste es da nicht irgendwann, auch im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung, zu einer Begrenzung kommen?
Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit betrachtet, kann man das so sehen. Aber es wäre zugleich ein Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, die niemand will.
Energetische Sanierung ist, wenn sie teuer wird, auch ein Eingriff in die Freiheit des Mieters, der nicht so viel Geld hat.
Ich finde es falsch, dass das Thema energetische Sanierung immer nur im Zusammenhang mit steigenden Mieten genannt wird. Klar ist es so, dass derzeit viele Eigentümer neben der Wärmedämmung ihre Häuser regelrecht rundum modernisieren und damit hohe Mieten entstehen. Es geht aber auch anders. Ich selbst arbeite auch als Projektentwickler. Mit unserem Projekt "KlimaGut" dämmen wir die Fassaden von Altbauten, sodass wir einen guten energetischen Standard bekommen. Das ist aber nur die Außenhaut und die Haustechnik. In den Wohnungen selber wird nicht modernisiert. So bleiben die Mieten gering.
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