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Archiv-Artikel

TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Parrhesia statt intellektueller Eingreiftruppe

Der Philosoph Etienne Balibar schrieb im Guardian, es sei an den Intellektuellen, angesichts der EU-Krise demokratische Politiken zu diskutieren und dabei Risiken einzugehen. Er erklärte sich solidarisch mit den Protesten in Griechenland und klagte die rassistischen Stigmatisierungen an.

Dennoch offenbart sein Appell eine Haltung, die auf einer Überschätzung beruht und an die Forderung Pierre Bourdieus nach einer „intellektuellen Eingreiftruppe“ während des jugoslawischen Bürgerkriegs erinnert, eine Idee, die niemand besser karikierte als Bernard-Henri Lévy, der den Konflikt als PR-Kampagne für sich selbst nutzte.

Michel Foucault hat vor allem nach 1968 darauf beharrt, dass die Zeit der großen universell-humanistischen Wahrsprecher vorbei sei. Stattdessen begrüßte er, dass sich Querverbindungen von verschiedenen Orten des Wissens, von einem Ort der Politisierung zu anderen, herstellen.

In seiner letzten Vorlesung von 1984, „Der Mut zur Wahrheit“ (Suhrkamp, Berlin 2010), erläutert er an der griechischen Tradition der Parrhesia, dem „Wahrsprechen“ bei den Kynikern, die unerschrockene und wahrhaftige Rede der Schwachen, die nichts mit dem Sprechen von Wahrheiten, sondern vielmehr mit der Philosophie als Lebensform zu tun hat, die ihm zufolge durch die akademische Disziplin und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Rollenzuteilungen verschwand.

Es war die akademische Disziplin, die dieses andere Denken zum Schweigen gezwungen hat, auch deshalb, weil selbst die Begriffe Teil des Klassensystems sind. Die Parrhesia steht für eine Tradition der Kritik, die auf die Deckungsgleichheit von unkonventionellem Sprechen und Tun zielt. Dafür sollten wir nicht weiterhin die sogenannten Intellektuellen anrufen, mit denen doch immer noch die privilegierten Sprecher gemeint sind.

Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz