: Szene unverändert
■ Drogenpolitik: Mehr Abhängige, mehr Geld
Szene unverändert
Drogenpolitik: Mehr Abhängige, mehr Geld
Rot-Grün wollte es besser machen als die konservativ-liberalen Vorgänger in Niedersachsen: Die dramatisch anwachsende Drogensucht sollte unter anderem mit mehr Therapieplätzen, neuen Hilfskonzepten, einer Ausweitung der Methadonvergabe und einer Entkriminalisierung eingedämmt werden. Sozialminister Walter Hiller (SPD) reiste Ende 1991 eigens in die Niederlande, um sich zu informieren.
In der Szene ist ein neuer drogenpolitischer Wind bislang allerdings kaum zu spüren: Die Zahl der Süchtigen stieg von 1991 auf 1992 nach Angaben der Therapiekette Niedersachsen (TKN) um rund zehn Prozent. Die TKN, größter Zusammenschluß von Drogenhilfeeinrichtungen in Niedersachsen, schätzt, daß in Niedersachsen rund 12.000 Menschen an der Nadel hängen. Die Polizei geht von 9.000 Süchtigen aus. Immer noch müssen Abhängige, die dem Teufelskreis von Rausch, Entzug und Beschaffungsdruck zu entkommen versuchen, vier bis sechs Wochen auf einen Platz für den körperlichen Entzug warten. Den Heroin-Ersatzstoff Methadon bekommt nur ein Bruchteil der Abhängigen.
Auf Hillers Haben-Seite steht eine deutliche Ausweitung des Drogenhilfeangebots: Bei Regierungsübernahme 1990 gab es 60 Therapieplätze für den körperlichen Entzug. Jetzt sind es 95. Die Ausgaben für Drogenhilfe hat der Minister stark gesteigert: 1990 wurden rund zehn Millionen Mark pro Jahr ausgegeben, im laufenden Jahr sollen es fast 16 Millionen Mark sein. Die Umsetzung eines großzügigen Methadonprogramms scheiterte 1991 allerdings vor allem am Widerstand der Niedersächsischen Ärztekammer.
Immerhin die Diskussion hat Hiller angeregt. Mit seiner Bemerkung: „Es ist dummes Zeug, Haschisch für eine Einstiegsdroge zu halten“ und mit seinem Eintreten für die kontrollierte Freigabe harter Drogen sorgte er für Schlagzeilen. Der Drogendezernent im Landeskriminalamt, Gerold Koriath, meint, die wachsende Zahl an Erstkonsumenten sei teilweise auf die Freigabediskussion zurückzuführen. Gerhard Schröder pfiff seinen Sozialminister zurück. H.E.Busemann/dpa
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