Systemkritik und Zynismus : Pass dich nicht an!
Ballern, Tanzen, Revolution – und sich niemals dem System fügen! So oder so ähnlich hatte sich die Autorin ihr Leben in Berlin vorgestellt. Was ist davon geblieben?
Von RUTH FUENTES
taz FUTURZWEI, 23.03.2023 | Es ist offizieller feministischer Kampftag. In der Wiener Straße in Kreuzberg stehen sich mal wieder Polizist:innen und Demonstrant:innen gegenüber. Und ich sitze mit Aron – der anderen Stimme meiner Generation – im Café. Es ist dunkel, es ist kalt. Der Berliner Winter will einfach nicht vorübergehen.
„Es ist doch immer dasselbe“, denke ich, während draußen die Demo vorbeizieht, und will das doch gar nicht denken. Ist doch auch mein Protest! Oder?
Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.
Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.
Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.
„Schon krass“, sagt Aron. „Wie viel in den letzten Monaten passiert ist. Trennungen, du warst immer an irgendwelchen Ecken der Welt, …“
„… du hast dein Buch raus gebracht.“
„Und zwischendurch haben wir geballert.“
Schleichender Zynismus
Wir lachen. „Nieder mit dem Patriarchat“, hört man sie draußen rufen. Aber irgendwie catcht mich das heute gar nicht. Im Gegenteil, ich will irgendeinen Witz über die Leute da draußen machen, aber sage dann doch nichts, weil Aron immer meint, ich soll nicht zynisch werden. Was ist nur los mit mir?
Ich denke daran, wie ich vor zwei Jahren nach Berlin gekommen war. Schreiben wollte ich. Was bewirken, die Welt verändern. Und dabei natürlich ganz viel Spaß haben und niemals erwachsen werden. Die Entscheidung war so klar gewesen, sobald sie gefällt war.
Weg aus dem spießigen kleinen Heidelberg. Weg aus der akademischen Blase. Weg aus dem Sog, der dich in Ehe, geregelten Alltag, 9-to-5 Jobs und All-Inclusive-Urlaube ziehen will.
„So ist es nun mal: du bist auch nur eine Ameise im System“, hatte meine Mutter mal gesagt. Ich hatte als Antwort erstmal meine „The Wall“ Platte aufgelegt. All in all you're just another brick in the wall.
„… ich will niemals erwachsen werden“, heule ich. Aron schaut mich irritiert über seinen Kaffee hinweg an und wechselt das Thema.
„Wie fühlst du dich jetzt nach deinem Volo?“
Schon wieder nervige Entscheidungen
Mmh, gute Frage. Das Ende des Volontariats fühlt sich erstaunlich ähnlich an wie die Zeit nach dem Master. Ein Loch, in das man nicht fallen will. Wieder Entscheidungen, die zu fällen sind.
Der Druck von außen (und von den Eltern), jetzt endlich anzukommen, ein erwachsenes Leben zu führen. Endlich den „Ernst des Lebens“ beginnen zu lassen – schon wieder. Und der Druck von innen, zu klären, wozu man das Ganze macht und wo man eigentlich hin will, bevor die Anderen das für einen entscheiden.
„Ich mache mir Gedanken, wohin ich eigentlich will, bevor die Anderen das für mich entscheiden“, antworte ich Aron also.
Bin ich zu idealistisch? Zu irrealistisch? Zu naiv? Zu bequem? Oder will ich mich aus Trotz nicht anpassen, weil meine Mutter damals das mit der Ameise im System gesagt hat und mir das einfach nicht gepasst hat? Oder noch schlimmer: ist das die Einstellung einer Privilegierten, die ständig ihre Freiheit bedroht sieht?
Wie wär's mit der Letzten Generation?
Letztens hatte ich einen Aktivisten der Letzten Generation interviewt. Er ist erst seit Kurzem Aktivist. Davor war er Journalist.
„Meinem Verständnis nach ist die Aufgabe von Journalismus, Menschenrechte, Demokratie und Verfassung zu schützen,“ hatte er mir (auch in einem Café, selbstverständlich) gesagt.
Ich hatte genickt. Vierte Gewalt im Staate und so. Beim Klima sei das aber nicht so. Nicht nur da, hatte ich unwillkürlich gedacht, und mich an Interessen innerhalb von Redaktionen erinnert, bestimmte Themen lieber erst einmal nicht anzugehen.
Und an die Redakteur:innen, die wie Maschinen nur noch dpa-Ticker umformulieren und fürchten, irgendwann von einer K.I. ersetzt zu werden. An die eigene Angst, irgendwann auch nur noch über Belangloses zu schreiben, weil alles andere zu kompliziert und heikel erscheint – obwohl man die Möglichkeiten endlich hat. Nur ein weiterer Stein in der Wand, eine kleine Ameise im System.
Lieber alles mit der Axt zertrümmern
„Haltungsjournalistin“ hatte mich eine Leserin vor Kurzem in einem Kommentar genannt. Ich habe es als Kompliment genommen. Und mir dann nochmal das Video mit Ton Steine Scherben-Mitglied Nikel Pallat angeschaut, in dem er während einer laufenden WDR-Talkshow mit einer Axt den Tisch zertrümmert. Gegen den Kommerz und das Establishment. Geil. Kaputt machen, was dich kaputt macht. Oder so ähnlich.
Mein Interviewpartner erzählte weiter von all der Ungerechtigkeit auf der Welt und der korrumpierten Medienlandschaft, und ich sah mich schon fast neben ihm auf der Straße sitzen. Kurz flackerte es wieder auf, dieses Gefühl, wegen dem ich nach Berlin gekommen war. Aber wäre das nicht doch zu einfach? Protest auf der Straße, wenn ich jetzt die Möglichkeit habe, darüber angemessen zu berichten? Weiter Journalismus machen und dabei an seinen Idealen festzuhalten?
Oh mein Gott, klinge ich erwachsen? Aber immerhin nicht nach Ameise im System.
„Wir müssen uns ja nicht sofort ganz anpassen und erwachsen werden“, sagt Aron. „Können ja abwarten, wie sich die Sachen so entwickeln.“
„Ich will auf keinen Fall so enden wie diese Leute, die sagen, ‚ich war auch mal Punk, aber so einfach ist das eben nicht‘ und es sich bequem machen, verstehst du?“
Aron lacht.
You're not alone
„Wir dürfen uns sowieso nicht fügen und erwachsen werden. Wir sind schließlich ‚die Stimme meiner Generation‘.“
„Samstag erst mal Club, oder?“ fragt er dann zum Abschied. Und kennt meine Antwort eigentlich schon.
Bis Samstag wird sich die Welt auch nicht retten lassen und ich werde mich auch nicht direkt irgendwo eingliedern lassen, denke ich, während ich durch die jetzt wieder leeren Straßen Kreuzbergs nach Hause spaziere. Die Demo ist längst vorbei.
„You're not alone.“ steht da an einer Hauswand geschrieben. Vielleicht geht es genau darum: die Leute zu finden, die auch so denken wie ich. Sich nicht fügen wollen, sondern verändern. Man muss sie nur ausfindig machen.
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.