Syrischer Nationalrat anerkannt: Die Sanktionsschraube wird gedreht
Die Freunde Syriens zögern mit einer Anerkennung des oppositionellen Nationalrates als einziger Vertretung des Landes. Nun soll die Wirkung von Sanktionen überprüft werden.
ISTANBUL dpa | Die Kontaktgruppe der Freunde Syriens hat die andauernde Gewalt in dem Land scharf verurteilt und den Syrischen Nationalrat (SNC) als Dachorganisation der Opposition anerkannt. Der Rat sei „ein legitimer Vertreter aller Syrer“, erklärten Vertreter von 83 Staaten und Organisationen am Sonntag in Istanbul.
Dagegen hatte der Nationalrat gehofft, als einziger Vertreter Syriens anerkannt zu werden und damit auf internationaler Bühne an die Stelle der Führung in Damaskus treten zu können. Scharf verurteilte die Kontaktgruppe „massive, systematische und weit verbreitete“ Menschenrechtsverletzungen. Diese sollen zur Verfolgung der Täter besser dokumentiert werden.
„Bedauerlicherweise hat sich die humanitäre Situation verschlechtert. Die Lage ist alarmierend“, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu zum Abschluss des Treffens. Er mahnte die internationale Gemeinschaft, es dürfe nicht wie in Bosnien jahrelang zugeschaut werden. „Wir werden alles Mögliche unternehmen, um Massaker und Morde in Syrien zu verhindern“, sagte er.
Konkretere Schritte zum Schutz von Zivilisten wurden nach dem Treffen, das länger dauerte als erwartet, nicht bekannt gemacht. Mehrere Teilnehmer des Treffens hatten sich für härtere Sanktionen ausgesprochen. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan verurteilte scharf, dass das Regime von Präsident Baschar al-Assad Morde und Massaker fortsetze, obwohl es dem Friedensplan des internationalen Sondergesandten Kofi Annan zugestimmt hat. Dennoch habe der Annan-Plan noch eine Chance verdient, sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle am Rande des Treffens. „Wir werden die Sanktionsschraube weiter andrehen“, kündigte er an.
Assad hatte erklärt, er akzeptiere den Plan Annans, wolle ihn jedoch erst umsetzten, wenn die Opposition ihre Waffen abgibt. Der Plan sieht unter anderem einen Zugang für humanitäre Hilfe und ein Ende der Militäroperationen vor. Seit Beginn des Aufstands gegen Assad vor einem Jahr sind nach UN-Schätzungen mindestens 9.000 Menschen getötet worden. Allein am Sonntag starben nach Angaben von Aktivisten wieder 42 Menschen, darunter vier Deserteure.
Das Volk leidet enorm
Der Vorsitzende des Nationalrates, Burhan Ghaliun, betonte, seit dem Treffen der Kontaktgruppe in Tunesien habe das syrische Volk enorm gelitten. Viele Menschen seien getötet worden. Viele Regierungen hätten Angst vor einer Ausbreitung des Terrorismus in Syrien nach einem Sturz des Regimes. Dies sei falsch, erklärte er, „denn die Demokratie, für die wir kämpfen, ist der natürliche Feind des Terrors“.
Westerwelle sagte: „Die Gewalt in Syrien ist unerträglich. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass sie endlich gestoppt wird. Es gibt einen klaren Verantwortlichen für diese Gewalt, nämlich das Regime von Assad.“ Er führte weiter aus: „Allerdings zählen auf der syrischen Seite keine Worte mehr, sondern nur noch Taten. Eine politische Lösung kann nicht als eine Art Verschiebebahnhof verstanden werden.“
Der katarische Ministerpräsident, Scheich Hamad bin Dschasim al-Thani, erinnerte an den Vorschlag der Außenminister der Arabischen Liga, eine arabisch-internationale Friedenstruppe nach Syrien zu schicken. Für diese Idee gibt es jedoch bislang selbst in der Kontaktgruppe noch keinen Konsens. Die syrische Opposition hatte die Kontaktgruppe vor dem Treffen aufgefordert, ihre Drohungen gegenüber dem Regime glaubwürdiger als bisher zu formulieren. In einer Erklärung, die der Syrische Nationalrat wenige Stunden vor dem Treffen veröffentlichte, hieß es: „Sie sollen ihnen zeigen, dass sie nicht ungestraft davonkommen.“
Die Bundesregierung erhöht indes nach Angaben des Auswärtigen Amtes (AA) die humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien und syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern um 2,5 Millionen Euro. Damit steige die deutsche Syrien-Hilfe, die aus Mitteln des AA und des Entwicklungsministeriums kommt, auf insgesamt 5,7 Millionen Euro.
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