Syrischer Komponist über Widerstand: "Dieses Regime ist gegen Harmonien"
Der syrische Komponist Malek Jandali spricht über die Situation in seiner Heimatstadt Homs und über das Versagen der internationalen Gemeinschaft.
sonntaz: Herr Jandali, letzten Juli haben Sie bei einer Protestdemonstration in Washington ein Klavierstück gespielt. Danach sind Ihre Eltern in Homs, Syrien überfallen und zusammengeschlagen worden. Wie geht es Ihren Eltern jetzt?
Malek Jandali: Gott sei Dank sind sie in Sicherheit. Nach der Attacke konnte ich sie in die USA holen. Sie leben jetzt bei mir in Atlanta. Psychologisch ist es schwierig, so aus dem Land und seiner Geschichte herausgerissen zu werden. Aber wir versuchen, es positiv zu wenden. Es stärkt unsere Entschlossenheit, gegen die Brutalität der Diktatur Stellung zu beziehen.
Wann waren Sie selbst zuletzt in Syrien?
Im März 2011. Damals habe ich in Damaskus die erste Protestdemonstration erlebt. Es war eine Mahnwache mit Kerzen zur Unterstützung des libyschen Volks, der libyschen Revolution. Ich konnte es damals kaum glauben. Es war auch der Anfang der friedlichen Revolution in Syrien.
Haben Sie im März 2011 erwartet, dass eine syrische Bewegung entstehen würde?
Dieses Interview und viele andere spannende Texte lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 25./16. Februar 2012. Am Kiosk, //:eKiosk und im Wochenendabo. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Ehrlich gesagt: Niemand hat damals mit der Tapferkeit der syrischen Jugendlichen gerechnet. Ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit, ihrem Patriotismus. Dieses Regime hatte alles okkupiert, sogar den Familien- mit dem Landesnamen gleichgesetzt: "Syrien al-Assad". Seit 40 Jahren. Wir glaubten, dass die meisten weiter den Diktator bewundern, statt ihr Land zu lieben.
Wie hat der Aufstand Ihre Arbeit als Musiker verändert?
Kunst ist auch ein Spiegel der Realität. Ohne die Suche nach Schönheit und Wahrheit kann es keine aussagekräftige Kunst geben. Durch meine Musik beschreibe und reflektiere ich teilweise auch die Ereignisse vor Ort. Die Revolution oder die Geschichte von Qashoush.
Der syrische Sänger, der die Hymne der Protestbewegung komponiert hat und im Juli in Hama ermordet wurde.
Ich habe versucht, mit Musik und Kinematografie die Geschichte dieses syrischen Künstlers zu erzählen. Er hat gegen die Diktatur angesungen. Die Qashoush-Symphony steht seit 10. Februar im Web und wurde schon 90.000-mal angeklickt.
Empfohlener externer Inhalt
Glaubten Sie, als klassischer Musiker und Komponist immer auch schon ein politischer Künstler zu sein?
Ich bin ein humanistisch geprägter Künstler aus Syrien.
Was meinen Sie damit genau?
Ich war nie unmittelbar in Politik involviert. Meine Musik versteht sich als Brückenbau zwischen Kulturen. In meinem ersten Album - "Echos from Ugarit" - habe ich die älteste Partitur der Welt vorgestellt. Vor 3.000 Jahren haben syrische Künstler das "Alphabet von Ugarit" erfunden. Ugarit war eine Stadt mit echter Kunst, Amphitheatern, Opernhäusern und Konzertsälen. Aber wenn eine Diktatur die Gedanken und Gefühle kontrolliert, gibt es keine richtige Kunst. Das Regime versucht die Kunst zu instrumentalisieren.
Was ist unter den Assads kulturell in Syrien passiert?
Nennen Sie mir einen glaubwürdigen syrischen Komponisten in der modernen Geschichte. Gibt es nicht. Das Regime hat alles limitiert und alles kontrolliert: Musik, Film, Malerei. Dieses Regime produziert Hass, Spaltung und Analphabetismus. All das ergibt Ignoranz. Dieses Regime ist gegen Harmonien: Die Individuen sind gezwungen, den Ton der Brutalität zu spielen, der der Diktatur gefällt. Aber das syrische Volk war eine wunderbare Symphonie und wird es wieder werden. Mit verschiedenen Tönen und Farben. Wir erleben eine Kulturrevolution in der syrischen Kunst, in Literatur, Meinungsfreiheit. Die syrische friedliche Revolution ist auch eine kulturelle und künstlerische. Es ist der Anfang einer neuen Ära in allen Bereichen, auch der Kunst.
Sie leben nun Tausende von Kilometern von Syrien entfernt. An wen richten Sie sich, an die internationale oder die syrische Öffentlichkeit?
Pianist und Komponist: Wurde 1972 in Deutschland geboren. Wuchs in Homs, Syrien auf und lebt heute in Atlanta, USA.
Album: Sein neues Album, „Emessa“ (der römische Name von Homs), ist eine Hommage an die syrische Oppositionsbewegung. Er gibt auch regelmäßig Benefizkonzerte, um Geld für humanitäre Hilfe zu sammeln.
Tour: Im April und Mai kommt Jandali zu Konzerten nach Öster- reich und Deutschland.
Ich richte mich an keine bestimmte Nation oder Gruppe. Ich bin ein muslimischer Künstler aus Syrien, in Deutschland geboren und in Homs aufgewachsen. Ich war auf der katholischen Schule in Homs. Ich habe zehn Jahre lang Orgel in Homs gespielt. Ich habe meinen Hadsch nach Mekka gemacht. Und ich komponiere Musik in Atlanta. Meine Musik ist für die Menschheit, ob Syrer, Deutsche oder Amerikaner. Mein neues Album handelt von meiner Heimat Syrien und wirft ein Licht auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist meine Pflicht, dies mit den Mitteln der Musik zu tun. Ich sende damit den Leuten in Syrien eine Botschaft von Liebe, Unterstützung und Einheit. Sage aber auch: Hey, es gibt mehr als die 20 Millionen Syrer innerhalb des Landes.
Werden Sie im Ausland bedroht?
Ich bekomme Morddrohungen per E-Mail, Telefon und Facebook. Es sind Botschaften von Hass und voll negativer Energie. Es heißt: Wir bringen dich um, du musst mit dieser Musik aufhören. Ich sei ein Verräter. Aber zum Glück lebe ich in einem freien Land und bin nicht wie meine Landsleute in Syrien mit Panzern aus Russland konfrontiert. Aber jedes Mal, wenn ich ein weiteres getötetes syrisches Kind sehe, wächst meine Entschlossenheit. Wenn ein freier Syrer aus Homs in die richtige Umgebung kommt, wie Steve Jobs Jandali - dessen leiblicher syrischer Vater Abdulfattah Jandali hieß -, kann er, wie wir gesehen haben, iMacs, iPhone und andere Computer erfinden.
Sind Sie mit Steve Jobs und seinem biologischen Vater verwandt?
Sein und mein Vater sind Cousins. Die Diktatur unterdrückt mit ihrer Gedankenkontrolle die künstlerische Kreativität. Aber wenn Individuen Syrien verlassen und in freien Ländern wie Deutschland und Frankreich und USA leben, können sie die Welt verändern. Wie eben Steve Jobs.
Was hat die internationale Gemeinschaft in Syrien falsch gemacht?
Ich bin kein Politiker. Aber, ich bitte die freie Welt, dem syrischen Volk beizustehen. Und nicht dem Regime, das sein eigenes Volk bombardiert. Stellen Sie Sich einmal vor, die Bundeswehr würde Frankfurt bombardieren und die Welt guckt einfach zu. Das ist inakzeptabel. Egal wo in der Welt. Egal welche Umstände. Egal welche Religion. Das hat mit Menschlichkeit zu tun. Es ist eine humanitäre Krise.
Welche Hilfe erwarten Sie von außen?
Stoppt das Blutvergießen, die Verbrechen. Wir wissen, dass Russland und China Vetos gegen jede UN-Resolution einlegen. Aber ich glaube nicht, dass das russische oder das chinesische Volk unterstützen, was das Regime tut. Die internationale Gemeinschaft muss Druck machen, um die Massaker zu stoppen.
Sie sprechen von friedlicher Revolution, aber die Opposition in Syrien kämpft auch bewaffnet.
In Daraa, Homs und Damaskus stehen Jugendliche, Kinder und Frauen mit nackten Händen vor Panzern. In diesem Sinn ist die Revolution friedlich. Und wir haben die "Freie Syrische Armee", die diesen Namen zurückholt. Denn das, was heute syrische Armee genannt wird, sind Assads Gangster, die das syrische Volk angreifen. Es ist eine Gang, die eine Diktatur verteidigt. Das ist nicht die syrische Armee.
Al-Qaida ruft ebenfalls zur Unterstützung des Aufstands auf. Westliche Geheimdienste sprechen davon, dass Al-Qaida-Kräfte sich in Syrien unter die Opposition mischen.
Ich spreche als humanistisch gesinnter Musiker, bin kein Politiker. Das Problem ist: Wir haben eine Diktatur, die das eigene Volk killt. Da musst du dich entscheiden: Bist du mit den Killern oder den Opfern? Ich bin mit den Opfern. Das syrische Volk hat ein einfaches und nobles Anliegen, wie das deutsche, das amerikanische oder das französische: Freiheit. Aber wer in Syrien von Freiheit spricht, dem wird in den Kopf geschossen. Mit diesem Reden über al-Qaida versucht das Regime, das Thema zu wechseln. Doch das syrische Volk will eine echte syrische Revolution. Die Freiheit. Und dafür zahlt es einen hohen Preis. Mehr als 8.000 Syrer wurden schon umgebracht. Die Armee bombardiert Zivilisten! Doch am Ende wird die Freiheit stehen. Wir sind schon jetzt frei, weil wir uns trauen, das Regime im In- und Ausland öffentlich zu kritisieren. Die syrische Revolution hat die Mauer der Angst längst durchbrochen.
Bis zum März 2011 hätten Sie Assad nicht öffentlich kritisiert?
Nein, das hätte ich nicht gewagt. Das ist leider wahr. Das Regime unterhält Botschaften in Deutschland und in den USA, es sind Spionagezentren des Diktators. Ich selbst bin ein Beispiel dafür. Ich habe es selbst erlebt, als ich ein fünf Minuten langes Stück mit dem Titel "Ich bin mein Heimatland" im Ausland gespielt habe. Syrien ist darin nicht einmal erwähnt. Aber das Wort: "frei". Das hat das Regime nicht toleriert. Das war schon zu viel. Sie haben meine 64 Jahre alte Mutter und meinen 74-jährigen Vater in Syrien zusammengeschlagen. Dieses Regime schüchtert ein, kontrolliert, verfolgt, terrorisiert und tötet. Es ist eine terroristische Gruppe, bösartiger als alles, wovon die internationale Gemeinschaft spricht. Im Jahr 1982 hat dasselbe Regime bereits mehr als 40.000 Syrer in weniger als drei Wochen getötet. Die Assads haben mehr Syrer getötet als jeder angebliche und ausländische Feind.
Wann werden Sie nach Syrien zurückkehren?
Wenn das Regime fällt. Und das ist nur noch eine Frage der Zeit. Das syrische Volk ist schon frei und drückt seine Gedanken und Gefühle aus. Sobald Assad weg ist, werde ich nach Damaskus gehen, damit dort ein Orchester meine Qashoush-Symphonie zur Aufführung bringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“