Syrien-Tagebuch Folge 17: Einmal Flüchtling, immer Flüchtling

Manch einer mit diesem offiziellen Status wird ihn nie wieder los – egal, was er erreicht hat. Unser syrisch-palästinensischer Autor berichtet.

Ein lebenslanges Stigma für syrische KInder?

Ein lebenslanges Stigma für syrische Kinder? Foto: reuters

Der Autor ist syrisch-palästinensischer Dichter und Journalist aus dem Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus. Heute lebt er in Köln.

Im Jahr 2009 fragte mich ein Kommilitone: „Ihr als Bewohner eines Flüchtlingslagers, lebt ihr eigentlich wirklich in Zelten?“ Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte, denn plötzlich blitzen die Bilder des Camps vor meinem inneren Auge auf: die hohen Gebäude, die vielen Geschäfte am Rand der beiden breiten Straßen, wo die Bewohner von Damaskus zum Einkaufen angereist kamen – sechs Spuren raus und rein ins Camp; der moderne, weithin berühmte Automarkt – ja, wir haben solche modernen Erfindungen und reiten nicht auf Kamelen.

Warum also heißt es immer noch „Camp“ und nicht „Stadt“? Anfangs war mir nicht klar, dass ich anders war. Nur der palästinensische Dialekt provozierte mich, da ich ihn nicht verstand. Später, als ich meinen Ausweis bekam, machte sich eine Ahnung breit. „Vorläufige Aufenthaltserlaubnis für palästinensische Flüchtlinge“, stand da. Ich war besessen davon, herauszufinden, was das bedeutete – Flüchtling. Was hieß „vorläufig“? Und was passiert, wenn der Ausweis abläuft? Und wo würden sie mich hinschicken, wo ich doch nichts kannte außer Syrien?

Ich bin ein Flüchtling, der hier geboren wurde. Ich bin der Sohn eines Flüchtlings, der ebenfalls hier geboren wurde. Wir alle kennen keinen anderen Ort als dieses „Hier“. Ich bin ein Flüchtling, dessen Vater mit seinen 50 Jahren seinen Status als Flüchtling nicht ändern konnte, und dessen syrische Mutter den Status ihres Sohnes nicht ändern konnte.

Seit Beginn der syrischen Revolution beteiligte ich mich an den Aufständen und war viel brutaler Gewalt ausgesetzt, vor allem, als die Armee herausfand, dass ich Palästinenser war. Sie schlugen mich und sagten: „Du bist Palästinenser und willst Freiheit?!“

Illegal nach Jordanien

Dieser Unsinn bedeutete mir nichts. Was mich sehr viel mehr schmerzte, waren die Worte meines Cousins, mit dem ich zusammen im selben Haus aufgewachsen bin. Er sagte: „Du bist Palästinenser, du hast nicht das Recht, dich über syrische Angelegenheiten zu äußern.“ Außerdem nahm er unsere Gespräche auf und schickte sie an den Geheimdienst.

Bald verwandelte sich Syrien in ein großes Gefängnis für Palästinenser. Also verließ ich das Land in Richtung Jordanien. Ich kam über illegale Wege dorthin und wurde gleich in „Cyber City“ inhaftiert, einem Gefängnis an der Grenze, für Palästinenser, die vor dem syrischen Regime geflohen sind. Nach vier Monaten gelang es mir zu entkommen und nach Amman zu gelangen, wo ich eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt, die verhinderte, dass man mich als „syrischen Palästinenser“ zurück nach Syrien schickte.

Status „Staatenlos“

Nach zwei Jahren erhielt ich ein Stipendium der Heinrich Böll Stiftung. Die deutsche Botschaft in Amman wollte mir zunächst kein Visum ausstellen, denn nach dem Ablauf des Stipendiums gab es kein Land, keinen Ort, an den ich, der Flüchtling, zurückkehren konnte. Mit Hilfe von Freunden konnte ich schließlich doch reisen und zwei Jahre bleiben. In der kleinen Zeile in meinem Ausweis steht als Nationalität das Wort „Staatenlos“.

Das Wort „Flüchtling“ ist mit dem Wort „Camp“ untrennbar verbunden, auch wenn es nicht mehr in das Hier und Jetzt passt. Meine Mutter ist über das Mittelmeer gekommen, sie ist seit dem 1. Juni in Deutschland. Ich wusste nicht, ob sie überleben würde. Damals schrieb ich auf Facebook: „Meine Mutter ist nun dem Meer ausgeliefert.“ Einen Tag später hieß es in einer der größten arabischen Zeitungen: „Mutter des Flüchtlings-Dichters Rami al-Asheq dem Meer ausgeliefert.“

Das bringt alles auf den Punkt – egal, was man erreicht im Leben, welchen Karriereweg man einschlägt, ob man wissenschaftliche Erfindungen macht, einen Beitrag zur Gesellschaft leistet, schreibt oder arbeitet – dein Name allein genügt nicht. Man benötigt immer diese eine Definition – Flüchtling. Ohne diesen Titel bist du – nichts!

Übersetzung aus dem Arabischen von Rasha Kayat

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