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Syrien-Tagebuch Folge 16„Erinnerst du dich noch, Liebster?“

Im Krieg freut man sich über ein bisschen Benzin für den Generator, damit man über Skype kommunizieren kann.

Durch das Visier eines Scharfschützen in Homs. Foto: Reuters

Roua Reshah stammt aus der Region Hama, ist 31 und hat 2006 ihr Studium der Medienwissenschaft in Damaskus abgeschlossen. Sie hat an mehreren Demonstrationen teilgenommen, bezeichnet sich aber nicht als „echte Aktivistin“. Seit einem Jahr lebt sie in Katar, ihr Eltern sind noch in Damaskus. Vor sechs Monaten hat sie den Kontakt zu ihrem Liebsten verloren.

Komm, Liebster, lass uns einen anderen Krieg suchen. Um unserer Liebe willen. Eine ganze Belagerung hindurch - zwei volle Jahre - haben wir zueinander gehalten. Auch tausend Belagerungen werden an meinen Gefühlen für dich nichts ändern.

Warum wir aus dem Krieg weggegangen sind? Keine Ahnung. Ach ja, ein Grund fällt mir spontan ein. Du hast rapide abgenommen, denn es gab kaum etwas zu essen, und wir hatten Sorge, dass du dich noch in Luft auflöst.

Der Hunger war stärker als jede Waffe. Granaten, Fassbomben und Giftgas haben uns nicht aus der Fassung gebracht. Im Gegenteil. All das war für uns gewissermaßen die Würze des Lebens. So wie Streit bekanntlich Liebesbeziehungen festigt, hat uns die Angst zusammengeschweißt. Der Tod war dicht an uns dran. Auf Schritt und Tritt ist er uns gefolgt. Doch er hat nicht Besitz von uns ergriffen.

Die Lage evaulieren? Die Lage!

Erinnerst du dich noch, Liebster? An Homs, die Stadt der schwarzen Steine? An den Sänger Abu Abdo Baschir und den Homser Volkstanz? Damals, als Hoffnung bestand? Weißt du noch, wie wir uns über die UN-Delegation lustig gemacht haben, die angereist war, um die Lage zu evaluieren? Die Lage! Weißt du noch?

Ich werde nie vergessen, wie deine Stimme zitterte, als du auf ketzerischen Kanälen live von den Bombardierungen berichtet hast. Weißt du noch? Die Satellitenhandys und die Berichterstattung per Satellitenübertragung? Weil auf dem Gardenia-Turm ein Scharfschütze postiert war, hast du deine Ausrüstung nicht stehend, sondern kriechend aufgebaut. Gesehen habe ich das alles zwar nicht. Aber ich habe es gespürt.

Mit dem Handy auf dem Turm

Weißt du noch, wie glücklich du über das bisschen Benzin warst, das du ergattern konntest? Für den Generator. Du wolltest mit mir skypen. Aber dann war bei mir der Strom ausgefallen. Was für eine Enttäuschung!

Weißt du noch, wie du mit dem Handy auf den Turm gestiegen bist, um Empfang zu bekommen? Alles nur, um mir zu sagen, dass du mich liebst!

Weißt du noch, wie die Rakete in deinem Zimmer eingeschlagen ist? Wir telefonierten gerade miteinander. Schrecklich. Es dauerte eine Ewigkeit, bis du dich wieder gefangen hattest und sprechen konntest. Da glaubte ich, du würdest dich aus dem Paradies melden. Wo noch gibt es einen so herrlichen Krieg, der unsere Liebe belebt? Wer noch außer uns hat solch eine Opposition? Solch ein Regime? Solche wunderbaren Freunde? Wo noch auf der Welt, mein Liebster, finden wir ein Massengrab, in das wir uns zur Ruhe legen können?

Aus dem Arabischen Leila Chamma

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