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Symbolische Zugänge zum Irgendwo

Von den Musikhappenings der „Tödlichen Doris“ über stille Bildornamente zur völligen Abstraktion: Eine Ausstellung im Haus am Kleistpark würdigt das Werk des Schöneberger Konzeptkünstlers Nikolaus Utermöhlen  ■ Von Jenni Zylka

Fast kein Bild hängt alleine. Nikolaus Utermöhlen hat seine Werke, seine großflächigen, gerade und rechtwinklig geteilten und angeordneten, mit unterschiedlichen Materialschichten bemalten Fotokopien immer zueinander arrangiert. Teilweise stehen reproduzierte Motive nebeneinander, teilweise ergibt sich ein Ganzes aus den einzelnen Parts.

Während Utermöhlen in den 80ern mit der „Tödlichen Doris“ und ihren grotesken Musik-Performances und Happenings anfing, um zum Schluß bei spektakulären, aber stillen Bildornamenten zu landen, hat eine Entwicklung vom Konkreten zum Abstrakten stattgefunden, vom eigenen Körper zur schematischen Abbildung. Die Doris-Performances mit Gründungsmitglied Wolfgang Müller und Käthe Kruse waren einmalig – zwar reproduzierbar durch Videodokumentation, sogar teilweise als Film konzipiert, aber trotzdem nur einmal aufgeführt. Utermöhlens kopierte Bilder wurden von ihm so oft verändert, durch Vergrößerungen, neue Farbschichten und Aufteilungen, daß sie nur als Endprodukt nicht mehr kopierbar sind.

Der Künstler, der 1996 38jährig an den Folgen von Aids starb, hat damit ein Werk geschaffen, das seine Eigenständigkeit durch Nachbildung errang. Während der 80er und 90er, in denen Utermöhlen als Bestandteil einer kreativen Künstler- und Nachtlebenszene rund um das Schöneberger „Kumpelnest 3000“ lebte und arbeitete, entstanden seine Bilder in einem Atelier im Hinterhaus des ehemaligen Puffs. Als Ergebnis seines inhaltlichen Konzepts, mit seinen kopierten Bildvorlagen, eher sparsam an unterschiedlichen Motiven, und in der Auseinandersetzung mit der eigenen Krankheit und ihren Folgen malt er Bilder von Körpern, die durch die Veränderung der schichtenweise aufgetragenen Farben und Glittereffekte wie abstrakte Studien wirken.

„Zwei Freunde“ heißt ein Motiv, das immer wieder in verschiedenen Variationen aufgearbeitet wird: ein liegender Jungenakt im Freien oder einer undefinierten Umgebung. Mit wenigen Plakafarben auf einer Fotokopie hat Utermöhlen immer wieder verschiedene, Farben und Licht-Schatten- Verhältnisse verändernde Akzente gesetzt. Als ob er sich langsam der völligen Abstraktion näherte, die nur noch aus getupften, oft starken und knalligen Komplementärfarben besteht.

Das beeindruckendste Werk der Ausstellung ist vielleicht das hundertteilige „Erreichen gleiches Tor durch das zuerst gegangen wurde“ von 1989. Im Original ist es eine 4,30 * 5,40m hohe Reproduktion des barocken Tores der Klosterkirche zu Ebrach, aufgeteilt in einhundert 40 * 52cm große einzelnen Bilder; Utermöhlen verkaufte diese Puzzleteile zu Lebzeiten an Freunde und Fans. Für die Ausstellung wurden nicht alle Teile des rechtwinkligen Kunstpuzzles wieder aufgefunden, so daß im aktuellen Zustand Lücken entstanden sind; aufmerksame Besucher machen sogar neue Farbunterschiede bei den Bildern aus („Eindeutig von Zigarettenrauch vergilbt. Das hing jahrelang bei einem starken Raucher...“).

Das Bild des Tores als Symbol für einen Zugang zum Irgendwo (andere Welt? Tod? Märchenschloß? keusche Klosterkirche?) ist damit unfreiwillig unvollständig geworden, es sind Löcher darin. Das Kunstwerk hat sich über Utermöhlens Tod hinaus entwickelt.

Vor einer vierteiligen Texttafel von 1990, auf der in einfachen Sätzen Tips bei Liebeskummer gegeben werden, die Buchstaben mit kleinen, tanzenden, grünen und roten Farbpunkten verziert, stand auf einer Kunstmesse „mancher tief berührt davor und bat, die Zeilen abschreiben zu dürfen“, erinnert sich Werner Müller, einer der zahlreichen Laudatoren und Freunde, in dem liebevoll gemachten Ausstellungskatalog. „Daß es sich um Ratschläge der Bravo- Briefkastentante handelte, schmälerte die Empfindung der Betrachter keineswegs. Man schämte sich nicht, in die Falle getappt zu sein, sondern war versöhnt, daß Trost manchmal auch einfach zu haben ist.“

Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6–7, Di.–So. 12–18 Uhr, noch bis zum 4. April

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