Swinging Metropolis

■ 12. Hotel

Da Rundfunkchef Alfred Braun auch schrägeren Spielarten durchaus nicht abgeneigt ist, werden - nach englischem Vorbild - häufig Tanzkonzerte aus den Hotelsälen übers frische „Tschingdarassarattatattaradio“ dem Volke zum Gehör gebracht. So können auch jene partizipieren, die sich gewöhnlich in solch mondänen Gefilden nicht aufzuhalten pflegen. Immerhin gehen beispielsweise in „Berlins erster Adresse“, dem Hotel Adlon, Thomas Mann & Gerhard Hauptmann aus, ein, rauf & runter. Über letzteren erzählt die Anekdote, daß er, bekannt auch bei Personal & Fußvolk wegen seines markanten „Goethekopfes“ seine Morgenrunden vom Adlon zum nahen Tiergarten zu drehen beliebt. Als er dabei eine Raseneinfassung überschreitet, ruft der Parkwächter, er solle gefälligst auf dem Wege bleiben. „Aber wissen Sie denn nicht, wer ich bin?“ fragt Hauptmann. Darauf der Wald- & Wiesenhüter: „Ja, ick weeß: Joethe. Aber deshalb dürfen Sie noch lange nicht den Rasen zertrampeln!“ (Putzig berichtet von Jürgen Schebra: Damals im Romanischen Cafe, der dies seinerseits wiedergibt nach R.A. Stemmle: Die Zuflöte, welcher wiederum...?!)

„Gerhard Hauptmann / - und das glaubt man - / hier im Raum? / Nicht im Traum!“ wird 'Pardons‘ 'WimS‘ ('Welt im Spiegel‘) später mal gereimt haben. Ob sich nun der Naturalismusfürst tatsächlich je auf der Tanzfläche seines bevorzugten Beherbergungsbetriebes aufhielt, ist unbekannt. Vielleicht Gattin Grete, erfreute sich doch der 5-o'-clock-Tea bei den schnieken Ladies größter Beliebtheit, nicht zuletzt wegen der Gigolos. Diese professionellen Eintänzer wuchten jeglich weiblich‘ Wesen, ohne Ansehen von Alter oder Gewicht übers Parkett, mit Todesverachtung & steifem Kragen. Einen Wiener Journalisten gibt es, der sich mit diesem Job über die erste Berliner Durststrecke bringt: Billy Wilder. Wenn sich's irgend einrichten läßt, bevorzugt er Brecht-Actrice Carola Neher als Partnerin. Oder umgekehrt. Deren Dichtergatte Klabund - kurz vor seinem tuberkulösem Tode - empfiehlt ihm freimütig, über seine Erlebnisse eine Serie zu schreiben. Nach vierzehn Tagen GigoloDasein erscheint die Geschichte unter dem Titel „Eintänzer im Eden-Hotel“ als mehrteiliger Bericht in der 'BZ am Mittag‘.

Die schöne (Damen)Welt geht in Fransen(kleidern) - denn getanzt wird gerne „Jazz mit Knoten“, Charleston zuerst, bald darauf ist Black-bottom en vogue. „Wenn du'n kannst, dann kannst'n / und wenn du'n kannst, dann tanzt'n“, reimt lakonisch Friedrich Hollaender. Dennoch wird das späterhin kreierte berühmte GigoloLied ein Tango sein. Der Komponist Leonello Casucci überläßt in Mailand dem österreichischen Librettisten Julius Brammer die Melodie und kann sich auf seine älteren Tage drei Mietshäuser aus den Tantiemen kaufen.

Der arme Gigolo selbst kommt da weniger zu Reichtum. Über seine Kundinnen weiß Maurus Pacher, fündig geworden im 'Querschnitt‘, unter anderem zu erzählen: „Da gibt es den Typ, der auf 'Gesehenwerden‘ tanzt und den Tischherren oder die Nebendame provozieren will ('sei es im Tanz oder durch neckisches Plaudern mit Augenaufschlag - wehe dem Tänzer, der nicht richtig auf dieses Affentheater eingeht‘). Oder die verschämten Lasterhaften, die sich in Tischnähe 'wie genotzüchtigte Stiftsdamen‘ gebärden und mit leisem Ekel den Kopf vom Eintänzer wegwenden ('ist der Tisch außer Sehweite sind diese Mänaden kaum zu zähmen‘). Am schlimmsten aber sind die 'Sonnabendfrauen‘: Sie nützen den Tänzer bis zum letzten aus, zahlen nicht und lügen wie gedruckt: unter Millionärin keine Frau, und jede Stenotypistin ist zumindest die Tochter von Herrn Remington.'“

Soweit einige Extremfälle. Was allerdings die Zweitauswertung a la „Dressman“ angeht, darf man sich nicht allzu Dramatisches vorstellen. Der Spanier, ehemaliger Berufstänzer an guten Varietes, bis seine Partnerin mit einem Kollegen von dannen zog, knirscht stolz mit dem Gebiß, wenn eine abgeblitzte Tänzerin Radau macht: „Ist man doch schließlich Tänzer und kein Kokott!“

Norbert Tefelski