: Swinging Metropolis
■ 56. Pleite Potpourri
Das LiteratenNiveau der Berliner Kritik in den zwanziger Jahren ist hoch, eitel & bissig. Man hat sich gegenseitig in die Pfanne und meint sich oft mit erbarmungslosen, fulminanten Verrissen profilieren zu müssen. Zu den negativen Erscheinungsformen dieser Häufung hochgradig talentierter & bester SekundärSchreiberlinge zählt die dünkelhafte Betrachtung „niederer Unterhaltungskultur“ zwar arrogant, gleichwohl den Pudel oft im Kerne treffend. „Der deutsche Denker von Welt erzittert bei dem bloßen Gedanken, daß er sich unter Niveau amüsieren könnte“, schreibt Maurus Pacher, und das spüren die sensationsheischenden Inszenatoren aufgeblasener Kurzweil, Revuen genannt, in besonderem Maße. James Klein sitzt seit seiner ersten Veranstaltung zwischen den Stühlen derer, die sich von der Ausstattungspracht blenden lassen, gern abgetan als schlichte Gemüter, und den intelligenten Giftspritzen vom Schlage eines Herbert Ihering. Die Produktionen „Die Welt ohne Schleier“, „Das hat die Welt noch nicht gesehn“ und „Von A bis Z“ veranlassen diesen 1925 im Börsen -Courier zu monieren, er, Klein, bringe „jedes Jahr dieselbe Revue: das hat die Welt von A bis Z ohne Schleier noch nicht gesehn“, überdies bliebe es dem Rezensenten „rätselhaft, daß es in Berlin so viele Kleinstadtmenschen gibt, die zwölf Monate sich dieses zähe Potpourri zusammengestoppelter Schlager, geschmackloser Farben, öder Texte, muffiger Witze vorspielen zu lassen.“
Diverse Ärgernisse, mehr noch als Verrisse, bringt „Das hat die Welt noch nicht gesehn“. Die Show steht unter einem schlechten Stern: nicht nur Kleins Konkurrenten Charell und Haller drehen mächtig auf, auch und als Folge schwebt der Pleitegeier überm Haus. Der Chef strengt sich an und kreischt und preist per Annonce von „Pariser Apachen, spanischen Tänzern, jüdelnden Agenten, einer New Yorker Jazzband, englischen Girls, Modeschönheiten“, des weiteren gibt's eine Soldatenburg, die von neunzig Zwergen und Knaben gehalten wird, sowie - wohl auch für biologisch uninformierte Knaben - das Bild „Was unter einem Frauenrock alles zu sehen ist“. Als Bonbon tritt der beliebte Opernsänger Leo Slezak mit einigen Arien auf, was ihm von den Puristen der schweren Muse nicht grad hoch angerechnet wird.
Eine Abrechnung hingegen in Sachen (Gagen-)Abrechnung findet sich in Slezaks Erinnerungen: „Ich las, daß ich in der größten und gewaltigsten Revue aller Zeiten und aller Länder mitwirken durfte, las auch eine dringende Warnung an das Publikum, sich ja vor anderen Machwerken, die auch wagten, sich Revue zu nennen, in acht zu nehmen und sich von ihnen fernzuhalten.
Alles dies in roten Buchstaben!
Allgemein wurde behauptet, daß diese Buchstaben früher schwarz gewesen wären, sie seien jedoch, angesichts der vornehmen und taktvollen Art, mit welcher sie zu dieser Reklame verschwendet wurden, schamrot geworden.
Einige Tage nach der Premiere begannen die Abendhonorare immer spärlicher und in größeren Intervallen zu fließen trotz der ausverkauften Häuser. Der Kassierer leistete im Erfinden von Ausreden und Vertröstungen Ungewöhnliches... Das war das böseste Abenteuer, welches ich in meinem Berufe je erleben mußte. Den Namen des Mannes will ich aus meinem Erinnern löschen.“
Nicht bekannt ist, ob Slezak beim Verfassen dieser Zeilen die Anekdote kannte, die ihn als zweite Wahl ausweist: Bei einer vorbereitenden Besprechung des Direktors mit Texter Paul Morgan weist dieser auf dressierte Seehunde hin, die ein besonderer Schlager fürs Programm sein könnten. Darauf Klein: „Was sagen Sie, Morgan! Die hat mir doch einer vor der Nase weggeschnappt! Wenn ich die gekriegt hätte, hätte ich Slezak gar nicht gebraucht!“
Auch die Mitwirkung vom Präsidenten der Deutschen Bühnengenossenschaft Gustav Rickelt biegt den absteigenden Ast nicht nach oben. Das Apollo-Theater am Halleschen Tor wird an eine Filmgesellschaft abgestoßen werden müssen; die Komische Oper versucht man auf Biegen & Brechen zu halten. - Und Rickelt kriegt dicken Ärger! Schreibt Das Theater anfangs noch: „Wenn nicht James Klein, was man ja nie wissen kann, mit Hilfe von Gustav Rickelt noch etwas Besonderes bringt, kann man den Berliner Revuen nur noch sagen: Requiescat in pace“, so hagelt es schon bald journalistische Kanonaden, ob der Unvereinbarkeit eines Präsidentenposten in der Bühnengenossenschaft und der Zusammenarbeit mit einer Persona non grata a la Klein, „der das Gegenprinzip des Theaters vertritt, für das die Genossenschaft sich einsetzen müßte“. Käuflichkeit wirft man dem Präsidenten vor und fordert seinen Rücktritt. Dieser denkt jedoch gar nicht dran - und Klein freut sich mal wieder über spektakuläre Berichterstattung.
Norbert Tefelski
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