Susanne Stiefel : Stern-Stunden
Manchmal schlägt ein Artikel Brücken. Die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher hat sich aus New York bei uns gemeldet. Die 77-jährige Autorin hat dort das Kontext-Gipfelgespräch gelesen und will den Rechtsextremismus-Experten Stephan Braun treffen.
Es gibt Reaktionen, die jeden Journalisten freuen. Besonders, wenn sie auf eher nachdenkliche Artikel oder Interviews folgen. Und so gänzlich unerwartet sind wie diese Mail aus New York, die kürzlich über den Atlantik in unser elektronisches Postfach schwappte. Aus dem Big Apple meldete sich Inge Auerbacher. Inspiriert hat die jüdische Autorin unser Interview mit dem Exlandtagsabgeordneten Stephan Braun über neue und alte Nazis, das wir in der Tradition der Gipfelgespräche an der Gedenkstätte Nordbahnhof und auf dem Weg zu einer rechten Stuttgarter Anwaltskanzlei geführt haben.
Inge Auerbacher wurde als Kind vom Stuttgarter Nordbahnhof deportiert. Seit 66 Jahren lebt sie nun in New York. Dort liest sie Kontext und will den Mann kennenlernen, der so engagiert gegen Neonazis kämpft. Und der am Nordbahnhof so berührt war von ihrem kämpferisch-optimistischen Gedicht „Ich bin ein Stern“. „Bitte leiten Sie meine Mail weiter an Stephan Braun“, schrieb die Frau, die in den USA Karriere als Chemikerin gemacht hat. Aber sicher, das tun wir gerne. „Ich kann kaum glauben, dass es siebzig Jahre her ist, dass ich nach Theresienstadt deportiert wurde“, schreibt Inge Auerbacher an Stephan Braun. Sie erzählt von ihren Auftritten als Holocaust-Überlebende an deutschen und amerikanischen Schulen, wo die Frau, deren Großmutter den Holocaust nicht überlebte, für Toleranz, Menschlichkeit und Gerechtigkeit eintritt.
Sie erzählt ihm, dass sie in einem Reihenhaus im Stadtteil Queens lebt, Wand an Wand mit einer muslimischen und einer Hindu-Familie, mit der sie eng befreundet ist. „Wir teilen alles und auch unsere Feiertage.“ In ihrem Geburtsort Kippenheim wird jährlich ein Inge-Auerbach-Preis an Schulen vergeben, die an die deutsche Nazivergangenheit erinnern und eine Brücke der Versöhnung schlagen. Ihre Bücher wurden in acht Sprachen übersetzt.
Die New Yorkerin lebte als Kind bis zu ihrer Deportation im schwäbischen Göppingen. Ihr Deutsch mag nicht mehr hundertprozentig präpositionensicher sein. Doch mit einem Augenzwinkern mailt sie an den Sindelfinger SPD-Politiker: „Schwäbisch habe ich nie verlernt.“ Da kann ja einem Treffen nichts mehr im Wege stehen.
Und sie haben es geschafft, die Brücke zu schlagen. Zur Buchmesse fliegt die Autorin nach Leipzig. Dort werden sich Inge Auerbacher und Stephan Braun treffen. Und wer weiß? Vielleicht entwickelt sich daraus ein gemeinsames Projekt.
I stand tall and proud, My voice shouts in silence loud: I am a real person still, No one can break my spirit or will: I am a star.
Das Gedicht stammt aus Inge Auerbachers Buch „Ich bin ein Stern“.