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Susanne Messmer mag’s brutalEine Stilikone erstrahlt im alten Glanz

Bestimmt ist er Ihnen auch schon einmal aufgefallen, bei der S-Bahn-Fahrt von Tiergarten zum Zoo oder auf halber Strecke zwischen Technischer Universität und Siegessäule zum Beispiel? Dieser gigantische blaue Kasten mit dem obszönen rosa Rohr, das sich so rotzfrech an die imperiale Achse zwischen Brandenburger Tor und Ernst-Reuter-Platz stellt, als sei es da schon immer gewesen? Haben Sie auch gemerkt, dass es neuerdings in frischen Bonbonfarben erstrahlt und gar nicht mehr so gammelig wirkt wie noch vor Kurzem?

Was die wenigsten wissen: Dieses Ding, das wirklich ein wenig an die Behausung der Kinderbuch- und Zeichentrickfigur Barbapapa erinnert, ist in Wirklichkeit ein denkmalgeschützter Umlauftank. Errichtet wurde er nach den Plänen des Berliner Architekten Ludwig Leo von 1968 bis 1974 und wird seither vom Fachbereich Fluidsystemdynamik und Strömungstechnik an der TU genutzt. In einem künstlichen Fluss, der von zwei riesigen Dieselmaschinen in Bewegung versetzt wird, werden im Umlauftank Strömungsbeobachtungen angestellt, auch Versuche mit Schiffsmodellen.

Am Donnerstag hat die Wüstenrot Stiftung, die das Denkmal für 3,5 Millionen Euro sanieren ließ, zu einer Pressekonferenz geladen. Besonders der beauftragte Architekt HG Merz – bürgerlich Hans Günter Merz und zu diesem Anlass extra Ton in Ton im königsblauen Blazer – machte wunderbar anschaulich, warum dieses Gebäude, das übrigens von innen genauso spektakulär wirkt wie von außen, eine Stilikone und daher so absolut erhaltenswert ist. Anders als andere Industriegebäude verbirgt es nicht seine Funktion, sondern trägt ostentativ zur Schau, wozu es gut ist. Es gehört damit zum lang geächteten und in letzter Zeit wieder viel diskutierten, ja umjubelten Architekturstil des Brutalismus.

Ludwig Leo hat nicht viel gebaut in Berlin, andere Gebäude in dieser Stadt, die dem betonverliebten Brutalismus zugerechnet werden, sind Werner Düttmanns Akademie der Künste und seine Kirche St. Agnes in der Kreuzberger Alexandrinenstraße.

Der Umlauftank wird übrigens von der TU nur genutzt. Eigentümer ist das Land Berlin, das ihn wie viele Baudenkmäler aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu seiner Sanierung vergammeln ließ. Aber wer sich den vorlauten Klotz im Tiergarten einmal richtig anschaut oder sogar bei der Langen Nacht der Wissenschaft im nächsten Sommer von innen sehen wird, der kann ruhig hoffen. Vielleicht setzt nun ein Umdenken ein. Den Liebhabern von barocken Schlossfassaden und von goldenem Stuck in der Staatsoper zum Trotz.

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