Susanne Messmer freut sich über die Gründung des Berliner Späti e. V.: Die Spätis sind Sozialstationen
Kürzlich war mein Vater zu Besuch. Wir haben seit unserem Umzug keinen Fernseher, aber es lief ein Fußballspiel, das er gern sehen wollte. Da wir noch nicht heimisch sind im neuen Kiez, liefen wir los und blieben im nächstbesten Späti mit Glotze hängen. Mein Vater wurde zum ersten Mal mit der Bedeutung der Spätis für diese Stadt konfrontiert – er war begeistert.
„Wie eine Sozialstation“, flüsterte er, als er dem Gespräch zwischen einer blassen Kundin um die fünfzig und dem Verkäufer zugehört hatte, in dem es um ihre Geldsorgen ging. Wie richtig mein Vater lag, das bewies die erste Zusammenkunft des im Januar gegründeten Berliner Späti e. V. am Montagabend im Kreuzberger Restaurant Divan.
Neben einigen Journalisten und Politikern sind beinahe 100 Besitzer von Spätis in Neukölln ins Divan gekommen – denn seit einiger Zeit macht ihnen ein überengagierter Polizist das Leben schwer, sodass die Neuköllner Spätibesitzer im Jahr 2015 rund 70.000 Euro Strafe zahlen mussten, während die in Pankow im selben Jahr gar keine zahlten. Der Grund: Nach dem Gesetz dürfen Spätis an Sonn- und Feiertagen nicht öffnen – viele der etwa 1.000 Berliner Spätis tunes trotzdem. Einige Neuköllner Spätibetreiber fühlen sich in ihrer Existenz bedroht – es ist auch von Diskriminierung die Rede, denn zwei von drei Spätibetreibern dieser Stadt haben einen türkischen Hintergrund.
Das Gesetz muss geändert werden, finden auch die Abgeordneten Alexander Morlang (Piraten), Susanna Kahlefeld (Grüne) und Anja Kofbinger (Grüne), die gekommen sind. Die beiden Grünen haben eine Dialogreihe zum Thema gestartet und einen Antrag an den Senat gestellt, die Spätis nicht mehr als Einzelhandel zu definieren und so eine Ausnahmeregelung zu ermöglichen.
Die Veranstaltung ist ein voller Erfolg. Alle Vereinsgründer tragen weiße Hemden unterm schwarzen Jackett und wirken so aufgekratzt auf dem Podium, dass man an eine in die Jahre gekommene Boygroup auf einer Pressekonferenz denken muss. Was sie auch sagen: Der Applaus ist heftig.
Und schließlich meldet sich ein Spätikunde aus Neukölln zu Wort und bringt zum Ausdruck: Die Spätis haben in dieser Stadt tatsächlich eine wichtige soziale Funktion und sollten nicht drangsaliert, sondern gefeiert werden. Das Bier kostet hier halb so viel wie in der Kneipe, sagt er, oft kann man telefonieren, wenn die Schufa das Handy verbietet, und es gibt Betreiber, die ihre Kunden im Späti duschen lassen, wenn zu Hause das Warmwasser abgedreht wurde.
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